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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Hotel Stadt Lemberg. 
Hauswand, die durch die Blumen nicht sonniger 
Arbeiterstädten deZ deutschen Industriegebiets 
rnca. 
blumen an einer 
wird. 
Auch in den 
macht sich häufig ein Mischmasch aus Schlupfwinkeln und Kasernen 
breit, der von beachtenswerter Widrigkeit ist. Doch bleibt diesen 
Massenstationen, die das Werk der Zufälle und Spekulanten sind, 
die Hoffnung nicht fern. Ueber ihnen raucht es von Fabrikschloten 
und in ihnen geschieht etwas. Die Barbarei hat die Kraft zum 
Protest, den Willen zu ihrer Verwandlung. Malakoff kennt die 
drohende Gest-e nicht, Malakoff ist der Verzicht. In seinem Elend, 
das nichts mehr mag, läßt es sich gehen, und fügt zur Häßlichkeit 
die unnütze Spielerei. So streichen manche durch die Tapetenmuster 
ihrer Zimmer und wissen doch, daß es einen Ausweg nicht gibt. 
Zwischen Zwei Häusern, die nichts miteinander Zu schaffen haben, 
schwingt ein hölzerner Verbindungssteg durch die Lüste Schnörkel 
rasen über den Putz, die bei ihrer Geburt bereits überflüssig 
waren. Die Unstnnigkeit der Fensterspalten, deren viele ihre 
Räume nicht finden, wird durch die der Mauern üöertroffen, die 
sich allenthalben verlaufen. Was sie begrenzen, läßt sich wohl nie- 
ckals enträtseln. Sie sind launenhaft und senil und stocken mitunter 
plötzlich, als seien sie selber davon überzeugt, daß die Anstrengung 
sich nicht lohnt. Verschanzt sich wirklich einmal etwas hinter ihnen, 
so ist es eine zerbröckelte Remise oder eine geringe Baracke, deren 
Zuschnitt verjährten Vorlagen für Baugewerkschulen entstammt. 
Allerdings, es kann sich ereignen (was in Deutschland unmöglich 
wäre), daß aus dieser geringen Baracke ein Dämchen in weißem 
Pelzbesatz fliegt, ein Dämchen von Linie und Schick, der Mantel bei 
Printemps gekauft. 
Das Verhältnis Malakoffs zur sprießenden Natur ist von 
Grund auf verpfuscht. Aus Wohnungsnot offenbar, und um sich 
zu entrinnen, hat die Stadt versucht, sich auf dem Grüngürtel zu 
entfalten, der sie von Paris trennt. Man wollte lieblich werden, 
eine Art von Laubenkolonie, sie ist danach. Der bekannte Zyklon 
in amerikanischs« WlmMotesken hätte mit den Wohnwagen, den 
vorne kleben Affichen. Die Fronten der großen Boulevards und 
Avenuen sind in einem Zuge hingestrichen, hier dagegen ist man 
Zu müde, um nur neben sich zu blicken. Am üppigsten hat die Phan 
tasie mit dem Backstein geschaltet. Auf seine Leuchtkraft vertraut 
die Mairie, ein lecker abgeriebener Kasten, mit dem verglichen die 
Zuchthäuser Manien sind. Er befindet sich nicht an einer Haupt 
verkehrsader, sondern ist in einer Ecke aufgeschlagen, um die Leute 
herbeizulöcken. Gitterstäbe mit gußeiWnen Pfeilspitzen verhindern 
die Sekretäre am Ausbrechen, und ein unfreundlich zugefeiltes Uhr 
werk am Giebel bewacht die Zeit. Gegenüber funkeln Sonnen- 
abgetakelten Karossen und den übrigen Holztrümmörn leichte 
Arbeit. Die Vertikale ist in dieser veralteten naturalistischen 
Kleckserei verpönt Bei ihrer Improvisation hm das Blech viel 
fältig mitgewirkt, auch die Bäume sind aus ihm gewickelt, man sieht 
die eingestanZLen Löcher und wenn das Blech nicht gelangt hat, 
so hören sie auf. Unbeschädigt gewachsen ist nur der Telegmphen- 
mast, ein schöner Holzstamm, der über das Gerümpel ragt. Wo sich 
das Altmaterial am dichtesten häuft, ist ein Schild mit der Auf 
schrift: „vanoinA" angebracht. Ein verhutzelter Stall, der eine 
Eonfiserie zu bergen vorgibt und am Sonntag der Lustigkeit dient. 
Vor der Dachpappe klappert ein Weib mit den Holzsandalen, der 
rosa Trikot wölbt sich enorm. 
