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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Die Hauptpersonen sind Lilian Harveh und Willy Fritsch. 
Jene hält zwischen der Bergner und der Garbo die modische Mitte 
und stellt etliche hübsche Bilder, die wohlgefälliger sind als ihr 
Organ; woran die Reproduktion schuld sein mag. Dieser ist ein 
netter Junge, ganz Deutschamerikaner, mit dem Tee? smilmZ 
von innen heraus. Georg Alexander gewinnt durchs Sprechen, 
er ist reizend, wenn er gedehnt rei—zend sagt. Der Frankfurter 
Dialekt Hans Junkermanns bewegt die Gemüter. Viktor 
Schwan necke muß immer Bobby rufen; es ist, als sei nicht er 
der Urheber dieses Wortes, sondern als mache das Wort ihn erst 
sichtbar. Ein kleines Meisterstück ist Willy Prägers Rabbiner: 
Gebärdenspiel in Großaufnahme mit dazugehöriger Stimme. 
Dom Stoff wäre am besten zu schweigen. Ein Operettchen voller 
altbewährter Motive. Sie scheinen nie auszusterben. Aus der einen 
Seite österreichische Hocharistokratie, auf der anderen amerikanische 
Milliarden. Pointe: die kleine Erzherzogin heiratet den Sohn des 
Autokönigs. So erhält sich der verarmte Adel, so möchte das Kapital 
sich adeln. Zum Entzücken des Publikums. Warum immer wieder 
diese läppischen Fabeln? Aber freilich, wenn die Industrie einen 
Tonfilm mit hohen Kosten herausbringt, will sie ihres Erfolges 
unter allen Umstünden sicher sein. Je teurer die Herstellung, desto 
billiger der Geschmack. Hoffentlich kommt bald der Dreigroschen 
Tonfilm. 
Starker Beifall am Schluß. Die Darsteller des Liebespaares 
zeigten sich persönlich. Sie wirkten neben ihren Vergrößerungen 
auf der Leinwand wie winzige Lebewesen, die man zum ersten 
Male mit bloßem Auge erblickt. (Der Film läuft im Ufa-Theater 
Groß-Frankfurt.) 
Wie alle unter Erich Pommers Leitung entstandenen Filme ist 
auch dieser gepflegt aufgemacht. Wilhelm Thiele, der Regisseur, 
scheint in Lubitschs Schule gegangen zu sein, so sicher arrangiert 
er höfisches Leben. Statisten und Requisiten stimmen, Leitmotive 
gehen durch, die Nuancen sind abgewogen. Um so schwerer wird 
man die quälende Empfindung los, daß die ganze Mache zuletzt 
doch nur Mache ist. Schale ohne Kern, Effekt ohne Gehalt; wie 
so oft heute bei uns. 
„Liebeswalzer." 
Die neue Tonfilmope rette. 
LLi* Frankfurt, den 21. Februar. 
Der deutsche Tonfilm macht rasche Fortschritte. Dieser neue 
hundertprozentige kann sich schon sehen und hören lassen. Er 
experimentiert nicht nur, er beginnt sich in der Bildklangwelt 
häuslich einzurichten. 
» c- "Einmal um Mitternacht...« Auf dieser Schlagermelodie 
'st der „Gesang- und Musikfilm" der N e u e n L i ch t b üh n e auf. 
gebaut. Wie das Motorrad das Auto des kleinen Mannes ist, so 
ist er der Tonfilm des kleinen Mannes. Er ist nämlich gar kein 
nchtrger Tonfilm, sondern zwei Sänger im Orchester singen die 
Schlager und Lieder, die den Leuten auf der Leinwand 'in den 
Murw gelegt sind, singen in so genauer Uebereinstimmung mit 
den Frlmftguren, daß in der Tat der Eindruck entsteht, der Film 
bm Tonfilm, Im übrigen handelt es sich bei diesem anachronisti 
schen Erzeugnis um ein Volksstück, das lustig anfängt und ohne 
Erund traurig endet. Ein armes Mädchen (Betty Astor) und 
em Zu Ruhm gelangter Operntenor, der später seine Stimme ver- 
lrert (Alfons Fryland), sind die Hauptpersonen. Eine min 
dere Angelegenheit. Der Gesangspart ist ganz geschickt durch 
geführt. Uaea. 
