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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

So bleibt uns nur noch eines: die Freude über die Klar-! 
heil, mit der Herr Kommerzienrat Röchling sich gegen 
die Dikiaturgelüste ausspricht und fürdaspar- 
lamentarisch-demokratisch« System, auch dann, 
wenn ihm in seiner Handhabung manches nicht gefällt wie 
uns ja auch. Er plädiert für den Zusammenschluß des Bürger 
tums. Wir wünschten, daß man gerade in seinen Kreisen er 
kenne, woran dieser Zusammenschluß scheitert: an der Politik"' 
des Herrn Dr. Schölz, der die Deutsche Volkspartei einseitig 
nach rechts zum Bündnis n^t den Konservativen führen will. 
Wir haben die schwere Gefahr, die sich hier durch diese 
Gruppierung „Scholz plus Westarp" für die ganze 
innerpolitische Entwicklung in Deutschland auftut, in unserem 
Artikel in Nr. 638 der „Frankfurter Zeitung" eindringlich 
aufgezeigt. Und wir haben in dem Leitartikel vom 1. Sep 
tember das ausgeführt, was sich für die geistige Ent 
scheidung des Unternehmertums — dessen In 
teressen in Wahrheit mit denen der Arbeiterschaft unzertrenn 
lich verknüpft sind und das es sich aus seinen eigenen Lebens 
notwendigkeiten heraus nicht leisten kann, reaktionär zu sein 
— unseres Erachtens daraus ergibt. ___ 
Aufenthalt in der Bretagne. 
St. Malo, Ende August. 
Lebendes Bild. 
Im Schaufenster einer Bilderrahmenhandlung dicht beim 
Kurfürstendamm hing während langer Monate immer das 
gleiche Gemälde. Fünf Gestalten in Fischerkostümen beugen sich 
nebeneinander über eine Brüstung und starren, wohin? Offen 
bar ins Meer unter ihnen. Das Meer selber kann man nur 
ahnen, da es durch die Brüstung verdeckt wird. Man sieht 
nicht mehr als die fünf mächtigen Kehrseiten in Ultramarin 
und einen blutroten Horizont. Auf solchen Oelbildern geht 
die Sonne stets auf oder unter. Obwohl ich täglich mehrmals 
an dem Gemälde vorbeikam, drehte sich nie eine der Gestalten, 
nach mir um. Sie waren vom Meer fasziniert, das der Maler 
uns vorenthielt. 
Da ich zu meiner Erholung auch über die Brüstung blicken 
wollte, fuhr ich nach St. Malo in der Bretagne. Spät 
abends komme ich an, müd von Paris und der öden Fahrt 
bis zur Küste. Das Zimmer im Hotel wird mir seiner Stille 
wegen gepriesen. Wenn es still ist, muß Sä Malo noch viel lauter 
sein. Gerade unterhalb meines Fensters scheint sich ein Park 
platz für Autos zu befinden, denn in jedem Augenblick springt 
ein Motor an und entfernt sich mit Radau. Auch braust und 
rauscht es draußen von Zeit zu Zeit, in regelmäßigen Ab- 
ständen. Wahrscheinlich das Meer, denke ich im Bett, und freue 
mich schon im voraus. „I äont MiM 80," ertönt eine 
Stimme im Nebenzimmer, und „'VMnt" und „I tkluL 80". 
Die gleichmäßige, unbeteiligte, naßkalte Stimme eines Eng 
länders, die zweifellos dazu fähig wäre, den zartesten Traum 
zu zerstören. Ich könnte die Stimme unbarmherzig erschießen. 
Schritte Hallen in meinen Schlaf hinein und durchmessen ihn 
wie einen Korridor, der sich bis zum Erwachen dehnt. Es ist 
hell. Ich blinzle dem Tag zu, und stehe: 
Fünf Gestalten neigen sich über die Brüstung einer 
Festungsmauer, die vor meinem Fenster hinstreicht und mir 
jede Aussicht versperrt. Genau wie auf dem Bild kehren sie 
mir den Rücken zu; also wird es das Meer sein, das sie be 
trachten. Wie ich ans Fenster trete, merke ich, daß das nächt 
liche Rauschen und Brausen von einer Bedürfnisanstalt in 
der Mauer herrührt. Mag es Aberglaube sein oder nicht: das 
lebendig gewordene Gemälde erscheint mir als eine besondere 
Fügung, und daß ich die sehe, die das Meer sehen, beruhigt 
mich über die Wahl des Orts. Zuletzt ereignet sich überdies, 
was ich vor dem Bild immer vergeblich erwartet hatte: die 
fünf Leute drehen sich nach mir um. Und nur, weil ich, so 
früh am Morgen, noch nicht auf eine Besichtigung eingerichtet 
bin, ziehe ich mich in den Hintergrund des Zimmers zurück. 
Ringbahn zu Fuß. 
