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Object: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

relief des Reichsadlers vorgesehen. Es werden die gedanklichen 
Motive der .Komposition gewesen sein, die den ReichskunstwarL 
Dr. Redslob, den Berliner Stadtbaurat Wagner und den Mini 
sterialdirektor Kießling dazu veranlaßt haben, sich für sie auszu- 
sprechen. Wäre nur etwas mit solchen Intentionen -getan! Wie 
faßlich immer sie sind, ihre Durchführung ist zweifellos fragwürdig. 
Nicht so, als ob es Mies van der Rohe am Können gebräche; aber 
die Macht, in Symbolen zu sprechen, hängt nicht allein vom künst 
lerischen Vermögen ab, sondern von Bedingungen, über die der ein 
zelne keine Gewalt hat. Vielleicht hat der Künstler diese Bedingungen 
für gegeben erachtet. Daß sie es nicht sind, beweist sein Entwurf.Wider' 
jede Erwartung gleicht er nämlich gewissen komfortablen Vesti 
bülen, die der Stolz manchen Großunternehmens sind; wozu noch 
die Lichtröhren auf der Eingangsseite und die Tür im Hintergrund 
beitragen, die den Gedanken der Totenkammer halb und halb 
wieder aufhebt. So schlägt jedes objektiv nicht zureichend fun 
dierte Pathos in sein Gegenteil um. Aber es ehrt Mies van der 
Rohe, daß er mit seinen großen Mitteln das Unmögliche versucht 
hat. Er ist nur und erst dort gescheitert, wo wir alle zwangsläufig; 
scheitern und mußte wahrscheinlich für seine Person einmal die Er 
fahrung der Grenze machen. 
Professor Poelzig hat sich an die Forderung des Preis 
ausschreibens gehalten und ein unbedachtes Atrium errichtet. Zahl 
reiche Pfeiler, die oben frei endigen, umgeben einen kleinen Hof, 
in.dem sich ein Grab befindet. Die Pfeiler sind, offenbar der grö 
ßeren Feierlichkeit wegen, lang und schlank wie Spargel geraten 
und stehen nicht nur in keiner Beziehung zur Schinkelschen Außen- 
architektur, sondern widerstreben ihr sogar. Das Grab, auf das sie 
herabblicken, ist ein zweifelhaftes literarisches Apercu, das in der 
Diskussion ums Reichsehrenmal eine gewisse Rolle gespielt hat. 
Ein Naturgrab, dessen Erde den verschiedenen Schlachtfeldern ent 
nommen werden soll. Schlimmere Auswüchse hat die bei uns leider 
heimische Gesühlsverblasenheit wohl selten gezeitigt. Denn das 
Kriegergrab, in dem niemand liegt, wird gerade durch seinen Natu 
ralismus zur reinen Dekoration erniedrigt. Es ist weniger ein 
Symbol als eine peinliche Farge. Und wie hoffnungslos ist der 
abstrakte Wahn, durch die mechanische Addition der Schlachtfeld 
erden alle erdenklichen Trauermöglichkeiten befriedigen Zu können! 
Poelzig hat sich , nicht nur diese glorreiche Rechenkunst zu eigen 
gemacht, sondern läßt zum Ueberfluß auch'noch zwei mächtige 
Flammen aus den Eckpylonen der Fassade hervorschießen, die genau 
so nichtssagend sind wie die Grabkopie. Kurzum, der ganze Ent 
wurf ist ein gigantischer Leerlauf. 
Ein Wort noch zur nicht in Vorschlag gebrachten Arbeit von 
Peter Behrens. Sie ist kalt und kommt dem Thema mit 
bekannten Mitteln Lei, ohne sich in geistige^Unkosten zu stürzen. 
Vermutlich hat der Auftrag Behrens nicht recht gelegen. Daher 
die Farblosigkeit des Projekts und seine überlebte Haltum 
Hessenow baut das Berliner GyrenmaL 
Berlin, im Juli. 
Die Regierungen des Reichs und des preußischen Staates 
haben sich in dem Wettbewerb um das Berliner Ehrenmal, über 
den wir hier vor einigen Tagen berichteten, für die Ausführung 
des Entwurfes von Professor Tessenow entschieden. Man darf 
sie zu diesem Entschluß beglückwünschen. Von heute vormittag ab 
sind die eingereichten sechs Arbeiten im großen Saal des Herren 
hauses öffentlich ausgestellt. Auch ist schon ein Bauzaun um die 
Schinkelwache errichtet; ein sichtbares Zeichen dafür, daß mit der 
Ausführung bald begonnen werden soll. 
Ich möchte, ehe ich auf die von den Gutachtern ausgezeichneten 
Arbeiten eingehe, die in der Tat auch die besten sind, die all 
gemeine Bemerkung vorausschicken, daß die Aufgabe eines Ehren 
mals in unserer gegenwärtigen Situation kaum zu bewältigen ist. 