Die Wunder Asiens. 
- Dc. Mattm Hürlimann, der Herausgeber, der ausge 
zeichneten Monatsschrift: „Atlantis", hat diesen schönen Reise 
film gedreht, der Zur Zeit im Ufa-Theater im Schwan 
läuft. Irr einem kurzen Einleitungsvortrag erläuterte Hürlimann 
das Thema: er schildert in seinen Bildern nicht das politische 
Asien, das heute im Vordergrund steht, sondern die alten Kultur 
dokumente, die Landschaften mrd die bleibenden Eigentümlich 
keiten der Völker. Nun wohl, auch das ist schon mehr als genug, 
und vielleicht folgt einmal ein Film über das aktuellere Asien 
nach. Durch das außerordentlich geschickte Arrangement ist es 
Hürlimann gelungen, seine "Riesenaufgabe einigermaßen Zu lösen. 
Er arbeitet mit einem plastischen Erd Modell, auf das die 
Reiseroute stückweise eingetragen wird; so daß man die sonst ge 
wöhnlich vernachlässigte Möglichkeit erhalt, stets kontrollieren Zu 
können, wo der Kurbelmann sich im Augenblick befindet. Die An 
schaulichkeit wird zudem durch folgenden hübschen Trick erhöht: 
bewegt sich der Streifen,' der die Reiseroute markiert, auf dem 
Modell vorwärts, so sieht man gleich hinterher die wirklichen 
Reisenden auf der wirklichen Route. Mit Dampfer, Auto, Eiseru- 
bahn usw. Mängeln sie sich von Tripoli über Syrien nach In 
dien, Ceylon, Nepal, Burma und China. Verwirrend ist die Fülle 
der Städte, Tempel, Paläste und Votkerscharen, die ihnen be 
gegnen. Aber durch eine kluge Oekonomie ist es Dr. Hürlimann 
immerhin gelungen, die Unzahl der Bilder einigennaßen ver 
ständlich aminanderzureihen und den Eindruck krasser Oberfläch 
lichkeit Zu vermeiden. Er ist ein vorzüglicher Photograph, -er das 
Typische festzuhalten weiß; wenn er sich auch kaum je um die 
feinsten Reize bemüht, die sich nur aus besonderen Perspektiven 
ergeben. Nicht zuletzt versteht er sich darauf, die Kamera so lang 
sam wandern zu lassen'^ daß man Zeit hat, das gerade vorge 
führte Stück Leben voll aufZunehmem Kurzum, der Film gehört 
zu den seltenen Kulturfilmen, die sich sehen lassen können, weil 
sie tatsächlich etwas zeigen, das sehenswert ist. 
Voran geht der Scherenschnittfilm Lotte Reinigers, der 
! von Doktor Dolittle und seinen Tieren handelt. Kunstgewerblich, 
! aber nett. Kaca. 
