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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Ikaggen 
7s. 
Von 8, Kraeauer. 
D ver mit dem^ Ooneourt-Dreis ausZe^mknete 
Doman: „D ordre von M aro el Irland, der 
fetrt unter dem Ditel „D eilige Ordnung" 
in der vor^üglieken Desterset^ung Bran2 Dessels. 
vörkegt (Bowoklt Verlag, Berlin, 519 Leiten. Oed. 
8.50), kat miek aus mekr als einem Orunde 
gepaekt, ja, ergrikken. V^enn iek versueke, mir 
über meinen Bindruek Beekensekakt. ast^ulegen, 
so kükre iek ikn niekt einmal nur auk den Wert 
des Luekes ^urüek. ^Veleken DanF es innerkalst 
der modernen kran^ösiseken Diteratur einnimmt, 
ist auek von auken ker kaum 2u ermessen. Ks 
kat xum Beispiel niekt die tieke Desessenkeit 
dyr Lüeker Oreens und sekeint einige stark 
epigonale Züge ru entkalken, ^ster gltziekviel, 
wie es um seine Bedeutung stestellt sei: der 
deutseke Deser, der siek in dieses ^Verk ver 
senkt, reikt siek so seknell niekt von ikm los. 
^Varum? lek nekme vorweg, dak er in ikm 
Nenseken stegegnet. 
Oüdert, .sein Halbbruder lustin und Benee, 
die Doekter des Vormunds der beiden, sind die 
Helden des Bueks. Nan ver^ikt sie niebt, und 
wenn man sieb sebon längst von iknen ver- 
absebiedet bat, geken sie einem noek naek. 
8ie leben im Naekkriegskrankreiek, inmitten 
einer sebeinbar unersebütterten stürgerlieken 
Ordnung, deren 8inn und BeÄtändigkeit aber 
durek sie in Krage gestellt wird. Vor allem dib 
bert wütet gegen Familie, Oeseksekakt. und 
8taab Dieser koekstegastte lüngling bat die ^lan- 
denden Bigensekakten ' von Ltendkals lullen 
8orel, ist nur in ein Zeitalter verseklagen, in 
dem sie ikren Ort niebt mebr linden. ^Vobin 
mit dem Kkrgei^ und dem Nan? Der Oberklasse 
bringt er Veraektung entgegen, und die kom- 
Muni8t!s6d6n p^olkm^ kür äis er sied als lour- 
nriiist voruber-eksnä em8Mrt, können ikv, äev 
öurgerLieken 8pätliug, auk die Dauer niekt 
roMu. 8o sserät er ?um Gestellen okue Ziel, der 
siek iu Drmau^lunF eines ikm Aemäken ^esek- 
sekastlioken 8eins öuletxt selster verstört, lustin 
ist in entsekeidender Dinsiekt das genaue (le- 
rrenteil des jüngeren Dalststruders: ein troekener 
Karrierist, der rasek Deputierter wird und siek 
in der ^e^estenen Ordnung 2u Dause lüklt. Doek 
auek er wäekst niokt grad empor, sondern wird 
um^estoAen, kevor er die Döke erreiekt, in der 
cke Minister tkronen. Niekt so, als ost er siek 
^vie (lilkert gegen die stestekenden Verkältnisse 
ankleknte: aster dem Zwang der Natur in ilmn 
folgend, lost er siek von ikpen mekr und mekr 
ast.^ Die Dieste seiner Brau Bsnee Liekt ikn 
'luti'onären, die siek gegen ibre Kltern und die. 
kerrsekende Ordnung wenden, ohne ikr 8türmer- 
nnd Drängertum positiv steglaustigen M können. 
8ie gründen eine Zeitsekrikt, in der auek (Hi 
lpert klammen speit, negieren Oott und die Melt 
und Festen siek mit Oenuk d^' Dn^utriedenkeit 
kin. Ikr ^.nkükrer ist der traurige, eloFante 
DeeuFis, der aus Dangeweile die Dreunde an- 
treistt und aus Destensüsterdruk siek vergiktet; 
ikr Drker und Berater ein Dedaktionsse 
der „Dumanmite",, der niekt esbten al8s üuster^xeugter 
Kommunist angeseken werden darl. rm de 
sieele-8timnun dem Kreis naek, upd 
seine Kmpörung ist kraktlos. Die von ikm k^^ 
kampkte stürgerkeke Ordnung, deren 
Mr Berlin, im April. 
Angefangerr hat es mit den Hakenkreuzfahnen. Seit einigen 
Tagen sind sie stillschweigend aufgetaucht mrd hängen hier und 
dort aus den Fenstern heraus. Eine einzige dieser Fahnen genügt 
schon, um einen ganzen Straßenzug zu beleben. Denn ihr ge- 
sinnungstüchtiges Rot sticht grell v-m den grauen Fronten ab, 
und das schwarze Kreuz auf dem weißen Mittelfeld ist schlechter 
dings nicht zu übersehen. Aus der Ferne wirkt es wie eine Spinne. 
Vom Erdgeschoß an bis Zu den Dachluken hinauf wehen solche 
Fahnen im Wind. Bald sind sie groß und gewaltig, wie um den 
Bekennermut der Familie zu dokumentieren, deren Stockwerk 
sie schmücken, bald stecken sie, winzige Kinderfühnchen, in Blumen 
töpfen auf den Balkönen. Was ein Hakenkreuz werden will, 
krümmt sich beizeiten. Man erblickt sie von der Stadtbahn aus 
an hochherrschaftlichen Wohnungen und Kleinbürgerveranden und 
kann ihnen fast in keiner Nebenstraße des Kurfürstendamms ent 
gehen. Vermutlich sind sie gar nicht so häufig, wie es den Anschein 
hat. Aber sie drängen sich durch ihr Kolorit überall in den Vorder 
grund, gebärden sich aufreizend und haben eine merkwürdige 
Penetranz. 
