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Object: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

jener Tauber-Film: „Das lockende Ziel" parodiert, dessen wir uns 
noch mit Schrecken erinnern. In einer anderen Zwischenszene ge 
langt ein Sängerwettstreit Zum Austrag, der wie ein Boxkampf 
aufgemacht ist. Dann kommt Jannings in der Maske Professor Un 
rats an die Reihe; natürlich hängen ihm die Hosenträger herab 
Und so fort. Immerhin, manche Einfälle sind reizend. Der 
Generaldirektor der kuriosen Gesellschaft fährt etwa mutterseelen 
allein in einem riesigen Autobus vor; die flüsternden Patienten 
eines Halsspezialisten sollen den Eindruck erwecken, als ob sie Ge 
sangsschüler seien; verschiedene Stimmen werden während eines 
Auftritts plötzlich miteinander vertauscht. Aber die Komik ver 
sandet immer gleich, und im schwatzhaften Konfektionshumor, der 
nicht weiß, was er eigentlich will, gehen die besten Pointen unter. 
. Max Hansen singt seine Schlager mit einem Wiener Charme, 
der nur — offenbar aus Rücksicht gegen das Berliner Milieu — 
etwas dick aufgetragen ist. Wie er, so machen auch Morgan und 
Jöken, der ein Bonvivant von einem Tenor ist, die Leinwand zum 
Kabarett. Einmal taucht im Vorübergehen die Werbezirk auf 
und gebärdet sich als Marlene Dietrich. Man lacht überhaupt hie 
und da; das ganze Larifari stimmt aber eher traurig. 
Außer Paul Nikolaus konferiert noch Werner Fink, der 
vor kurzem in der -Katakombe" den Ansager spielte. Dort in der 
Bellevuestraße, inmitten eines jungen Ensembles, standen ihm 
reizende Unverschämtheiten zu Gebote, die munter durch die Decke 
der gemachten Schüchternheit drangen. Im Riesenraum und im 
Smoking ist ihm nicht viel mehr als die Schüchternheit verblieben, 
und auch der Nikolaus hat keine Rpte bei sich. Es geht ein wenig 
über Frick her, über die Staatspartei und den Reichstag, aber 
heilige Gefühle werden nirgends verletzt. Die akustische Täfelung 
hat einen grauen, indifferenten Ton. 
Tänze sind wortlos und können das vor den Wahlen besonders 
empfindliche Publikum nicht leicht entzweien; schwöre es nun 
auf Hugenberg oder Mahraun. Also wird viel getanzt. Die Diener 
Gruppe Gisa Geerts hüpft und springt wie in der Sommer 
frische umher: nette Mädchen in netten Kostümen, aus der guten 
alten Zeit, mit Gymnastik. Auch Aida Kawakami mimt nicht 
gerade unsere Wirtschaftsdepression oder moderne Erotik — eine 
kleine Japanerin, die sich im Silbergewand kultisch windet. 
Rascher als sie, deren Gebärden einer Zeit angehören, die mehr 
Zeit als die unsere hat, kommt das Paar Vivian und Darewski 
vom Fleck, das von Kopf bis zu Fuß auf Salonakrobatik einge 
drillt ist. 
Warum heißt Las musikalische Bild Maria Neys ausge 
rechnet: „Matrosen in Marseille?" Sie sitzt, umgeben von Matro 
sen mit Zieharmonikas, vor einer Dekoration, die Zwar bunt ist, 
aber nicht Marseille darstellt, und singt Seemannslieder aus Ham 
burg. Dazwischen klöhnt sie ein bißchen, und das Ganze nennt 
sich Choreographie. Eine St. Paüli-Leinwand hätte besser dazu 
gepaßt. Warum just in Marseille? Für die vielen Snobs vermut 
lich, denen ein Bouillabaisse lieber ist als die Marseillaise. — 
Daß man auch ohne die südliche Hafenstadt auskommen kann, 
beweist Paul O'Montis, dem ein Monokel genügt. Seine 
geschliffenen Coupletvorträge enthalten sogar einige literarisch^ 
Pointen. 
