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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

« sMr. Wu.^ Lon Chaney, der berühmte amerikanische 
Charakterdarsteller, der nicht umsonst der Mann mit den hundert 
Gesichtern heißt, spielt in diesem Film, über den kein Wort zu 
verlieren ist, so sehr dient er nur als belanglose Folie, einen hohen 
chinesischen Mandarin. Diese Probe seiner Verwandlungskunst 
ist unter Men Umständen sehenswert. Mag in Wirklichkeit ein 
chinesischer Würdenträger sich anders gebärden, in der Jllustons- 
sphäre des Films erscheint Lon Chaney als echter Asiate. Groß 
artig ist die Kraft, mit der er sich in die fremde Figur übersetzt. 
Wie die Augenbrauen Zur Haltung passen, der Gang aus der 
Haltung kommt! Svgar die Haut und die Gesichtsfalten sind von 
der neuen Einheit umgriffen. Das eigentlich Erstaunliche ist aber 
nicht die vollkommene LranspMioy der AeußerlichkeiL, sonders 
ihre Bewegung von innen her. Aus einem fremden und jedenfalls 
nicht europäischen Soelenzentrum wird die Mimik gespeist. Das 
umständliche Zeremonia! der Begrüßungen scheint in der Tat 
dem ererbten Wissen um die Lehren des KonsuMs zu ent 
fließen, und über den Bewegungen der Hände wachen die 
Ahnen. Auch die Usbergänge vollziehen sich nach einer 
ungewohnten Mechanik. Soeben noch in die nachfühlbare Trauer 
' um den Opfertod der Tochter versunken, schreitet, der Man 
darin Zur vorgeschriebenen Rache an ihrem Verführer. Der 
Schmey reißt in einer nicht mehr ganz faßlichen Weise 
ab und springt abrupt in Tücke über, die sich nach außen 
hin Lalt unh freundlich stellt. Durch diesen Sprung, der 'das Werk 
einer Sekunde ist, wiÄ eine unbekannte Vorstellung Lwelt eröffnet, 
die gewiß nicht die unsrige ist. Auch Renee Adoree kommt 
chinesisch daher, mit den hochgehobenen Armen beim Trippeln. Doch 
nicht darauf beruht Hr Reiz, sondern auf der süßen Kindlichkeit, 
die sie durch das Keine Mädchen-schicksal hindurchschimmern läßt. 
Schade nur, daß Zwei so ausgezeichnete Darsteller sich nach den 
Launen einer minderen Fabel Mischen Blütensträuchern bewegen 
müssen, die nach Hollywood duften. (Zur Ausführung des Films 
in den Frankfurter Ufa -Lichtspielen.) Lr. 
-PblLAUGr MZLFLL ILLLÄ M«L8Q§r. l/öösr- 
sstLt, bi^aeibiter ANÄ briarLtert ro?r L ri 6 L e- 
öerF. Mt S 1 Zerrte. 
cker lsseMitcrntur.) Xk, Aeite-r. 
/sTrs. Oieäerie/rs. <7eb. 7. 
MLr OLr^ri. Gesammelt ttirck ÄöertraAeTr 
r-on MKit er Lelker. F'raueTrfM. 
cü <7o. ZFZ Kerten. 6. 
Nit äsm Vanä äsr U.vtdsn unä Näreüsn 6er 
alten amsrikanisedsQ Lultur Völker 
bat äis ^näorvollö UarcäisnsamnüunT von LuZsn 
Diätsrioks sinsn neuen vsrtvollsn ^u^neba erkaltsn. 
