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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.08/Klebemappe 1929 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

genormnen. 
er. 
Inhalt!", ruft er aus. Sein Durst nach Inhalt ist leider inhalts 
los und die Inhaltslosigkeit verwaschen. 
Erich Pommer schließlich will gar nicht so hoch hinaus. Er 
denkt mehr an die prakti chen Chancen auf dem Weltmarkt. Haupt 
sächlich um ihretwillen empfiehlt er, nicht so sehr den „absoluten 
künstlerischen Film" zu Pflegen als „das künstlerische Niveau des 
Unterhaltungsfilms Zu heben". Die Allgemeinheit dieser Vorschrift 
entkleidet sie der Bedeutung, und überdies haben wir in der letzten 
Zeit Hebungsversuch-e erlebt, die uns nur noch tiefer ins Elend ge 
stürzt haben. 
So sieht die delphische Weisheit namhafter deutscher Filnr- 
experten aus. Auch sie kennzeichNet die Situation. 
Dg-r über einem Monat veröffentlichten wir in unserem Feuille 
ton einen Aussatz: „Der heutige Film und sein Publikum", der den 
Tiefstand der gegenwärtigen Produktion, insbesondere der deutschen, 
an Hand von Beispielen ausführlich darlegte. In dem Aufsatz war 
auS guten Gründen nur eine Diagnose gestellt, nicht aber gleich ein 
Rezept verschrieben worden. Mit der Angabe von Mittelchen ist 
dort nicht viel getan, wo es zunächst auf die Erkenntnis des Be 
funds ankommr. 
Nun brächte zu Jahresbeginn die „VoMche Zeitung" unter dem 
Titel: »Hat der deutsche Film 1929 künstlerische 
Chancen?" eine Rundfrage, zu deren Beantwortung sie einige 
der für den deutsch.n Film verantwortliche Männer eingeladen hatte. 
Ihre. Prognosen klingen durchweg hoffnungsvoll — richtige Neu 
jahrsprognosen. die mit der Punschbowle zusammen genossen wer 
den können. Nur eben vermögen wir ihnen nicht Glauben zu 
schenken. Denn an dem Ernst der von uns analysierten Situation 
gemessen, wiegen sie gar zu leicht. 
Wer verkündet denn üLetbaupt die frohe Botschaft? Unter an 
derem Fritz Lang. Ausgerechnet Fritz Lang, der sich, wie wir in 
un'erem. Aufsatz nach weisen mußten, bei allen seinen L atenten gegen 
die Kunst genau so wie gegen die Kolportage versündigt hat, erklärt 
in Silvesterstimmung, daß man es „in der Hand" habe, den deut 
schen Film zu einem „Kulturfaktor" zu machen. Der heutige Ge- 
schisstsfilm hat sich nach seiner Meinung auf einem toten Gleise 
festgesähren; wohlan, machen wir ihn zu einem Kulturfaktor! Das 
ist eine wilhelminische Phrase, die um so weniger besagt, als, Herrn 
Lang, soviel er auch in der Hand gehabt hat, von den „Nibelun 
gen" an bls Zu „Spione" noch niemals ein Kulwrschtor gelungen 
ist. Und gcwiH ist, daß, wenn er seine eigenen Filme nicht für 
Geschäftsprodukte, sondern für künstlerisch hält, wir weder eine 
Kultur haben werden noch ihren Faktor, den er verspricht. 
Herr Wilhelm Dieterle, ein weiterer zum Kronzeugen berufener 
Prominenter, fordert von den kommenoen Filmen,, vor allem von 
den übn ihm selbst herzustellenden, die rechte.Gesinnung. „Zunächst 
einmal soll man klar und deutlich . . . sagen, wie man es meint 
und was man will", so beschwört er die Produzenten. Wie meint 
er es und was will er? Wer ihn als Grafen Harro in dem von 
ihm inszenierten Agnes-Günther-FUm gesehen hat, Muß Angst vor 
der Zukunft haben. 
Dann ist da noch der Regisseur Joe May, der eine inhaltliche 
Neubelebung der Filme verlangt. Der einzige Weg, um von der 
Technik -ur Kunst zu kommen, sei die Verinnerlichung. »Inhalt, 
b--'S rs-kL.„.„., 
ArLm 1929. 
