« sMr. Wu.^ Lon Chaney, der berühmte amerikanische
Charakterdarsteller, der nicht umsonst der Mann mit den hundert
Gesichtern heißt, spielt in diesem Film, über den kein Wort zu
verlieren ist, so sehr dient er nur als belanglose Folie, einen hohen
chinesischen Mandarin. Diese Probe seiner Verwandlungskunst
ist unter Men Umständen sehenswert. Mag in Wirklichkeit ein
chinesischer Würdenträger sich anders gebärden, in der Jllustons-
sphäre des Films erscheint Lon Chaney als echter Asiate. Groß
artig ist die Kraft, mit der er sich in die fremde Figur übersetzt.
Wie die Augenbrauen Zur Haltung passen, der Gang aus der
Haltung kommt! Svgar die Haut und die Gesichtsfalten sind von
der neuen Einheit umgriffen. Das eigentlich Erstaunliche ist aber
nicht die vollkommene LranspMioy der AeußerlichkeiL, sonders
ihre Bewegung von innen her. Aus einem fremden und jedenfalls
nicht europäischen Soelenzentrum wird die Mimik gespeist. Das
umständliche Zeremonia! der Begrüßungen scheint in der Tat
dem ererbten Wissen um die Lehren des KonsuMs zu ent
fließen, und über den Bewegungen der Hände wachen die
Ahnen. Auch die Usbergänge vollziehen sich nach einer
ungewohnten Mechanik. Soeben noch in die nachfühlbare Trauer
' um den Opfertod der Tochter versunken, schreitet, der Man
darin Zur vorgeschriebenen Rache an ihrem Verführer. Der
Schmey reißt in einer nicht mehr ganz faßlichen Weise
ab und springt abrupt in Tücke über, die sich nach außen
hin Lalt unh freundlich stellt. Durch diesen Sprung, der 'das Werk
einer Sekunde ist, wiÄ eine unbekannte Vorstellung Lwelt eröffnet,
die gewiß nicht die unsrige ist. Auch Renee Adoree kommt
chinesisch daher, mit den hochgehobenen Armen beim Trippeln. Doch
nicht darauf beruht Hr Reiz, sondern auf der süßen Kindlichkeit,
die sie durch das Keine Mädchen-schicksal hindurchschimmern läßt.
Schade nur, daß Zwei so ausgezeichnete Darsteller sich nach den
Launen einer minderen Fabel Mischen Blütensträuchern bewegen
müssen, die nach Hollywood duften. (Zur Ausführung des Films
in den Frankfurter Ufa -Lichtspielen.) Lr.
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tvvisoksn, in ^lorä- unä Lüäamsrika verdrsiteten
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6er von 6sn Priestern viellaeü uw^eäeuteten Ovttsr-
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6sn 8interr?run6 ärän^tsn. In äsn Län6 auiMnoin-
msn sin6 in 6sr Lauotsaeds nur 6isisni^6N Näredsn
unä Laxen. „6is in m^tlüssdsr 2sit unä DmMdunZ
snielsn. bis Lu 6er Dnosds. in -6er Ls Din^anclsruns
6er MLsdiedtliedsn Stamms in idrs spätsrsn ^odn-
sitM erfolgt", ^rotrr 6sr edristliedsn Zutaten lassen
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alt- unä nsuv/elMieden LaMN in Froster Ladl ksst-
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vls ..1 sZsinsr Näredsn" sinä von 'U aI -
tsr Lsllsr derausMMden. äsr kür äis Lammluntz
äse Vsrla^s Oisäsriebs äis ita^'snisebsn VolLsmäredsn
vordersitet. dloed vor äsm Drselminsn einer italie-
niseden XusLadv sinä in äiesem äsäRsedsn Vanäs 2um
eilten Nals sedte VollLSMärohsn aus äsm Dessin ver-
sint. OeärueLtes Material bat LeUer kaum vor^s-
kunäsn. äa^sMN konnte sr eine danäsodriktäebs
Lamm^un» äsr Dran Duiai Oarloni (lrovni (Xltleli-
rsrin in Doviod benutzen, äis Dassenäs Ztüske snt-
dält. Das meiste vmräe auk seinen lessinsr ^Van
äeruns-en unä LtuLenaui'en-ka'tsn LusammsnMtraMn.
Ois Lläreden. äis sied übrigens aueb kür äis 6u^nä
§mt eignen, vmnäe^n in äer HeMl äis bekannten No,
tivs ab, entbehren aber niebt selten äes Dokal-
Kolorits, äas iknsn einen besonäsrsn Reis verleidt.
Lr.
Ufa-BviprvGMMM. Außer dem Hauptfilm: ,M r. W u",
den wir im Abendblatt der „Frankfurter Zeitung* vorn 10. ds.
besprochen haben, läuft in den Ufa-Lichtspielen ein Bei
programm, das zum Glück für die Zuschauer nicht die übliche
Misere ist. Wir erwähnen es ausdrücklich, weil sich kürzlich im
Feuilleton der „Frankfurter Zeitung" eine Zuschrift mit Recht
über die minderwertigen Hors d'oeuvres beschwerte, durch die sich
in. der Regel das Publikum hindurchbeißen muß, ehe es zum Ge
nuß der eigentlichen Mahlzeit gelangt. Dieses Mal sind die Vor
gerichte wenigstens schmackhaft. Ein Trickfilm: „K'oko als
Arzt" zeigt das Neueste vorn Titrtenmannchen, einer gezeichneten
Wgur von entzückender Blödheit. Das Matterhorn von rechts,
links, oben und unten ist jedenfalls ein Kulturfilm, der manche
andere Gattung hinter sich läßt. Ferner ist eine ganz nette ameri
kanische Kleingroteske: „Die Männer sind alle Ver
brecher" einbezogen; bei welcher Gelegenheit bemerkt werden
mag, daß das Genre dieser amerikanischen Ein- und Zweiakter
schon reichlich abgelebt ist. Ueber das Prinzip d'er Wochenschau wird
noch einmal grundsätzlich zu reden sein. kaca.