Gewiß, man kann pathetische Denkmäler aufrichten und die ihnen 
zügeschriebene Bedeutung durch irgendwelche Sinnbilder unter 
stützen — aber hatten wir nicht an unseren Bismarcktürmen 
genug? Es ist nun einmal so: die positive Aussage ist uns zur 
Zeit nahezu völlig verwehrt. Weder ertragen wir- sie in der litera 
rischen Sprache noch in der Sprache der Architektur. Daß die 
modernen Kirchen wie Getreidesilos oder wie Bahnhöfe aussehen, 
ist sicher kein Zufall, und ebenso ist durchaus in der Ordnung, daß 
gerade die reinen Zweckbauten, die nur der nüchternen Praxis 
dienen, noch am ehesten den Eindruck zweckfreier Gestaltungen 
erwecken. Sie sind die einzigen echten Monumente der Zeit. Woher 
das rührt. In Deutschland unter allen Umständen daher, daß wir 
in bezug auf die wichtigsten Lebensverhältniffe viel zu uneins sind, 
nm uns in einer Erkenntnis, die alle verbände, wieder zu finden. 
Sie wäre nicht wirklich für uns. Sie mag erstrebt werden, aber 
sie ist nicht vorhanden. Nur um eine Notlösung kann es sich also 
bei dem Ehrenmal handeln. Nicht die beflissene Darstellung seines 
Gehalts ist geboten — was wissen die meisten Menschen heute vom 
Tod? —, sondern die äußerste Enthaltsamkeit ihm gegenüber. Eine 
Gedächtnisstätte für die Gefallenen im Weltkrieg: sie darf, wenn 
wir ehrlich sein wollen, nicht viel mehr als ein leerer Raum sein. 
Das eben ist der Anstand des Dessen owschen Entwurfes, 
daß er nur geben möchte, was wir besitzen. Von den Gutachtern 
haben ihn Generaldirektor Waetzoldt, Professor Kreis, Ministerial- 
rat Bchrendt, Karl Scheffler und Ministerialmt Rudelius vom 
Reichswehrministerium seiner Einfachheit, seiner allgemeinen 
Verständlichkeit und seiner MbereinstimmM mit dem Schin'kel- 
bau wegen an erster Stelle empfohlen. Das Kollegium hat sich 
in diesem Falle (wie auch bei ein paar anderen Entwürfen) von 
der Auslobung emanzipiert, in der erklärt wird: „Die vorhandene 
Grundrißanlage und die Zweckbestimmung sprechen dafür, den 
Mittelpunkt der Gedenkstätte unter freiem Himmel, in einem kleinen 
Hof, anzuordnen. Der Gedanke einer atriumartigen Anlage ist 
daher der Lösung Zugrunde zu legen." Eine Vorschrift, deren 
Befolgung, wie die Beispiele Zeigen, zu keiner glücklichen Lösung 
geführt hat. Tessenow ist von ihr Zugunsten eines nackten Jnnen- 
raumes abgewichen, dessen Wände den schönen SteinschniLL der 
Schinkeff wiederholen. Sonst fehlt es der Halle Ganz an 
Symbolen und Ornamenten. Das heißt, um nicht zu unter- 
Lreiben: in ihrer Mitte erhebt sich ein simpler Block, der einen 
Kranz trägt. Diese höchst unprätentiöse Angelegenheit ruht im 
Licht, das auf sie aus der kreisrunden Deckenöffnung fällt, deren 
Gewände mit den Jahreszahlen des Kriegs versehen sind. Außer 
dem stehen noch zur Rechten und zur Linken des Kranzsockels 
zwei Leuchter, die dünn in die Luft ragen. Das ist nicht viel, 
das ist sogar sehr wenig; aber es ist in Anbetracht unseres augen 
blicklichen Wirtschafts- und Geisteslebens gerade genug. Die 
gute Bescheidenheit Tessenows hat den Schmuggel mit meta 
physischer Konterbande Zu vermeiden gewußt und sich auf die 
würdige Proportionierung des Gedächtnisortes beschränk. Seine 
Komposition ist vielleicht zu zart, zu empfindungsselig für den 
Zweck, den sie Zu erfüllen hat. Doch immer noch besser die lautere 
Privatheit, die sich erlogene Gefühle verkneift, als eine hohl dröh 
nende Objektivität ohne individuellen Einsatz. 
Mies van der Rohe, dieser ausgezeichnete VauWnstler, 
hat sich in das Abenteuer gestürzt, das Tessenow aus richtigen 
Gründen nicht wagte. Zum Unterschied von diesem unternimmt er 
es, dem Gedanken des Ehrenmals seine volle Gestalt Zu verleihen. 
Er will der Erinnerung ein Körpergehäüse schaffen, in dem sie 
sich wirklich ergehen kann. In solcher Absicht entwirft er einen 
Lichtlosen Jnnenraum, der nur durch die Fassadenfenster notdürftig 
erhellt wird. Die Wände der Gruft sind aus dunklem Marmor, 
und inmitten der Finsternis ist eine Grabplatte mit dem Flach
	        
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