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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Mr' Berlin, Anfang November. 
scheidendsten Kapitel ist jedenfalls der Vertrag mit Brechts und. 
Die Vorgeschichte des Prozesses ist ein vielverschlungener 
und mit gesellschaftskritischen Pointen gespickter Roman, der mehrere 
hundert Seiten umfassen würde. Ich sehe wich außerstande, seinen 
Inhalt auch nur andeutungsweise wiederzugeben. Eines der ent- 
Weilt, der von den üblichen Verträgen insofern abweicht, als er 
den Verfassern der Dreigrofchenoper das Mitbestimmungs- 
Der Prozeß um die Verfilmung der Dreigrofchenoper hat, wie 
bereits gemeldet, mit einem Sieg des Komponisten Kurt Weil! 
geendet. Die Urheberrechtskammer des Landgerichts I hat seiner 
Klage stattgegeben und der Nero-Filmgesellschaft (bzw. Warner 
Brothers und der Tobis) untersagt, auf Grund des von ihr her- 
gesteüten Manuskripts die Dreigroschenoper durch Verfilmung zu 
vervielfältigen, vorzuführen und vorführen zu lassen. Abgewiesen 
wurde die Klage Bert Brechts, der, dem Urteil zufolge, seine 
Mitarbeit abgebrochen und so der Beklagten das Recht Zum Rück 
tritt vom Vertrage gegeben habe. Brecht, der auch für die Kosten 
Lufkommen muß, hat Berufung eingelegt. 
den finanziellen Lockungen und behütet sein Werk; im Zweiten 
Falle scheM er ihnen Gehör und Zeigt sich desinteressiert am Film. 
Gemeinsam ist beiden Fällen der Verzicht auf die Auseinander 
setzung zwischen den Trägern des literarischen Ruhms und den 
Filmpotentaten. Es kann ein Beweis der Sauberkeit sein, wenn 
einer sein Werk radikal vor der Verfilmung schützt; während die 
Rechtfertigung seines Verschleißes nicht leich-t gelingen dürfte. 
Aber wie dem auch sei: eine richtige Zusammenarbeit 
der gestaltendenMächte wird so niemals erreicht 
(von der einzigen Ausnahme aögeschen, daß der Dichter, wie 
Chaplin, im Filmmilieu selber beheimatet ist) Brecht und Weill 
haben durch ihr Vorgehen die Schrecklichkeit dieses spannungslosen, 
undialektifchen Zustands bewußt gemacht. 
Der Prozeß ist schon deshalb wichtig, weil er auf die Be- 
denkenlosigkeit aufmerksam macht, mit der die Filmindustrie 
gegen Werke von Rang verfährt. Man erinnert sich noch des Films 
„Die Liebe der Jeanne. Reh", der nach dem bekannten Roman 
Jlja Ehrenburgs- gedreht wurde und ihn nicht nur entstellte, 
sondern seinen Sinn beinahe ins Gegenteil verkehrte. Ehrenbürg 
beschwerte sich damals in einem offenen Brief über die Ver- 
schandelung des Buchs, ohne allerdings mit dem nachträglichen 
Protest eine praktische Wirkung zu erzielen. So ist auch mit de^ 
Werken von Dostojewski und anderen umgesprungen worden, die 
sich nicht mehr wehren konnten, und erst neuerdings hat die gänz 
lich untalentierte Verfilmung von Georg Kaisers Stück „Zwei 
Krawatten" zum Glück nichts weiter als ein Kinotheaterskandälchen 
gezeitigt. Beim stummen Film waren die Verfehlungen noch nicht 
einmal so schlimm, wie sie jetzt beim Tonfilm sind. Jener durfte 
sich auch seiner vielen eigenen Möglichkeiten wegen von der Vor 
lage entfernen, und ein malträtierter Text mochte immerhin einen 
guten Film ergeben; dieser dagegen steht in einer ungleich ver 
trackteren Beziehung zu den ohne Rücksicht auf ihn erdachten 
Werken,' weil er ihre Worte und ihre Musik nicht frei abwandeln 
kann, sondern entweder bewahren oder völlig umgestalten muß. Die 
Verantwortung ist hier besonders groß, und gerade die Aufgabe, 
eine Oper in einen Tonfilm zu Überfuhren, der ihren Gehalt ver 
mittelt und wirklich standhält, birgt Zahllose Gefahren. 
Der von den Autoren der Dreigrofchenoper eingenommenen 
Haltung stehen Zwei Auffassungen entgegen, die für die dialektische 
Behandlung des Falles nicht unwesentlich sind. Ein Vertreter der 
Filmindustrie erklärte mir jüngst bei der Besprechung des Pro 
zesses: „Wenn sich ein Autor mit uns einläßt, muß er schließlich' 
den Notwendigkeiten Rechnung tragen, die für die Herstellung von 
Filmen nun einmal gelten. Will er das nicht, so bleibt ihm unbe 
nommen, sein Werk überhaupt nicht verfilmen zu lassen. Alle 
Achtung vor einem solchen Autor." Diese Ansicht wird durch das 
Verhalten eines berühmten Schriftstellers ergänzt, der, wie ich 
erwhre, unlängst das Recht auf die Verfilmung seines neuen,- 
rasch bekannt gewordenen Romans verkauft hat, aber nicht g.e- 
sonnen ist, sich um die Ausführung des Films zu bekümmern. Der 
Roman Zeugt für mich, mag er denken, und: gebt dem Film, was 
des Film es ist. ' 
Am ersten, nur hypothetischen Falle entzieht sich also der Autor 
rechL am kurbelfertigen Drehbuch zusichert. Dieser Kontrakt hatte 
Sonderäbschlüsse Zur Folge, die Leide Autoren zur Mitarbeit am 
Film verpflichteten. Die paar Monate zwischen der Unterzeichnung 
des Vertrags und der Klage waren eine ununterbrochene 
Kette von Mißhelligkeiten. Erwähnenswert ist etwa: daß Herr 
Nebenzahl von der Nero, die übrigens ihre Rechte am Film an' 
Warner Brothers und die Tobis verkauft und nur die Produktions 
leitung behalten hatte, den Beginn der Atelierarbeit auf den 15. 