E ^5-
Abstrakter Iikm.
Zur Vorführung der Gesellschaft Neuer Film.
Frankfurt, 12. März.
Die Berliner Gesellschaft Neuer Film hat sich das
Ziel gesteckt, statt der üblichen Spielhandlungen solche Bildstreifen
zu zeigen, die scheinbar aus dem Geist des Films selbst geboren
sind. Nicht Übersetzungen literarischer Stoffe in die stumme
Sprache der Optik, sondern ursprünglich optische Vorgänge, die in
keine andere Sprache zu übertragen sind. Deutsche und französische
Filmregisseure haben schon seit Jahren Versuche dieser Art an
gestellt; Gelegenheit, sie im Zusammenhang kennen zu lernen,
hatte man aber bisher eigentlich nur in den Pariser Avantgarde
Kinos. Die Gründung der Berliner Gesellschaft ist umsomehr gut
zuheißen, als sie ihre Programme auch der Provinz Zugänglich
machen will.
In der gestrigen Frankfurter Veranstaltung wurden einige
Studien vorgeführt, die sowohl die Möglichkeiten wie die Grenzen
der neuen Filmbestrebungen erkennen ließen. Vorauszuschicken ist,
daß es sich fast durchweg um Versuche handelt, die, wenn nicht
zeitlich, so doch Zum mindesten ihrer Absicht nach, Zeugnisse des
Expressionismus sind, das heißt jenes Kunstwollens, das Gehalte
ohne Gegenstand geben zu können meinte.
Eine „Diagonal - Symphonie" Viking Eggelings
(1917!) bewegt Lichtstreifen, Helle Graten und andere geometrische
Bruchstücke in einem gewissen Rhythmus durcheinander. Es ist, als
seien Bilder von dem Genre bestimmter Werke Picassos lebendig
geworden. Hans Richters: „Film-Studie", zu der H.
H. S L uck e n schm idt die musikalische Illustration geliefert hat,
läßt durch ein Wolkenchaos Kugeln stügen, die sich in Augen
verwandeln; setzt Plastersteine in ein Gittergeflecht um, das zu
taumeln beginnt. Deutlicher noch wird durch den Film „Smak
Bakia" von Man Ray die Herkunft der abstrakten Motivik
aus richtigen Gegenständen veranschaulicht. Wasserresiexe sind in
ihm zu fremdartigen ornamentalen Gebilden destilliert, und mit
gewöhnlichen Steh Umlegkragen werden reizende Bewegungsspiele
getrieben. Der Film des Grafen ELienne de Beaumont
schließlich gewinnt seine strahlenden Lichteffekte aus Gläsern, die
sich langsam drehen, und Wider scheinenden Spiegeln. ^Da es ihm
auch um den visuellen Ausweis von Schnelligkeiten zu tun ist,
kurbelt er in rasendem Tempo Metro- und Dampferfahrten durch
Paris.
Es kommt darauf an, was mit diesen Filmen gewollt wird.
Gewiß ist, daß sie desto mehr bedeuten, je anspruchsloser sie auf-
Lreten. Erschlossen wird durch sie tatsächlich in einer bisher unge
ahnten Weise eine neue Welt von räumlichen Konfi
gurationen. Optische Eroberungen großen Stils sind nicht
nur jene Filmfragmente, in denen eine starre Ornamentik zu merk
würdigen gymnastischen Uebungen entfesselt wird, sondern auch alle
Bildserien, in denen, sei es durch die Wahl- des Blickpunkts, sei es
durch Isolierung von Teilobjekten, aus der uns vertrauten Ding
welt Motive herausgehoben und variiert werden, die den bekannten
Aspekten nicht mehr entsprechen. Die beliebig? Abwandlung ab
strakter Figuren und konkreter Gegenstände ist ein dem Film vor
behaltenes Thema, das er gar nicht weit genug ausbauen kann.
Denn dadurch-, daß er dieses Thema angreist, bereichert er das
Inventar unserer Vorstellungen um Formen und Zeichen, die alle
einnial Gehalt zu werden vermögen.
Aber — und das ist wesentlich —: derartige Entdeckungspar-
:ien sind sich nicht Selbstzweck. Was sie einheimsen, ist Diaterial,
das erst der Verwendung in echten Zusammenhängen harrt. In
dem die gezeigten Filme Zum überwiegenden Teil sich als Kom
positionen gebärden, erheben sie fälschlich das Material zum
Gehalt und werden damit hohl und manieriert, wie der Expressionis
mus als fixierte Kunstrichtung es war. Eggeling glaubte, die Um
triebe seiner Diagonalen seien eine Symphonie, und auch die an
dern reihen ihre Impressionen zu einem Ganzen aneinander, von
dem sie vorgeben, es stelle etwas Ganges dar. Ihre Wendung
gegen den Spielfilm zugunsten des gegenstandslosen Films ist in-