Im Umkreis erheben sich zur Verzierung nackte schwarze 
Gerüste. Sie füllen Zwischenräume aus und bilden Filigranmuster 
vor dem Himrüel. Wird m Malakoff gebaut? Es wird gebaut; -aber 
auf eine Weise, die den herkömmlichen Begriffen widerstreitet. Das 
Bauen nämlich ist hier keine Tätigkeit, es ist ihre Unterlassung. 
Zu irgend einer Zeit haben enLschlußfähige Menschen in Malakoff 
Würfel aus Ziege-steinen bis zu halber Höhe getürmt, herrliche 
Würfel mit vier Kanten und Oeffnungen, die aus Mangel an 
Baustoffen eingeschaltet worden sind. Dann muß ihnen der Kredit 
ausgeblieben und die Luft vergangen sein, die Atmosphäre hat sie 
vielleicht bedrückt, kurz, die Würfel stehen einsam und ausgehöhlt 
auf den Feldern, sie sind sehr rot und es Zieht durch sie hindurch. 
Das Rennen hat ein kolossaler Rohbau gewonnen, er ist eine 
soeben fertig gestellte Schloßruine, in der es von Höfen, Kapellen-- 
fenstern und Portalen wimmelt. Eine Zerronnene Seifenblase 
Malakoffs, die Bestimmung des Projekts wird ewig unbekannt 
bleiben. Oben ist es von Betonstürzen abgeschlossen, aus denen die 
Drähte hängen. Sie werden eines Tages zu Spiralen gerollt in 
der Laubenkolonie wiederkehren. 
Zollhäuschen, Rasenstreifen und Eisenbahndamme nur scheiden 
Malakoff von dem eigentlichen Paris. Es ist eine Alpdruckvision, 
es bietet hier die Schale der Schalen, die den Kern ums-chnürt 
und keinen Schimmer nach außen dringen läßt. Dem Verzweifelten 
mag eine Fata Morgana erscheinen, der für immer Ausgeschlossene, 
der nicht mehr weinen kann, hat die Bruchstücke der Dinge in 
monströsen Kurven vor Augen. Das Paris, das bei Malakoff auf- 
taucht, ist eine gra^e Masse von MieLshausblöcken, die unendlich 
lang sind und viel zu schmal — als hätten die Richtungen sich in 
einem Riesenhohlspiegel verschoben. Zinnchen und Scheinkuppeln 
thronen auf den Dächern, und ein winziger Aussichtsturm, der nicht 
zu besteigen ist, windet sich über der Gegend. - 
1,8. ville äs 
Bon Naea. 
Paris, Anfang Jannar. 
Im Süden von Paris, gleich an seinem Rand, liegt Mala- 
koff- eine Proletariervorstadt, die ein Kehrichthaufen ist. Daß 
die Abfälle von Paris sich hier ihr Stelldichein geben, wäre das 
Schlimmste nicht; Absälle sind bunt, sie können das vollendete Ge 
bilde überstrahlen. Aber diese Müllgrube von einem Ort ist der Ver- 
aessenheit preisgegeben. Kein Blick ruht auf ihr, nichts verbindet 
sie mit dem Glanz der Welt, die sie ausgestoßen hat. Umsonst 
möchten einige Auto-Garagen und evva eine Weinhandlung den 
Anschein kommerzieller Unternehmungen erwecken — der Betrieb, 
der Leben heißt, hat Malakoff den Risiken gekehrt, und nun fristet 
es das Dasein jener Zahllosen Pariser Hinterhöfe, auf die nur 
blinde Abortfenster starren. 
Menschen, die der Melancholie erlegen find, sinken aus dem 
erfüllten Raum in eine Leere von unbestimmbaren Dimensionen. 
Da sie sich den Zusammenhängen der Oberfläche und der Wirklich 
keit entzogen haben, stehen die Erinnerungen in ihnen beziehungs 
los neben dem Gegenwärtigen, und aus der Perspektive der 
Schwermut entstellt sich ihnen die Welt. Malakoff ist von der Ver 
lassenheit gezeichnet. Es ist keine Stadt, sondern ein Komplex, 
eine Ansammlung von Stücken und Teilen, die der gemeinsamen 
Absicht entraten. Sie sind ein Rinnsal verschrobener Erscheinungen, 
aus dem Trübsinn geflossen und lungern in lasier Vereinzelung 
umher. 
