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Zu Franz Kafkas Nachlaßroman.
Von Dr. S* Krakauer.
Der von Max Brod aus dem Nachlaß Franz Kafkas
herausgegebene Roman: „D asSch k 0 ß" ( Kurt Wolfs, Mün
chen), dessen erstes Kapitel seinerzeit in der „Frankfurter
Zeitung" veröffentlicht wurde, ist wie das größere Wert
Kafkas: „Der Prozeß" die Matrize eines Märchens, In dem!
„Prozeß" wird der Bankbeamte K. einem Gerichtsverfahren
unterworfen, das so geartet ist: man kennt den Gerichtsherrn
nicht, der Grund der Anklage ist verhüllt, und als der allein
faßbare Gegenstand bleibt das Verfahren selber, dessen Qual
endlos dauert. In dem „Schloß" wird K. als Landvermesser
nach einem Dorf berufen, das den Aufsichtsbehörden des ober
halb der Siedlung gelegenen Schlosses untersteht. Es wäre
also nur der Weg zwischen dem Dorf und dem Schloß Zurück-
zulegen, damit der Neuankömmling K.. sich über seine Pflich
ten und Rechte vergewisserte. Eben diesen kleinen Weg kann er
nicht durchmefsen. Seine Versuche und ihr Scheitern sind der
Inhalt des Romanfragments.
Wie in dem „Prozeß" die Richter nicht erreichbar sind, so
ist hier das Walten der Schloßbeamten dem dörflichen Ver
ständnis entzogen. Gewiß, die Beamten regeln die Angelegen
heiten der Ortsbewohner, unterhalten gar sexuelle Beziehungen
mit den Dorfmädchen, aber nicht der schmalste Pfad führt aus
der Niederung zu ihrer Höhe. Schwierigkeiten ohne Zahl, die
so nur der einzige Kafka ausklügeln kann, setzen sich dem
Drängen K.s nach einer Verbindung mit der Behörde Entgegen.
Einmal steht er einen Beamten; der schläft. Seine Bestallung
zum Landvermesser erweist sich als ein Irrtum, der aber doch
vielleicht kein Irrtum war, sondern unergründliche Absicht. Dre
Briefe, die ihm von dem Vorgesetzten Beamten zugehen, sind bei
näherem Zusehen veraltet und stammen am Ende gar nicht von
ihrem Unterzeichner. Der Ueberbringer hat einen ordnungs
gemäßen Botenauftrag niemals empfangen.. Stets werden die
--- Rudolf ValeMno. Der seit kurzem Verstorbene tritt tu dem
I Film: .Der Adler" auf, den die Neue Lichtbühn« und
die Kammer.Lichtspiele zeigen. Das einzig Positive
des Films ist die Schönheit seines Helden. Er ist wirtlich schön,
obgleich er nicht intelligenter aussieht, wenn er die Stirne
kräuselt. Das gibt ihm einen angestrengten Zug, man merkt, daß
sich Schönheit und Verstand schwer nur vereinen lasten. Auch die
griechischen Statuen sind mehr klassisch als von der Vernunft be
seelt. Kür ihren Ausfall entschädigt Valentins durch seine Rein
heit und seinen Edelmut. Er flieht die ältliche
Zarin, die ihn zu einer Liebesnacht mißbrauchen
möchte, und verzichtet auf die Rache an seines
Vaters Feind um der Liebe zu seiner Tochter willen. Auch als
Rüuberhauptmann hilft er natürlich den Armen. Dies« Ereignisse
spannen ebenso wenig, wie die russischen Dekorationen echt sind.
Für das Schlepptempo und die Ohnmacht der Handlung ist
jedenfalls die bloße Schönheit eines Darstellers, der sonst nichts
darstellen kann, keine Entschuldigung. Kaco.