-- ^Chaplin in allen Filmen. I Man hat wieder einmal eins 
Reihe alter Chaplin-Gr.tesken zu einem FilmganMr („Kar 
riere") zusammengesetzt. Ihr Anblick Löst nicht nur Freude aus, 
sondern auch jenes wunderbare Gruseln, das sich überall dort 
einftellt, wo die Ursprünge großer Werke aus Licht treten. Noch 
sind die wesentlichen Motive von „Goldrausch" und „Zirkus" nich 
offenbar; noch stünden andere Möglichkeiten zur Wahl, die nicht zu- 
späteren Wirklichkeit führen müßten. Eine reizvolle Unentschieden- 
heit, die aber genau so wie die Kindheit ihr eigenes Daseinsrech- 
hat. In den Milieus dieser frühen Grotesken ist allein Charlie 
selber lebendig geblieben Der Rockschnitt der Herren, die Kleide^ 
und Hüte der Damen das alles steigt gleich den konventionellen 
Gebärden jener Zeit aus dem Grab hervor und kann nicht gehalten 
werden. Aber das Stückchen, die zerfetzten Stiefel und das ganze 
Vagabundenkostüm mit den schlotternden Hosen fahren heute wü: 
damals jung durch die Räume. So vergänglich sind die Ober 
klassen im Gegensatz zum Lumpenproletariat; so veralten die ge 
hobenen literarischen Werke, während die Märchen dauern. Das 
Märchenhafte, das die späteren Schöpfungen durchdringt, ist schon 
in den Anfängen zu spüren. Vielleicht, ;a sicher geht es auf die 
Eindrücke des Kindes zurück, das in »den Straßen Londons zu ! 
Hause war. Hier mögen ihm die gewaltigen Riesen und die bär 
tigen Männer erschienen sein, mu denen er sich gleich in den 
ersten Filmen umstellt. Feig und unverwüstlich tänzelt er zwischen 
ihnen hindurch; wie ein Gassenjunge, voller Listen und Reflexio 
nen. Aber der Gassenjunge 'st in Wahrheit ein Prinz aus Nie, 
mandsland. Prinzlich gleitet Charlie mit seiner Dame über die 
Rollschuhbahn, er ist in seinem Element angelangt, wahrhaftig, er 
schwebt der Märchenheimat entgegen. Die minutiöse Feinheit 
seiner Figur wird zum Gleichnis der höheren Abkunft des Vaga-. 
i bunden, der in dieser Welt ausgestoßen ist. (Der Film läuft in de«' 
Frankfurter Camera und den Vieberbau-Lichtspielen.) Lr. 
Zum Glück darf man sich am Technischen und an einzelnen 
Einfällen freuen. Daß der Ton reiner als früher klingt, daß die 
Sprechstimmen, vor allem die der Männer, gut herauskommen, ist 
noch das Wenigste. Ungleich wichtiger: daß Ton und Film mit 
unter in einer Weise Zusammentreffen, die nur dieser Kunstgattung 
eigen ist. Ein Beispiel. Zwei uradlige Damen telefonieren mitein 
ander, aber während die eine fortschwatzt, hat sich die andere längst 
von der Strippe entfernt. Man sieht den ausgehängten Hörer und 
vernimmt zugleich das Geplapper, das sein Ziel nicht erreicht 
Glanzvoller noch die Einbeziehung des Rundfunks. Zur ,elben Zeit, 
in der die Hoffestlichkeiten stattfinden, geht es in einem riesigen 
Bierkeller hoch her. Früher hätte man die beiden Veranstaltungen 
durch eine einfache Parallelführung miteinander verknüpft, nun 
aber erweist das Radio seine Völker- und szenenverbindende Kraft. 
Mitten in das Volksgelage hinein dringen nämlich die Sätze t^s 
Sprechers, der im Lolalreporterstil die Vorgänge im Schloß be» 
schreibt. Die Montage wird durch die Dazwischenkunft des Worts 
nicht gehemmt, sondern gelockert. Wo wäre dergleichen bisher mög 
lich gewesen? Weder im stummen Film noch im Theater. Daß auch 
von Gesangsvereinen und Kapellen Gebrauch gemacht worden ist, 
versteht sich von selbst. Merkwürdig ist, daß die bloßen Geräusche 
diesmal beinahe künstlicher klingen als die artikulrerten Laute. 
Verschiedene Dialoge halten zwar immer noch auf, aber im Ganzen 
sind doch die Gesprächs geschickt eingeschaltet. Kurzum, man weiß, 
worauf es ankommt, und der Film ist jedenfalls ein Stück Pionier 
arbeit.
	        
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