Vor Zeiten muß es hier ländlich zugegangen sein. Fragmente 
von Bauernhäuschen sind übrig geblieben, auch ein Herrschafts 
gebäude mit Freitreppe hat sich im Ausschnitt erhalten. Gewiß 
wären dre Reste längst erledigt, hätte nicht die Apathie der Ver- 
lorenheit sie vor dem Untergang bewahrt. Sie blinken wie em 
ruiniertes Kinderspielzeug im Schutt, ganz still, denn wenn sie sich 
regten, zerfielen sie ganz. 
Trotz dieser Viertelsidhllen ist Malakoff eine richtige Stadt. Es 
besteht aus verschiedenen graben Straßen, die sich nach Diderot 
und Voltaire nennen, aber freilich ein Pflaster von durchaus un 
aufgeklärter HolpriMt besitzen. Immerhin ermöglicht es die Bil 
dung von Pfützen, in denen sich etliche Zillekinder schon von früh 
auf das Lokalkolorit aneignen können. Die Häuser, zu denen sie 
gehören, scheinen bei den Klängen eines Orchestrions gezeugt. Nicht 
eines ist so hoch wie das andere, es rattert hörbar aus ihnen, 
-- Der mlm ist gut. Er rollt (nach dem Roman von Ludwig 
Brro) eme Episode aus den Anfängen des Weltkrieges aus, mit 
AEichrschem und russischem Militär, so viel Krieg mochte man 
mehr sehen. Die Oesterrcicher siegen zuletzt. 
Doch nrcht darum rst der Film gut. 
Ss^st^i^bichliet, ist die Dachellung der östlich-n 
der eingesetzten Typen, die Verbild - 
lrchung des Wechsels von Siegern und Besiegten. Mit einer Regie 
Msi. die auch um die Uebergänge weiß und immer die richtiges 
Assoziationen triM hat Maurice Stiller diese Welt dicht ac- 
fugt. Russen und Oesterreich«! reiten in Teilausschnilren, die ihre 
Massen ahnen lassen, durch das Städtchen und wieder davon Ver 
schwommene Bruchstücke von der Front, die hinter den SchEitelu 
Eauchen smd zulänglicher als die oft versuchten ausführlichen 
Schlachtmalereren, die unmöglich sind. Auch die nächtliche' Reiter-' 
sZene gleich zu Beginn läßt der Phantasie den notwendigen Spiel 
raum Überhaupt hat die Regie das Maß des zu Zeigenden sicher 
avgefchatzt und die Proportionen der Bildstreifen genau erwogen. 
Dre Handlung baut sich um Pola Negri auf, die "als 
Stubenmädchen im Hotel Stadt Lemberg amtiert Das Hotel muß 
schon vor dem Krieg viel erlebt haben, seine verdächtige Weib 
räurmgkeit und sein angeborenes schnuddeliges Wesen glaubt 
marr rhm aufs Wort. Schwarz und schön, ein Land- 
madchen von natürlicher Bildung, hält Pola Negri in den 
chr anvertrauten Räumen treu an Oesterreich fest. Es 
^icht gemacht, den zilrückgebliebenen öster- 
rerchrschen Ofnzrer Zu schützen, da die Russen, wundervoll gc- 
lungene Rusten, wie man sie in Wirklichkeit kaum noch sieht, säuU> 
Lrche Rchen durchdrmgem Der russische General George Siea^ 
Manns, der so gut nach dem Leben gestaltet ist, daß das Leben 
wreder als Modell benutzen könnte, will sich das Stubenmädchen 
selbstveritondlrch. gefügig machen. Wie sie sich seinen Pranken stets 
von neuem entzieht, wie-'sie, von Festkleidern umhüllt, als Dame 
dre Treppe herunterschreitet, eine Dame, ohne es zu wissen — in 
dresen schwierigen Situationen entfaltet Pola Negri olle Seiten 
Ker Darstellungskunst. Andere Spieler sind ihr ebenbürtig 
Mit schreckllrcher Abgefeimtheit schleicht Michael Vav lisch M 
russischer Lpion durch das Stück. Vergessen wir auch nickn den 
Portrer Max Davidsohns, dieses kleine, rührende jüdische 
Männchen, das so menschlich ist und so verängstigt die Hände über 
dem Kopf Zusammenschlägt. Erst am Schluß darf es jubeln, wenn 
me Oesterreicher in das Städtchen einziehen und nach dem Dank 
gottesdienst die Heldin mit ihrem geretteten Offizier große Ehren 
gepreßt. Dieses Prunkfinale ist technisch einwandfrei bewältigt und 
lost eine starke Wirkung aus. 
-Der Film läuft in den N f a - Z ichtspieleu.
	        
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