TU , —
mag nach der psychoanalytischen Lehre sich selbst oder sein
Gegenteil bedeuten. So meint auch die von der Wahrheit ab
geschnittene Welt das manifeste Wahre, die Matrize des
Märchens das Märchen,
Seine Züge trägt der Roman. Wie das Märchen die dem
Anschein nach unverrückbare natürliche Ordnung zersprengt, um
die Dinge an den richtigen Platz zu stellen, den ste von Natur
aus gar nicht einnchmen, so hebt er die gewohnten Zusammen
hänge auf und verschiebt die nunmehr vereinzelten Gegenstände,
damit sie ihre Rückenansicht dem Beschauer Zuwenden; denn
gerade die Unzugänglichkeit ihrer Vorderansicht, die erst die
wahre wäre, soll dargetan werden. Der Roman kehrt die nor
malen TagesLilder und Oberflächmbeziehungen um, vielmehr
er verkehrt sie nicht eigentlich, sondern gleitet über sie hinweg,
als seien ste nicht vorhanden, und setzt an ihre Stelle ein
Mosaik von Tatsachen und Begründungen, das die vertrauten
Gegebenheiten völlig verdrängt. Im Märchen reden die Tiere,
wenn die Enthüllung der Wahrheit es fordert; im „Schloß"
entfernt sich die um Aufklärung bemühte Menschenrede nur
immer weiter von ihrem Ziel. Die einfachsten menschlichen
Verhältnisse, Haltungen und Leistungen, so die Liebe Friedas
zu K., die Weigerung Amaliens, sich dem Herrn vom Schloß
hinzugeben, die Erledigung eines Botendienstes, die Ver
nehmung zu Protokoll — diese eindeutigen Bestimmtheiten,
Leren Ablauf nicht zweifelhaft sein dürfte, entwickeln sich, wenn
sie durchgeführt werden, in skurrilen Bahnen, die in Sackgassen
Enden oder doch stets ableiten von dem erstrebten Ende. Die
Lebenserfahrungen, die als Gewißheiten gelten, sind hier das
Allerungewisseste, die organische Einheit des Menschen ist auf
gelöst, das Leichte wird schwer. Fragmente von Liebe und Ge
meinheit, spitzfindige Beweise, die sich ins Unabsehbare er
strecken, Situationen, die weder den erwarteten Sinn noch den
Gegensinn in sich tragen, sondern einen anderen verdeckten
— lauter Teilstücke des alten Lebens sind herausgegriffen und
in verstellter Reihe miteinander verbunden. Nur aus der ein
zigen Perspektive des ungegsbenen Wahren erschienen sie in
der richtigen Ordnung.
Daß das Wahre nicht in diese Welt eintritt, taucht sie in
Line Angst, die dem Märchenglück entgegengesetzt ist. Die
Hexe frißt im Roman wirklich HLnsel und Gretel; jene Angst,
an die keine andere Angst reicht: daß M Wahrheit verschüttet
sei, umhüllt die Erscheinungen und Gespräche. Allein der
Träumende kennt sie vielleicht, der im Traum Zerfallene Mensch,
der den nicht nur durch das Spiel der Triebe verrückten Da-
semselemmLen preisgegeben ist. Der Mensch, der in das Antlitz
der Meduse blickt, wird nach mythologischer Vorstellung ver
steinert; der Jude Kafka trägt das Entsetzen in die Welt, weil
sich ihr das Antlitz der Wahrheit entzieht. Böte es sich: sie
müßte irrsinnig werd m vor GWL
Volk m NoL» Dieser Film, den die „Alßwannia-
Lichtspiele" zeigen, rekapituliert den Krieg. Die Schlacht-
ereignifle im Osten — der Vorstoß Rennenkamps, die Schlacht bei
Tannenberg — entfalten sich als Hintergrund einer kleinen
Privathandlung, in der eine ostpreußische Gutsbesitzerin, ihr Sohn
und ihre Nichte, jener natürlich Ulanenleutnant, diese natürlich m
ihn verliebt, die Hauptrollen spielen. Vielleicht ist auch umge^hrt
die Privathandlung der Hintergrund. Jedenfalls gibt es überall
Militär zu sehen, deutsches und russisches, und auch die Russen
sind zum Teil edel. Einer ist es sogar sehr, aber er hatte eine
deutsche Mutter. Der Film ist unter Aufsicht einiger deutscher -
Militärs hergestellt, die für seine Richtigkeit bürgen. Von den
Schlachten ist freilich nicht viel mehr zu sehen als Soldaten, die
anrücken, und Soldaten, die fliehen. Was sie bedeuten, verrat der
Text, der von breiter Ausführlichkeit ist. Auch sonst ist vieles zu
gedehnt, das Stück hat rein als Film Schwächen. Im übrigen
vertritt es die konventionellen Auffassungen von Militär und Krieg
und stellt die konventionellen Gefühle der Menschen aus mittleren
Romanen dar Dem läßt sich nicht widersprechen, das Publikum
will befriedigt sein. .
