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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Theater in Aranksurt. 
Iw Schauspiethaus. 
^Straße" von Elmer E. Riee. 
Eine dramatisierte Reportage über das Leben und Treiben in 
und vor einem New Uorker Mietshaus. Es liegt hinter Wolken 
kratzern und steckt voller Kleinbürgergraus. Thema: das Neben- 
und Miteinander mehrerer Mietsparteien im Souterrain, im Erd 
geschoß und im ersten Stock (Die höheren Etagen scheinen Blind 
fenster zu haben.) Es geschieht, was in einer solchen Hauskaserm 
zu geschehen pflegt. Oben wird ein Kind unter Schmerzen geboren, 
und unten flüstern sich junge Menschen Liebesworte Zu. Einer 
erleidet ein Schicksal, von dem andere nichts merken. Man haß: 
sich wegen der zu großen Nähe und erweist sich Gefälligketten, 
weil man sich nah ist. So ist das Leben. 
Warum wird es angepackt? In den alten naturalistischen 
Stücken wußte man, was gemeint war; dieser amerikanische 
Realismus von heutzutage ist in entscheidendem Sinn grundlos. 
Weder setzt er sich für eine bestimmte Tendenz ein, noch kristalli 
siert sich ihm irgendein Gehalt aus dem Stoff heraus. Stur be 
trachtet er die Tatsachen und stellt sie zusammen. Das ist die 
Welt, durch Photographien gesehen, die Welt in den illustrierten 
Beilagen, die das Untergrundbahnpublikum müd überfliegt. Doofe 
Aspekte, die ungedeutet bleiben und ohne Bedeutung sind. Von 
ungefähr nur regt sich in der Tiefe das Gefühl, daß dieses merk 
würdige Kaleidoskop eben das Leben sei. 
Der Mangel an einem Wohin und Wozu rächt sich durch den 
Mangel an jeglicher Komposition. Um das Stück über den ersten 
Akt hinauszutreiben — er ist bei weitem der beste —, müssen 
überflüssige Zwiegespräche als Füllsel eingestreut werden und zu 
fällige Passanten das Straßenleben illustrieren. Denn die Haupt- 
und StaatsaMon des Eifersuchtsdramas ist längst nicht Hand 
lung genug. Sie ist aus dem Gerichtssaal geholt oder entstammt 
einem Magazin. Eine ziemlich blöde Geschichte von einem Arbeiter, 
der mürrisch ist, weil er mürrisch ist, und seiner Frau, die sich aus 
Lebenshunger einen Geliebten hätt. Der Arbeiter erschießt das 
Paar, es knallt öfters, und die Polier behauptet das Feld. Der 
gleichen kommt in Mietshäusern gelegentlich vor. Hier kommt es 
vor, damit das Stück drei Akte lana dauern kann. 
Es bleiben die Typen und das Milieu. Die Hausinsassen sind 
genau photographiert und einzelne kleine Reportagen wohl gelun 
gen. Erwähnenswert die Dame vom Wohltätigkeirsamt, die eim 
Familie auf die Straße setzt; der Ostjude, der seinen Marxismus 
^"^rkäuL; der Flirt zwischen jungem Angestelltenvolk, das man 
I den Romanen von Sinclair Lewis kennt: das charmante 
A nische Ehepaar: die treffend wiedergegebene Liaiwn von Gut- 
iNütigkeit und hämischem Tratsch. Der soziale Druck Lastet spürbar 
Frankfurter Schauspielhaus. 
„Straß e". 
— Das amerikanische Bühnenstück von Elmer E. Rice ist 
eine Reportage über das Leben in einem Mietshaus. Es wird 
geklatscht, «S wird geliebt, gehaßt, und die Ehe gebrochen, und 
zuletzt entwickelt sich ein dumpfes Eifersuchtsdrama mit Revolver» 
schüssen und nachfolgender Polizei. Ja, so ist das photographiert« 
Leben, das Leben in Niogazingeschichten und Gerichtssaalberichten- 
Jmmerhin: gut gezeichnet« Kleinbürgertypen und ein treulich 
kopiertes Milieu. Erschütternd Ta ub,e nach der Verhaftung. Das 
Bühnenbild Walter Dinfes wirkt durch die überdeütliche Bock- 
stetnsassode. Lebhafter Beifall am Schluß. ' Lr. 