Der Lanä ist Lrisksdsr LU äanksn, äsr äsn 
Närsüsu eins dsi aller LnLnpdsit Lullerst isssslnäs 
Linleitun^ verausMsekiekt bat, in 6er er über sein 
ÜntsrnswnM Useksusebakt adlest. Dr erörtert, aus- 
tübrliüd 6ie Quellen unä arbeitet äaun äis Ilutsr- 
seüisäo ^^iseden äsr amsrikanisedsn Lulturm^tdo- 
un6 6er Llvtdoloche, 6er amsrikanisedsn Ratur- 
völksr üsraus. Die latsaebs. äall nur ^sniM 6er 
tvvisoksn, in ^lorä- unä Lüäamsrika verdrsiteten 
Nüreüsnmotive aus äsn LulturMdistsn üderlisisrt 
sinä, srlMrtSieb naeb Lricksdsrs aus'äsrVorbsrrseliLkt j 
6er von 6sn Priestern viellaeü uw^eäeuteten Ovttsr- 
rnvtdsn. 6ls sens vollrstümliede lMredenliteratur in 
6sn 8interr?run6 ärän^tsn. In äsn Län6 auiMnoin- 
msn sin6 in 6sr Lauotsaeds nur 6isisni^6N Näredsn 
unä Laxen. „6is in m^tlüssdsr 2sit unä DmMdunZ 
snielsn. bis Lu 6er Dnosds. in -6er Ls Din^anclsruns 
6er MLsdiedtliedsn Stamms in idrs spätsrsn ^odn- 
sitM erfolgt", ^rotrr 6sr edristliedsn Zutaten lassen 
sieb ursnrünMsüe IlsdsrsinsttmmunMN ri^iseden äsn 
alt- unä nsuv/elMieden LaMN in Froster Ladl ksst- 
stsllen; sis darren noed äer Drkiärun^ äureb äis 2U- 
künitiKS Dorseliuns. Der ^issenseliaktlieds Xpnarat 
äsg Lanäes ist musterM^ 
vls ..1 sZsinsr Näredsn" sinä von 'U aI - 
tsr Lsllsr derausMMden. äsr kür äis Lammluntz 
äse Vsrla^s Oisäsriebs äis ita^'snisebsn VolLsmäredsn 
vordersitet. dloed vor äsm Drselminsn einer italie- 
niseden XusLadv sinä in äiesem äsäRsedsn Vanäs 2um 
eilten Nals sedte VollLSMärohsn aus äsm Dessin ver- 
sint. OeärueLtes Material bat LeUer kaum vor^s- 
kunäsn. äa^sMN konnte sr eine danäsodriktäebs 
Lamm^un» äsr Dran Duiai Oarloni (lrovni (Xltleli- 
rsrin in Doviod benutzen, äis Dassenäs Ztüske snt- 
dält. Das meiste vmräe auk seinen lessinsr ^Van 
äeruns-en unä LtuLenaui'en-ka'tsn LusammsnMtraMn. 
Ois Lläreden. äis sied übrigens aueb kür äis 6u^nä 
§mt eignen, vmnäe^n in äer HeMl äis bekannten No, 
tivs ab, entbehren aber niebt selten äes Dokal- 
Kolorits, äas iknsn einen besonäsrsn Reis verleidt. 
Lr. 
Ufa-BviprvGMMM. Außer dem Hauptfilm: ,M r. W u", 
den wir im Abendblatt der „Frankfurter Zeitung* vorn 10. ds. 
besprochen haben, läuft in den Ufa-Lichtspielen ein Bei 
programm, das zum Glück für die Zuschauer nicht die übliche 
Misere ist. Wir erwähnen es ausdrücklich, weil sich kürzlich im 
Feuilleton der „Frankfurter Zeitung" eine Zuschrift mit Recht 
über die minderwertigen Hors d'oeuvres beschwerte, durch die sich 
in. der Regel das Publikum hindurchbeißen muß, ehe es zum Ge 
nuß der eigentlichen Mahlzeit gelangt. Dieses Mal sind die Vor 
gerichte wenigstens schmackhaft. Ein Trickfilm: „K'oko als 
Arzt" zeigt das Neueste vorn Titrtenmannchen, einer gezeichneten 
Wgur von entzückender Blödheit. Das Matterhorn von rechts, 
links, oben und unten ist jedenfalls ein Kulturfilm, der manche 
andere Gattung hinter sich läßt. Ferner ist eine ganz nette ameri 
kanische Kleingroteske: „Die Männer sind alle Ver 
brecher" einbezogen; bei welcher Gelegenheit bemerkt werden 
mag, daß das Genre dieser amerikanischen Ein- und Zweiakter 
schon reichlich abgelebt ist. Ueber das Prinzip d'er Wochenschau wird 
noch einmal grundsätzlich zu reden sein. kaca. 
E ^5- 
Abstrakter Iikm. 
Zur Vorführung der Gesellschaft Neuer Film. 
Frankfurt, 12. März. 