Pfeile, die von unten nach oben zielen, zur Umkehr gezwungen,
und während sie niedcrgehen, beschreiben ste ver.chlungene
Kurven wie Schlangen. Die Unmöglichkeit eines Einblicks in
die Ratschlüsse der thronenden Beamtenschaft, die klar und hell
sein mögen, wird durch die Unentwirrbarst der Zusammen
hänge im Dorf unterstrichen. Dem K. sind vom Schloß zwei
einander Zum Verwechseln ähnliche Gehilfen beigcgeben, die
lauter Unfug stiften und Muster von Kobolden sind. K.s Hand
lungen, die vernünftig scheinen, sind Zuletzt unvernünftig, die
Liebe der Kauen kommt zu ihm ohne Bestimmung und verläßt
ihn ohne Grund. Der Ausgang aus dem Labyrinth wäre das
Schloß, nach dem hin es sich nicht öffnet.
Die am Tag liegende Deutung, daß der Roman das Ver
hältnis der Menschen zur göttlichen Lenkung gleicknishaft dar-
stelle, trifft weder seinen Sinn noch die von ihm bedingte Form.
Meinte er das göttliche Gerichts- und Gnadenverfahren, so
könnte er die unsichtbare höchste Stelle nicht an einen Ort des
Grauens verlegen und den Instanzenweg zu ihr hin nicht als
eine Folge kleiner Schrecklichsten entlarven. Wie verschieden
immer die Theologie die Uebernatur in die Natur hat ein
greifen lassen, sie hat mit Notwendigkeit die Vorsehung niemals
gegenden Menschen gesetzt oder ihr konstitutives Verborgen
sein zum Grunde des äußersten menschlichen Leidens gemacht.
So drohend starrt die Hölle nur in das Leben herein. Aber
auch sie fällt bei Kafka äus, denn das Dasein der Verdammten
ist an das der Erlösten geknüpft,' die der Dichter nicht kennt.
Das von ihm Gemeinte liegt hinter und unter den gestaUhaften
theologischen Kategorien des Gerichts, des Paradieses, der
Hölle: es ist die Abgesperrtheit des Menschen
von der Wahrheit.
An den Märchen der Völker wird am Ende die Wahrheit
offenbar. Nichts anderes sind die reinen Märchen als der Vor-
Lraum des vollendeten Einbruchs der Wahrheit in die Welt.
Er erfolgt gegen die blinden Naturgewalten, die unterliegen
müssen. Der dumme Tölpel führt die Prinzessin heim, die dem
Mächtigen sicher schien, dämonische Zauberei kann den Stand
haften nicht verblenden, Hexenspuk und die Bollwerke des Ver
derbens werden durch das gerechte Urteil getilgt. Die Märchen
sind nicht Wundergeschichten, sondern ihr Sinn ist die Auf
hebung der mythologischen Kräfte und d'e Abschaffung des
Wunders um der Wirklichkeit der Wahrheit willen. Ihr
Sieg allein ist das Wunderbare.
Genau die Matrize des Märchens ist der Roman
Wie kaum -ein anderer vor ihm blickt auf das End
menschlicher Geschichte hin, das in der Wahrheit ist. Ihre
Nichtverwirklichung ist sein Thema. Damit aber, daß er d'e
Verstelltheit des Irdischen aufdeckt, das von de^ Wahr
heit verlassen ist, macht er diese nicht minder wie das Märchen
i;ur Mitte. In den ältesten Sprachen sind die Gegensätze durch
! das nämliche Wort ausgedrückt worden, ein Traumelement