Die Mauer vor meinem Fenster ist ein Stück des alten 
Ringwalles, der ganz St. Malo umgürtet. Er ist der reizendste 
Spaziergang, den es gibt. Einmal weil er nur knapp drei 
viertel Stunden dauert, und dann, weil er so abwechslungs 
reich ist, als sei er viel länger. Natürlich befindet sich auf der 
Steinpromenade ein Denkmal von Chateaubriand, der ins 
Meer hinein sinniert. Wenn einer noch nicht gewußt hat, daß 
Chateaubriand aus St. Malo stammt — war er nur einen 
Tag hier, so weiß er's für alle Zeiten. Hotels heißen nach ihm, 
Straßen, Anstalten und Schiffe, und noch in der weiteren 
Umgebung dient er-als Fetisch. Die Leute sind glücklich, wenn 
sie einen Namen haben, den sie immer anwenden dürfen. Nach 
außen grenzt der Wall ans Meer, an die Hafenanlagen und 
an ein paar Straßen mit Trambahnen und Lastfuhrwerken. Das 
Meer ist von einem hysterischen Wankelmut. Will man an den 
Strand, so wird er sicher gerade von der Flut überschwemmt. 
Dicke Wassermassen rollen dann geräuschvoll herbei und weichen 
wieder dünn wie Oblaten von hinnen. Es ist, als schleudere 
ein wütender Verkäufer Tuchballen auf den Ladentisch und 
lasse jedesmal eine einzelne Stofflage zurück, damit die Dame 
das Muster beurteilen kann. Will man dagegen im Motorboot 
fahren, so herrscht unter allen Umständen Ebbe. Die Tuch 
- ballen sind fort, wo Meer war, ist eine Sandfläche, auf der sich 
die Kähne schief herumdrücken, und der Landungssteg liegt 
irgendwo draußen. Ich begreife übrigens nicht, daß man immer 
nur Landstreicher sagt; Meerstreicher wäre mindestens ebenso 
richtig. 
Abend für Abend gehe ich über den Wall und folge dem 
Beispiel der fünf Gestalten, die sich mir zugekehrt haben. Hier 
i tut man sich leichter als auf der Stadt- und Ringbahn, die 
! viel zu rasch fährt. Wo ich mag, kann ich halt machen, und 
überall erschließt sich mir das Innere der Stuben. Ein Mütter 
chen aus dem vorigen Jahrhundert näht am offenen Fenster, 
um Licht zu sparen; Besucher sitzen zeremoniell inmitten eines 
Louis-LVI-Mobiliars; Gäste einer Familienpension speisen, 
eng aneinandergepreßt, unter roten Ampeln zu Abend; ein 
Ehepaar bastelt in seinem Schlafzimmer herum. Sie wissen 
zwar alle, baß sie vom Wall aus beobachtet werden können, 
denken aber nicht immer daran, und benehmen sich dann erst 
^echt wie Schauspiels in einem Theaterstück mitwirken. 
t In r i t e e h r n es n s l e i n ch i m i v it e i d rk e n n ü en p i ft d . e M r a A g r d f b ie d e se it a e u P c r h s , c i in h s a ow f d t e i it u k s n ie z p i e o r l l i i - - 
! s t l i ta s is c nc h ghee or dW g a a isr n ts i U s c i n e ht r ae t frtn is e t dhu ( m w rce e hr n t i u g em s in t e e s n e s slboez a ir u al f nisi d tcis e hc m t hae P n a as p bel i iö e ns r ee ) r , n A d uw ie fog k lale a bne p : it v a se l o i r - -- 
z efso w ionr. e tbsN i a f c e irhce lt hrn , ittt k lani a clu n sh n re,ms e d s iat ßV s d ic ede h rirhe je aRW d let e eai n rnkt f st a ico ll hn s z-au e fDrt h s e afü r ssah m ckrhel i il t rinc d hdge e ut n r rpc A ha Br r a b eed e indo it ex e eu, r nt s tuas c bnc h heg a ire ft deiehs v n e riee r s - srt 
F be u f n e k s t t i i o gt n e e n n , s d ie ie k m äm en e s n ch a li u c c h h fa in ßli g ch ru e nd fü le g g t e e n n de u n nd W s i o rts si c c h h a m fts o f r r a a li g s e ch n 
weniger mit den Arbeiterorganisationen als mit den Rechts- 
g s r e u in pD e p ae C ns ha iUn n n ce tKer a on u ne s fhl , ikm w te. e r n tu n m es m s u ic ß h u s n ic a h b e h n ä t n sc g h ig eid v e o n n . je E n s en nu M tz ä t ch n te u n r 
hält, die in das moderne Wirtschaftsleben wie ein Ana 
chronismus hineinplatzen. Hat es den Glauben an seine 
M nä is re si n on U , n d t e e n rs e ta s n h d ab z e u n f d lü a c r h f, te s n o , b i r n auc d h e t m es es nic a h m t in all d e e rw n e r n e i a g k s t t i e o n - 
v F o re rm ien Un s w ta e n t d te u r n b d ew a a u h fg r e t s b c l h e l i o b s e s n en w g ir e d g . en Ih üb m er h a ä ll l e t n es M v ä ie c l ht e e h n er d i e m s 
Fortschritts.
	        
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