Glossezu einer Rundfrage. 
--- jMfred Döblt» m Frankfurt.) Auf EmMung 
der Frankfurter Literarischea Gesellschaft 
sprach Alfred Doblin am Dtontag abend über die 
Romandichtung von heute und morgen. 
Da unser Mitarbeiter Bernhard von Brentano sich zu 
diesem zuerst in Berlin gehaltenen Vortrag vor kurzem im Lite 
raturblatt ausführlich geäußert hat, dürfen wir uns hier mit 
wenigen Zeilen begnügen. Wir empfinden es mit Genugtuung, daß 
Döblm gegen die modische. Meinung auffteht, die jede MHtuna acs 
veraltet anspricht oder gar le Reportage, d. h. den bloßen Be 
richt über Wirklichkeitssakten, zum Inbegriff zeitgemäßer Dichtung 
erhebt. Durch seine Unterscheidung zwischen der üblichen Roman- 
schrifLstellerei, die den zufälligen äußeren Realitäten in der Form 
des mehr oder weniger dokumentarischen Berichts nachaeht, und der 
echten evischen Gestaltung, die diese Realität durchbricht, um frei 
fabulierend über sie zu verfügen, hat sich der Dichter Döblin ent 
schieden ein Verdienst um die Klärung ästhetischer Elementar^ 
begriffe erworben. Den Wissenden sagt er mit solchen Abgrenzungen 
nichts Neues, aber es gibt leider auch Literaten genug, die so un 
wissend und konfus wie das Gros des Lesepuölikums sind. Schade, 
daß er sich der Anwendung feiner theoretischen Bestimmungen ent 
halten hat. Man hätte gerne gehört, wie er mit Hilfe der von ibm 
gewonnenen Kategorien einzelne moderne Romanwerke nun w'rklich 
beurteilt; findet doch jede ästhetische Abstraktion erst ihre Erfüllung, 
wenn sie wieder auf die einzelnen konkreten Gebilde zurückbe^en 
wivd, von denen sie abgeleitet ist. — Gewissermaßen als Erkurs 
gewährte Doblin gegen das Ende seines Vertrags hin einige ^Ein- 
blicke in den dichterischen Schafsensprozeß. Hier, wo er von eigenem 
berichtete, war er spürbar mehr zu Dause als bei der Entwicklung 
der FormanMsen. Unter den Mitteilungen aus der Werkstatt war 
die wichtigste die über die Rolle der S'nach? in der Epik. Wie er 
besonders glücklich formulierte ist die Sprache eine Kroduktivkrast, 
die den Stoff nicht nur vermittelt, ihn vielmehr geheimnisvoll mit 
erzeugt. Ein einziger Satz, der mit einem Mal vor dem Dichter 
steht, kann zur Keimzelle eines ganzen Werkes werden. — Die Aus 
führungen Döblins. die auch durch die Art ihres Vortrags bedeu 
tend wirkten, wurden mit Teilnahme und Beifall entgegen- 
Kaskadeure. 
Aus dem Variete-Programm des Schumann-Theaters ist trotz 
Jackies Auftreten noch die Nummer Streeth and Streety 
hervorzuheben. Sie ist ein einziger Albdruck Man stelle 
sich bitte vor, daß ein Mann, der ungefähr das Aus 
sehen eines Henkersknechtes hat, einen Leichnam ttagt. 