Inzwischen sind, kurz vorm Wahlsonntag, die Symbole 
der übrigen Parteien noch rechtzeitig nachgerückt. Ein riesiges 
kommunistisches Wahrzeichen krönt den Dachfirst eines Hausblocks 
in CharloLLenburg, um möglichst weit sichtbar zu sein. Offenbar 
hat es zu hoch hinaus gewollt, denn der Sturm ist in den Lappen 
gefahren, und nur ein paar Fetzen taumeln noch durch den Him 
mel. Es wäre indessen verkehrt, nach der Art schlechter Roman 
schriftsteller alle Wettererscheinungen gleich symbolisch zu nehmen, 
naok siek und striekt die Unnatur seines niekt 
kontrollierten socialen ^uktriests. Denee ist die 
Uitte des Lueks. 8ie verläkt lustin naek lakren 
einer neutralen Kke um OilderlZ willen, den sie 
stereits als sunges Uädeken Zeliedt kat. Im 
^.ugenstkek 8einer grökten Krniedrigung stö'kt 
sie 2U ikm und sekenkt siek ikm okne Büok- 
siekt auk Conventionen; mit einer Dieste, die 
keine andere Ordnung als die von ikr selster 
gesetzte kennt. kVuek sie inde88en ist sekon kür 
Oildert eine Nessel, deren er siek in seinem 
FeFenstandsloZen Verniektungswakn entledigen 
muk. Dr, der einmal in sein Hgestuek einge 
tragen kat: „Vor allem, kür immer versekmäken, 
glüekliek 2u sein",. steseliwört durek sein Ver- 
kalten eine Katastropke kerauk, an der die Be- 
siekung sekmäkkek Zugrunde gekt. Der 8ek!uk 
spielt aekt lakre später im Heimatort, der drei 
Nenseken und ist auk ^.usgleiek stedaekt. Benee 
und lustin üaüen siek wieder Sekunden und 
kükren ein eingesekränktes, verkältnismäkig un- 
getrüsttes Dasein Zusammen. Mir kür kurxe Zeit 
erleidet es noest durek die Büekkekr des kranken 
Okstert einen Lestoek. stlaest dem Pod des Dn- 
Alüokliesten, der stalstweFS versöstnt stirstt, dau 
ert das Desten im Delldunkel kort. Ds ist geleimt 
worden und wird darum stesser kalten als in 
zenem Zustand, in dem es §an2 war. 
* 
Die Hauptpersonen sind von vielen Lekilde- 
runden und Di^uren umtostem deren Funktion 
es okkenstar ist, ein Mid der keuti^en kranrösk 
seken Oeseksekakt ^u vermitteln. Uan lernt die 
Drovin? kennen, die durek die runde Oestalt 
des Herrn Denriot verkörpert -wird, und lestt 
das Dariser Desten mit. 'VViektiK ist der Kreis 
der sunZen Deute, die siek in der Ilotonäe ver- 
SÄMMsL. kill loser Verdauä voll äs«'agierten 
LürZersölinsn, Oukiäsrn und' k'a'kri'gen Bevo- 
Anderswo zeigt sich die schwarzrotgoldne Fahne der Republik. 
Sie flattert nicht, sondern hängt sanft herunter, und wann immer 
sie in der Nachbarschaft der Hakenkreuzfahnen erscheint, macht sie, 
rein optisch betrachtet, den Eindruck einer würdigen Dame, die 
in eine rüde Gesellschaft verschlagen worden ist. Besonders stark 
wird das Stadtbild durch rote sozialdemokratische Tücher gefärbt. 
Sie drapieren breite Balköne, und sind oft mit den vertrauen 
erweckenden Zügen Otto Brauns geschmückt. 
Manchmal kommt es zu krassen Zusammenstößen zwischen die 
sen Symbolen. In einer City-Straße Zum Beispiel wirbeln sie 
bunt durcheinander und bedrohen sich im schmalen Luftraum zwi 
schen den Häusern. Hammer und Sichel setzen sich wider das 
Hakenkreuz zur Wehr, Liste 1 mengt sich energisch dazwischen, und 
eine der spärlichen schwarzweißroten Hugenbergfahnen sucht sich 
ebenfalls ihren angestammten Platz unter den Balgenden zu er 
obern. Gar nicht selten enthüllt sich in voller Öffentlichkeit, welche 
peinlichen Gegensätze irgendein Mietshaus birgt, Die Fahnen 
bringen es an den Tag, daß die Bewohner seines zweiten Stock 
werks die des dritten von Rechts wegen hassen müssen. Vielleicht 
haben sie sich vorher ahnungslos gegrüßt, wenn sie sich auf der 
Treppe begegneten, und nun erfahren ste durch den Anblick ihrer 
Fassade, daß ste feindlichen Parteien angehören, und gehen sich 
in Zukunft stumm aus dem Weg. 
SLe verbreiten keine Heiterkeit, diese Dahlien. Düster wehen sie 
gegeneinander, künden Programme, die sich den Garaus wachen, und 
geben die Erbitterung preis, von der die Menschen erfüllt sind, 
die scheinbar friedlich unter ihnen hinwandeln.
	        
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