-- Die Frau Lm Talar. Dieser Film der Alemannia-! 
Lichtspiele spielt in Skandinavien. Vielleicht greift er darum Ibsen 
Motive auf, dunkle Seelenkonflikte, die sich in kleinen Fjordhäus 
chen entwickeln. Eine Frau steht zwischen zwei Männern, ein 
gefälschter Wechsel kursiert, Edelmut und Rachsucht bekämpfen 
einander — das Gemisch setzt sich aus verschollenen Ingredienzien 
zusammen, und alles ist natürlich unter der Zeitlupe gesehen. 
Kortner ist ein alter weißhaariger Fbsenherr mit unterir- 
disckem Temperament, das gegen den Schluß hin sich vulkanisch 
entlädt. Ein Glück, daß er dabei ist, denn sonst wäre es in den 
kleinen Fjordhäuschen überhaupt nicht zum Aushalten. Trotz Zilzer 
und Aud Egede Nissen. R-aca. 
--- Fruchtbarkeit. Im Capktsk läuft dieser neue Van de 
Velde- Film. Ein Aufklärungsfilm, der in vernünftiger Weise 
Ne Geburtenregelung propagiert. Hier, wo es um die 
Verbreitung nützlicher Erkenntnisse geht, mag man sich damit ab 
finden, daß die eigentliche Spielhandlung ziemlich primitiv ist. 
Ein alter Arzt und ein junger, die beide inmitten einer Fabrik 
bevölkerung wirken, treten einander als die Exponenten zweier 
verschiedener Weltanschauungen gegenüber. Der alte Doktor steht 
auf dem Standpunkt: seid fruchtbar und mehret euch; der junge 
vertritt die Forderungen der Zeit und trägt, wie es nicht anders 
sein kann und soll, den Sieg davon. Ganze Kultursilmarchive 
müssen geplündert worden sein, um die zahllosen Aufnahmen aus 
dem Bereich der zeugenden Natur beizubringen, die allenthalben 
ewgestreut sind oder in Gestalt von Ueberblendungen spukhaft 
auftauchen. Wer der gute Zweck heiligt die plumpen Mittel. 
Raea. ? 
-- IBörsenfieber.1 In „GarganLua und PanLagruel" befragt 
ein Jüngling den weisen Panurg, ob er heiraten solle. Panurg ent 
wickelt ihm die Vorzüge der Ehe. Der bedenkliche Jüngling meint, 
das sei ja ganz schön, aber er habe schon so viel von der Untreue 
der Frauen gehört usw. Panurg bestätigt die Untreue und rät ihm 
nun von der Ehe ab. Aber der Jüngling möchte doch gar zu gern. 
Panurg rät wieder zu. Rät ab. Zu, ab. Bis in die Unendlichkeit. 