Der Hauptbestandteil des Abends ist das Stück: „Majestät 
macht Revolution", ein Operettchen von einer Operette. Majestät 
ist ein guter Junge, der mit einer Amerikanerin... aber die Idee 
ist so hauchdünn, daß sie zergeht, wenn man sie nur anrührt. 
Wenigstens hilft sie dem jüdischen Finanzminister Sig'i Hofers 
auf die Watschelbeine und ermöglicht ein von Gerda Maurus 
und Fritz Schutz gesungenes, wirklich scharmantes Kartenspiel 
Duett, das aus der Fabrik von Friedrich Holländer stammt. Aus 
der Werkstatt zu sagen, wäre ein Anachronismus. 
Als ÜLM end steigt: „Der Sensationsprozeß Katharina 
Kreß". W'as geschieht darin? Man lacht. Hans Waßmann lacht, 
Otto Wallburg lacht, und so bleibt auch dem Publikum nichts 
anderes übrig, als über den Blödsinn zu lachen. Noch draußen an 
der Garderobe habe ich einen dicken Steuerzahler lachen sehen. In 
diesen Zeiten... 
Auf der Leinwand: 
Max Hansen, Paul Morgan und Carl Iöken haben sich 
zu einem im Capitol uraufgeführten Tonfilm: „Das Kabinett 
des Dr. Larifari" zusammengetan, der eine Art von Ulkrevue 
ist. Man will von der Leinwand herab in die Breite wirken; schade, 
daß auch der Ulk so breit wirkt, statt knapp oder gar tief. Ueberdies 
nährt er sich viel zu ausgiebig von Anspielungen, die gerade in 
Berlin gängig sind, um in den fernen Provinzstädten sein Ziel Zu 
erreichen. 
Rahmenhandlung: das immerfort lustige Trio beschließt, durch 
die Gründung einer Tonfilm-Gesellschaft reich und glücklich zu 
werden. Was es mit dieser Gesellschaft auf sich hat, kann man sich 
ungefähr denken. Ihre Hauptrequisiten sind prunkvolle Büros, eine 
Zu Poussierzwecken geeignete Sekretärin und mehrere verwegene 
Mmprojekte, die als Einlagen dienen. So wird in einer Szene 
Ist es auch nicht glutheiß, so doch immer noch Sommer. Und 
außerdem hat Herr Robitschek in seinem Programmheft eine ganze 
Wunderbar von schönen Sachen versprochen. Wir wollen auf die 
Wintersaison warten und ihn einstweilen zur guten Akustik be 
glückwünschen. 
Kabarett und Hperette. 
Lv Berlin, Anfang August. 
Auf der Bühne. 
Herr Robitschek hat sein Kabarett der Komiker um 
bauen lassen. Ein vertiefter Orchesterraum ist geschaffen, eine neue 
Täfelung angebracht worden. Aus akustischen Gründen. Der Klein 
kunstsaal gleicht nun ganz und gär einem Theatergroßbetrieb. Nur 
achtundzwanzig Tage haben die baulichen Arbeiten gedauert, 
kaum war die Zeit, richtig zu proben. Herr Robitschek bittet daher 
um Nachsicht. 
Die Tonfilmoperetten beginnen eine Plage Zu werden. Immer ! 
neue kommen zur Welt, die immer die alten sind. Die jüngste, die im! 
Universum gestartet ist, nennt sich: „Ein Tango für dich". 
Sie enthält Ungarn ohne Paprika, Schlager, die nicht schlagen, und 
gleich zwei Jazzsänger auf einmal, deren einer (Willy Forst) auch 
noch Al Jolsen mit Glück imitiert. Ein zäher Brei aus abgestande 
nen Motiven, der dem Publikum umständlich eingelöffelt wird. 
Warum schluckt es stets wieder diese Mixturen, wo es sich doch im 
Leben vor den Quacksalbern hütet?
	        
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