August festsetzte, einen Termin, der den Autoren als verfrüht er 
schien; daß sich Brecht und der mit der Verfilmung beauftragte 
Regisseur Pabst, gleichviel aus welchen Gründen, nicht über die 
Art ihrer Zusammenarbeit einigen konnten; daß die Filmgesell 
schaft der Meinung war, Brecht sabotiere ihr Vorhaben, währeüd 
der wiederum annahm, sie verleugne die getroffenen Abmachungen; 
daß Weill im Atelier Einspruch gegen Aenderungen erhob, die von 
Zer anderen SÄte nicht für Aenderungen gehalten wurden. Die 
Ereignisse, in die eine Menge von Personen verwickelt waren, 
spielten sich, wie es sich für einen modernen Gesellschaftsroman 
gehört, in einem wahrhaft internationalen Rahmen ab: an der* 
französischen Riviera, am Ammersee, in Berlin und in London. 
Mehr als müßig wäre, im einzelnen feststellen Zu wollen, wd 
juristisch das größere Anrecht liegt. Die Nero spricht von dem 
„Leidensweg", auf den sie durch Brecht gestoßen worden sei, und 
dieser erklärt, was ihm unbedingt zu glauben ist: daß rein sachliche 
Erwägungen sein Verhalten bei der Manuskriptbearbeitung geleitst 
hätten. Für die Allgemeinheit ist nur die eine Tatsache von 
Interesse, daß die künstlerischen und die wirtschaftlichen Kräfte 
in einen Konflikt geraten sind. In Filmkreisen ist jetzt wiederholt 
vernehmlich geäußert worden, daß gerade der Tonfilm auf die 
Mitwirkung der Dichter angewiesen sei. Nun, der Dichter war 
unstreitig vorhanden. Mag er sich vielleicht nicht durchweg weit 
läufig benommen haben, so hat doch zweifellos die Filmgesellschaft 
die Bedeutung seiner Insubordination unterschätzt und ihn über 
haupt nicht mit Maßstäben gemessen, die ihm gebühren. Wenn der 
Prozeß etwas lehrt, so dies: daß Zwischen der Filmindustrie und 
den Vertretern der litterarischen Avantgarde eine Verständi 
gung schwer möglich ist. Beide Parteien haben darunter zu leiden. 
den Filmproduzenten. „Weshalb besteht der Kläger Weill auf dem 
Mitbestimmungsrecht?" fragt Goldbaum. „Um die Nero zu schä 
digen? Aus Eigensinn? Keineswegs. Die Dreigrofchenoper ist ein 
ebenso erfolgreiches wie prekäres Werk ... Die Lransposition ins 
Optisch-Akustische des Films ist nicht mit einem Abklatsch des 
Theatralischen geleistet. Sie erfordert nicht geringere schöpferische 
und eigenartige Qualitäten wie die Umsetzung in den Bühnen- 
vorgang. Brecht und Weill glauben nicht, daß diese Transposition 
nach der von der Nero vorgenommenen Verteilung der Verfll- 
mungsarbeit geleistet werden kann. Die Rechnung hat eine große 
Unbekannte: die Wirkung auf das Publikum. Der Lheatererfolg 
der Dreigrofchenoper hat bewiesen, daß ihre Schöpfer den Beweis 
der Erfassung großer Massen erbracht haben. Die Nero hat aber 
mit ihrer über dem Niveau der gewöhnlichen Filmproduktion 
stehenden. Zum Schaden des Erfolgs aber von Wedekind tief ab 
fallenden Gestaltung des Lulufilms das Gegenteil bewiesen. Die 
Manier, das Ansehen berühmter Werke für das Filmgeschäft aus^ 
zubeuten, diese Werke aber ihres Ansehens ganz zu entkleiden und 
dem Verleihergeschmack anzupassen, die Manier des „als ob" ist 
verwerflich. Sie ruiniert die Werke. Die Dreigrofchenoper, die 
durch ihren Erfolg „Verkehrsgeltung" erlangt hat, die dazu be 
stimmt ist, ein Repertoirewerk Zu werden, wollen die Autoren vor 
dieser Entwertung bewahren, in ihrem und in dem von ihnen 
besser verstandenen Interesse der beklagten Filmgesellschaft." Das 
ist es eben: auch im Interesse der Filmgesellschaft haben sich Brecht 
und Weill eingesetzt. Niemand wird die technischen und finan 
ziellen Schwierigkeiten verkennen, mit denen heute die Filmindu 
strie zu kämpfen hat. Aber sie sollte endlich lernen, daß sie sich! 
nicht über Mißerfolge und schlechte Kritiken beklagen darf, wenn 
sie immer nur die Künstler und ihre Werke den Routiniers des fil 
mischen Produktionsprozesses zu unterwerfen sucht, statt die 
Produktivkräfte der Schaffenden selber zu nutzen. 
Dr. Wenzel Gold bäum, einer der Anwälte Weills, ha^ 
ein Plädoyer gehalten, dessen Argumente übrigens beim Gericht 
nicht ganz durchgedrungen sind. Ein Abschnitt dieser Ansprache ist 
von außerordentlichem Gewicht, definiert er doch in mustergültiger 
Der Urozeß um die Dreigrofchenoper 
Einige nachträgliche Randbemerkungen.
	        
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