Die Berliner Gesellschaft Neuer Film hat sich das 
Ziel gesteckt, statt der üblichen Spielhandlungen solche Bildstreifen 
zu zeigen, die scheinbar aus dem Geist des Films selbst geboren 
sind. Nicht Übersetzungen literarischer Stoffe in die stumme 
Sprache der Optik, sondern ursprünglich optische Vorgänge, die in 
keine andere Sprache zu übertragen sind. Deutsche und französische 
Filmregisseure haben schon seit Jahren Versuche dieser Art an 
gestellt; Gelegenheit, sie im Zusammenhang kennen zu lernen, 
hatte man aber bisher eigentlich nur in den Pariser Avantgarde 
Kinos. Die Gründung der Berliner Gesellschaft ist umsomehr gut 
zuheißen, als sie ihre Programme auch der Provinz Zugänglich 
machen will. 
In der gestrigen Frankfurter Veranstaltung wurden einige 
Studien vorgeführt, die sowohl die Möglichkeiten wie die Grenzen 
der neuen Filmbestrebungen erkennen ließen. Vorauszuschicken ist, 
daß es sich fast durchweg um Versuche handelt, die, wenn nicht 
zeitlich, so doch Zum mindesten ihrer Absicht nach, Zeugnisse des 
Expressionismus sind, das heißt jenes Kunstwollens, das Gehalte 
ohne Gegenstand geben zu können meinte. 
Eine „Diagonal - Symphonie" Viking Eggelings 
(1917!) bewegt Lichtstreifen, Helle Graten und andere geometrische 
Bruchstücke in einem gewissen Rhythmus durcheinander. Es ist, als 
seien Bilder von dem Genre bestimmter Werke Picassos lebendig 
geworden. Hans Richters: „Film-Studie", zu der H. 
H. S L uck e n schm idt die musikalische Illustration geliefert hat, 
läßt durch ein Wolkenchaos Kugeln stügen, die sich in Augen 
verwandeln; setzt Plastersteine in ein Gittergeflecht um, das zu 
taumeln beginnt. Deutlicher noch wird durch den Film „Smak 
Bakia" von Man Ray die Herkunft der abstrakten Motivik 
aus richtigen Gegenständen veranschaulicht. Wasserresiexe sind in 
ihm zu fremdartigen ornamentalen Gebilden destilliert, und mit 
gewöhnlichen Steh Umlegkragen werden reizende Bewegungsspiele 
getrieben. Der Film des Grafen ELienne de Beaumont 
schließlich gewinnt seine strahlenden Lichteffekte aus Gläsern, die 
sich langsam drehen, und Wider scheinenden Spiegeln. ^Da es ihm 
auch um den visuellen Ausweis von Schnelligkeiten zu tun ist, 
kurbelt er in rasendem Tempo Metro- und Dampferfahrten durch 
Paris. 
Es kommt darauf an, was mit diesen Filmen gewollt wird. 
Gewiß ist, daß sie desto mehr bedeuten, je anspruchsloser sie auf- 
Lreten. Erschlossen wird durch sie tatsächlich in einer bisher unge 
ahnten Weise eine neue Welt von räumlichen Konfi 
gurationen. Optische Eroberungen großen Stils sind nicht 
nur jene Filmfragmente, in denen eine starre Ornamentik zu merk 
würdigen gymnastischen Uebungen entfesselt wird, sondern auch alle 
Bildserien, in denen, sei es durch die Wahl- des Blickpunkts, sei es 
durch Isolierung von Teilobjekten, aus der uns vertrauten Ding 
welt Motive herausgehoben und variiert werden, die den bekannten 
Aspekten nicht mehr entsprechen. Die beliebig? Abwandlung ab 
strakter Figuren und konkreter Gegenstände ist ein dem Film vor 
behaltenes Thema, das er gar nicht weit genug ausbauen kann. 
Denn dadurch-, daß er dieses Thema angreist, bereichert er das 
Inventar unserer Vorstellungen um Formen und Zeichen, die alle 
einnial Gehalt zu werden vermögen. 
Aber — und das ist wesentlich —: derartige Entdeckungspar- 
:ien sind sich nicht Selbstzweck. Was sie einheimsen, ist Diaterial, 
das erst der Verwendung in echten Zusammenhängen harrt. In 
dem die gezeigten Filme Zum überwiegenden Teil sich als Kom 
positionen gebärden, erheben sie fälschlich das Material zum 
Gehalt und werden damit hohl und manieriert, wie der Expressionis 
mus als fixierte Kunstrichtung es war. Eggeling glaubte, die Um 
triebe seiner Diagonalen seien eine Symphonie, und auch die an 
dern reihen ihre Impressionen zu einem Ganzen aneinander, von 
dem sie vorgeben, es stelle etwas Ganges dar. Ihre Wendung 
gegen den Spielfilm zugunsten des gegenstandslosen Films ist in-
	        
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