Den Leichnam eines kümmerlichen Menschen mit rötlichen Bart 
stoppeln, den er wie einen Sack über die Schulter wirft oder unter 
den Arm nimmt. Gut, auch Leichname müssen wahrschernkch 
transportiert werden. Wer der Mann, der wie ein Henkersknecht 
aussieht, begnügt sich nicht mit dem gewöhnlichen Transport, 
sondern hat seine Freude daran, den Leichnam zu quälen, als 
sei er ein lebendiges Opfer, das zu Tode gefoltert werden M- 
Er läßt ihn Zum Beispiel Zu Boden fallen, stößt ihn noch mit den 
Füßen und hebt ihn dann wieder auf. Oder er setzt ihn auf einen 
z Stuhl und Zieht, bäum daß die Leiche einmal Ruhe wie im Grab' 
zu haben glaubt, den Stuhl wieder unter ihr fort. Lauter Spasse, 
zu denen der Henkersknecht fortwährend still grinst.Außer dem 
Grinsen, das einer Lache gleich in seinem Gesicht steht, gibt er 
keine weiteren Lebenszeichen von sich denn er ist ja ganz allein 
mit dem Leichnam. Der sinkt übrigens immer höchst kunstgerecht 
zusammen, wenn er den Halt verliert. Statt einfach hinzuplumpsen, 
schraubt er sich in den Knien tiefer unL tiefer, bis er schließlich § 
daliegt wie eine Leiche. Die systematische Exaktheit, mit der dieser > 
Prozeß stets ausgeführt wird, macht ihn nur umso unheimlicher. 
Das ist nicht ein normaler akrobatischer Akt, sondern eine Märchen 
szene. Und Zwar sind die beiden vermutlich Gespensterfiguren, die 
dem begegnen sollen, der auszieht, das Gruseln Zu lernen. Daher 
auch der Stich von Komik im ganzen Auftritt. U oe a. 
, -- l„Tie Si^zehnjährigen."^ Dieser nach dem Schauspiel 
Drehers gedrehte Film nutzt die gute Konjunktur sür Pubertäts- 
rrl>m ^aus. Die belanglose Fabel kombiniert Verwirrungen der 
äugend und des reiferen Alters mit einem Plädoyer fürs Jugend 
gericht. ^er Held ist ein Pflichtbewußter Staatsanwalt, der" Zu 
neigung zu einem minderjährigen Mädchen faßt, das ihn ebenfalls 
Zur Hauptslgur ihres Innenlebens macht. Tarob verfällt sein 
halbwüchsiger Sohn, der die der Mutter widerfahrene Kränkung 
emplmdet und natürlich auch das Mädchen liebt, in einen schweren 
Drubpnn, aus dem er sich nur durch einen Revolverschuß auf den 
^selten Die kleine Tragödie findet ihren wohl ¬ 
gefälligen Abichlutz vor dem Jugendgericht, an dessen Notwendiq- 
teit nun auch der Staatsanwalt glauben lernt. 
Trotz der Trivialität, mit der diese sattsam bekannten Motive 
angeietzt und entwickelt sind, verdient der Film ein freundliches 
-Wort, zeichnet er sich hoch vor den üblichen Erzeugnissen durch 
gediegene Arbeit aus. Der Regisseur Georg Asagaroff fängt 
Kamera Blickduelle auf und stellt ein Patrizierhaus hin, 
das wirklich das Haus eines Patriziers ist. Bei dem elenden 
Stand der heutigen Produktion versteht sich eine solche Exaktheit 
leider mcht von selbst. In manchen Teilen geht die Reste sogar 
noch über das Gebotene hinaus und erzielt Kammerspielwirkungen 
L^pi verraten seelische Schulung 
ün'dG-Uchtsfaal^ hapert bei einigen Ueberleitungen und 
Eine unfähige Regie kann die ersten Stars ihres Glanzes Le- 
Een, eine gute auch die minderen Kräfte zum Leuchten bringen 
Hier werden namhafte Schauspieler so sorgfältig eingestellt, daß 
Strecken hm ein schön abgewogenes Ensemblespiel ent- 
( A „ .oshelm E gradgezogeneii Augenbrauen, 
druckt dre Unreife des Körpers rd den Uebergung zum Erwachen 
SAaLsanwalL Ada^.U v. SchletLows ist eine 
Mannererschemung in Dur; die durch den Film 
„Mutter beiannte Frau Baranowskaja besteht aus Jn- 
wendrgkeit, treibt es nur mit der Duldermiene etwas zu weit 
Ganz reizend H der Pubertätsjüngling Martin Herzberqs 
- em lockiger Siebzehnjähriger der mit den Augen schmachtet, in 
sich hmernbrutet und heimlich Entschlüsse faßt. ; 
Das Stück ist gewiß auch technisch nicht allerersten Ranges.'
	        
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