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Object: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Wie in anderen Tonfilmen, so treten auch hier deutsche 
Sprecher für die ausländischen Darsteller ein. Aber das ist ein 
Unfug, mag er auch durch eine deutsche Erfindung, das sogenannte 
rhythmographische Tonfilm-Aufnähmeverfahren herbeigeführt sein. 
Es ist nachgerade an der Zeit, gegen diese U«rbersetzungs-! 
Methode laut und öffentlich zu protestieren, sonst wird i 
durch den Sprechfilm noch der letzte schwache Rest des Sprach-^ 
gefühls getilgt, den wir zu verlieren haben. Unerträglich, daß die 
auf den Pariser Argot zugeschnittene Figur der Heßling deutsche 
Mutterlaute tönen muß, daß Murfkis Muschik-Visage biderb- 
einheimisch redet. Man glaubt die babylonische Sprachverwirrung 
Wo der Untergrund eingetrocknet ist, kann das Kunst 
, gewerbe gedeihen. Seine Art ist: Stilblüten hervorzutreiben, 
! die sich vom Stil dadurch unterscheiden, daß sie ohne Stiel sind und 
erst recht keine Wurzeln haben. Wäre noch dieser Film einheitlich 
stilisiert! Aber seine Hersteller sind so jedem Zwang enthoben, den 
die erfahrene Wirklichkeit auferlegt, daß sie gleich mehrere Stil- 
könsteleien miteinander vermischen. Aus gewissen französischen 
Avantgarde-Filmen, so einer seiner Zeit im Studio des Ursulines 
gezeigten Schlagerfantasie Cavalcantis, scheinen sie die Be 
wegungsgesetze geschöpft zu haben, nach denen sich Catherine 
Heßling drehen und wenden muß. Ihre Mimik paßte zu einem 
Pariser Chanson, verträgt sich jedoch durchaus nicht mit dem 
Gebärdenspiel Jean Renoirs, der, vermutlich nach dem Willen 
der Regie, einem Wedding-Cavalier aufs Haar gleicht. Dazwischen 
mengen sich naturalistische Landschafts- und Budeneffekte. Ist 
wenigstens die Haupt- und Staatsakten des eigentlichen 
Silhouettenfilms in sich geschlossen? Ach, auch sie, die einige 
hübsche, routiniert aufgemachte Bildeinfälle enthält, durchbricht 
wiederholt die Grenzen der Scherenschneiderei und strömt über 
gesprenkelte Flächen ins Jenseits der strengen Schwarzweißkunst. 
Um ganz davon zu schweigen, daß Lotte Reiniger Sei ihrer Jagd 
nach dem Glück nicht die geringste Idee im Köcher gehabt hat. 
Alles in allem ist so der Film ein kunstgewerblicher Querschnitt 
durchs Modische wie der „Querschnitt", eine Sache für anspruchs 
losere Snobs, der noch dazu Titel von gewollter Primitivität die 
nötige Süßlichkeit verleihen. 
„Ermattet gibt er auf das Spiel, 
Denn was zuviel ist, ist zuviel", 
hecht es einmal. Was richtig ist, ist richtig. 
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Die Handlung könnte schön sein. Zwei junge Leute, Liebende 
natürlich, ziehen mit dem Vater des Mädchens im Schaubuden- 
wagen durch Südfrankreich. Da das Geschäft schlecht geht, be 
schließen sie gegen den väterlichen Willen ein Theater mit beweg 
lichen Scherenschnitten zu eröffnen. Nach Lausend Schwierigkeiten 
gelingt ihnen endlich ihr Vorhaben, und sie führen im ausver 
kauften Leinwandzelt ihr Schwarzweißstückchen: „Die Jagd nach 
dem Glück" auf. Nun lächelt Fortuna auch ihnen. 
Daß die Fabel dürftig ist, wäre 'nicht schlimm, wenn ein starker 
Atem ihre kleinsten Elemente bewegte. Der echte Film zieht ja 
seine Kraft nie aus der in Worten ausdrückbaren großen Gesamt- 
handlung, sondern stets nur aus der Spannung, mit der seine 
winzigen Bildeinheiten geladen sind. Aber in dieser „Jagd nach 
dem Glück" sind die einzelnen Szenen nichts weiter als Füllsel, 
die leere Flächen ausfüllen, statt die Komposition wirklich zu er 
füllen. Sie sollten das Leben des Ganzen keimhaft enthalten, und 
sind bloße Dekorationen. Was nutzt die reizende Matrosenszene mit 
den GuckkasteaSildern oder die ausgezeichnete Rummelplatzmontage? 
Sie gehen nicht als Bestandteile ins Ganze ein, schimmern viel 
mehr wie Reklamemalereien auf großstädtischen Bauzäunen. Einmal 
sucht Jeanne im Jahrmarktstrubel verzweifelt ihren Freund 
Mario — eine Bildfolge, die offenbar dem unvergeßlichen Film: 
„Zwei junge Herzen" entlehnt ist. Während sie aber dort einen Ge 
halt verkörpert, der nicht zu missen wäre, ist sie hier eine mehr 
oder minder überflüssige Dreingabe. Es fehlt der fruchtbare Grund, 
aus dem die Details sprießen müßten, und beziehungslos reiht 
sich Mache an Mache. 
I)ie Jagd nach dem Htück. 
Berlin, Ende Mai. 
Die Uraufführung des Films: „Die Jagd nach dem 
Glück" im Marmorhaus, war mit allen Mitteln der Propa 
ganda in Szene gesetzt. Glänzender Aufmarsch der Namen: Lotte 
Reiniger hat sich, nebst Carl Koch und Rochus Gliese, um 
Manuskript und Regie bemüht. Hauptdarsteller sind die Fran 
zosen Jean Renoir und Catherine Heßling, der Russe 
Alexander Murski und die Amerikanerin Amy Wells. Eine 
internationale Assemblee und als Thema das Neueste vom Neuen: 
eine Verbindung von To n - und Silhouettenfilm. 
Was ist bei dieser schon lang mit Trompeten angekündigten 
Jagd nach dem Filmglück erjagt worden? Kunstgewerbe. Nicht 
einmal gutes. 
zu beheben und stifte: eine heillose Verwirrung zwischen der Geste 
und dem dazugehörigen Wort. Und das in Aera der „Körper 
kultur", in der alle Jünglinge und Mädchen so ausdrucksvoll 
hopsen. Hier hilft nur zweierlei: entweder man läßt nach dem 
Rezept: „Deutsche, trinkt deutschen Wein" deutsche Darsteller 
deutsch sprechen, oder man nimmt mit den ausländischen Schau 
spielern auch ihr angestammtes Idiom in Kauf. In diesem zweiten 
Falle kann ja wie Lei den ersten importierten Tonfilmen der 
deutsche Text an wichtigen Stellen unauffällig beigefügt sein. 
S. Kracauer.
	        
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