Wie hier der Ehe, so ergeht es in „Börsenfieber", einem hochnoblen 
amerikanischen Filmfabrikat, der Börse: man will aus Geschäfts 
interesse unbedingt ihre Sensationen und will sie aus Angst unbe 
dingt nicht. Da einmal beschlossen ist, dem Publikum Börsenfieber- 
kurven zu bieten, muß natürlich ein skrupelloser Fabrikant die 
Hauptperson sein. Es hieße indessen, den guten Ruf von Wallstreet 
gefährden, wenn man dem Jobber gestattete, ungestraft seine 
zweifelhaften Transaktionen in Kupferaktien vorzunehmen und 
- nicht^hnende kleine Leute ins Verderben zu stürzen. Also muß 
er zur höheren Ehre der Börse gebrandmarkt werden. Ist er jedoch 
ein schlechter Kerl, so kann er nicht der Held eines glorreichen 
Paramount-Filmes sein. Also muß er im Grund ein guter Kerl 
sein, ein Mann von Gemüt, der nur um eines Weibes willen zum 
Haifisch wird. Wenn er aber zu seelenvoll geriete, käme dabei 
wiederum die Börse zu kurz. Also muß ee... Und so fort, bis in 
die Unendlichkeit. Man wählt einen packenden Vorwurf und packt 
ihn nicht an, sucht sich feig aus einer Affäre zu ziehen, in die man 
sich couragiert verwickelt hat. Börsenfieber? Untertemperatur. Auch 
George Bancroft vermag dieser Echternacher Spnngvroze'sion 
nicht aus die Beine zu helfen. Er wirkt wie ein urtümlicher Dumm 
kopf, dem niemand den Umgang mit drei Tischtelephonen Zutraut, 
und jongliert mit seiner Boxergestalt hilflos zwischen Kupfer und 
Liebe. So watscheln Eisbären im Zoologischen Garten hin und her. 
Olga Baelanova, das Weib, für das er börsenfiebert, kann 
ebensowenig aus einer Rolle etwas machen, die keine ist. Eine 
frostige Angelegenheit. Das kommt davon, wenn man mit der 
! Börse spekuliert, ohne einen Einsatz zu wagen. (Der Film läuft im 
^Frankfurter Ufa-Theater.) Xr. 
Gesinnunq solcher Filme, die auf hoffnungslose Wunschlraume 
spekulieren,. istMrchaus verwerflich. Sie enthalten nicht nur dem 
Publikum die Wirklichkeit vor, die zu ändern wäre, sondern ver 
tuschen sie überdies, damit nur ja nichts geändert wird. Zu der 
schlechten sozialen Tendenz gesellt sich in unserem Falle noch die 
offenkundige Unmoral. Die Tatsache nämlich, daß die Lärvchen aus 
dem Modchaus sich im Hotel von fremden Herren beschenken Las 
sen, wird als harmloser Usus hingestellt; so daß man den Eindruck 
erhalten muß, dergleichen sei bei uns Sitte. Angestellte und 
übrigens auch Chefs sollten sich für diese Lustware bedanken. — 
Trusus van Aalten entfaltet als Lehrmädchen ihre starke 
Begabung zur Groteske. Freilich ist die Mimik Zu dick aufgelegt. 
— Phantasten aus einem Modehaus. Der Film: „I ennys 
Bummel durch die Männer" — er läuft in der Ca - 
mera und denBieberbau-Lichtspielen - will nichts weiter 
sein als ein Amüsement. Die Hauptpersonen find em Lehrmao- 
cheir, ein Mannequin und die Chefeuse nebst ihrem Farnllienan- 
hang. Man flirtet im Modehaus selber, man flirtet m schevemn- 
aen und in Spa. Ramensderwechslungen und sonstiger Jux, der i 
fustiq sein soll, ziehen das Spiel in die Länge; bis es am Ende. 
sicher in den Hafen der Ehe einläuft, die nach den vorangegan- 
aenen Erfahrungen allerdings schwerlich ungetrübt sein wird. Gut! 
also, ein leichtes Vergnügen ist den Zuschauern zu gönnen, und 
wir find gewiß nicht für lauter schwerbesrachrete Stücke. In diesem 
aber kautt mau die Leinen Ladenmädchen denn doch für zu naw. 
- Öder will man ihnen etwa einreden, daß es in großen Mode 
Häusern so heiter ist? Daß sich den weiblichen Angestellten das 
Paradies ösfnet, wenn sie nur einigermaßen hübsche Beine haben? j 
Daß st« in mondänen Hotels wie Fürstinnen leben können und > 
reiche Amerika/««: auftauchen, wo^ie nur neben und stehen? Diel
	        
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