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Anfang Juni. gestellt und montiert wird. Keine Klischees öden den Zuschauer
Auf der Reeperbahn.
Kunst ist zunächst und unter allen Umständen: Wahl der rich
tigen Sache. Nun will ich gar nicht behaupten, daß Werner
Hoch-baum, der junge, bisher unbekannte Autor und Regisseur
des Films: „Razzia in St. Pauli", der jetzt seinen Weg
in die Provinz machen wird, durchaus die richtige Sache ergriffen
hätte; aber er sucht sich ihr doch anzunähern und widerstrebt ihr
jedenfalls nicht. Das will heut schon viel heißen.
Der Film spielt in der Hamburger Unterwelt, und laut Pro
gramm sind sogar echte Ganoven und Mädchen aus St. Pauli
mitverwandt worden. Durch die Beziehung, die eines der Mäd
chen mit dem Klavierspieler einer sinistren Bar unterhält, soll die
Hoffnungslosigkeit veranschaulicht werden, in der diese aus Lum
penproletariern und kleinen Verbrechern zusammengesetzte Bevölke
rung dahinlebt. Man ist zermürbt; kein Lichtschimmer dringt hier
herein. Die Fabel selber ist einfach und dünn. Ein Kraftkerl von
Einbrecher, der bei dem Mädchen Schutz findet, verschafft diesem
die Illusion eines abenteuerlichen Daseins, das über den erbärm
lichen Alltag hinausführen könne. Die beiden verbringen im Stäb
chen und in der Bar eine Nacht zusammen und wollen dann
fliehen. Aber am Schluß wird der Einbrecher erwischt, und der
Stumpfsinn beginnt wieder von neuem. Um den sozialen Ort
dieser trüben Welt zu bezeichnen, hängt Hochbaum ans äußerste
Ende noch eine Szene an: Hafenarbeiter ziehen im Morgengrauen
mit einem verheißungsvollen Song zur Arbeit. Die Szene ist gut
gemeint, erzielt jedoch ihres Nachklappens und verschiedener Un
stimmigkeiten wegen nicht den gewünschten Effekt.
Man merkt dem Film an, daß sein Hersteller von der Sache
durchdrungen ist. Und das ist wichtiger als. die starke filmische
Begabung, über die er außerdem noch verfügt. Viele Filme
sind zweifellos mit Talent gemacht. Da sie sich aber nicht um eine
Sache, sondern um ein Nichts drehen, bleibt das in ihnen inve
stierte Talent ohne Bedeutung. Es läuft leer und betätigt sich
rein formal; während das Hochbaums durch einen wirklichen
Gegenstand erregt und gebunden ist.
Welch eine Wohltat, wieder einmal einen Film zu sehen, in
dem ein Gegenstand, der diesen Namen verdient, zu bewältigen
versucht wird. Da die Handlung nicht eigentlich einen Selbst
zweck hat, sondern nur die vollkommene Entwicklung der Zu-
ständlichkeiten bezweckt, liegt der Hauptakzent auf der Mi
lieuschilderung. So ist es auch in der Ordnung, und
gerade die besten Filme haben sich bisher immer in der epischen
Vergegenwärtigung gewisser Verhältnisse und Situationen er
schöpft; denn nichts entspricht dem Wesen der Filmkamera mehr
als das freizügige Wandern durch die Welt der optischen Zeichen.
Es zeugt für den Film, daß seine Milieudarstellung zu spannen
vermag; obwohl Hochbaum nach Art der Anfänger noch unökono-
misch verfährt und manchmal, vor allem am Schluß, zu viel des
Guten tut. Er ist in sein Thema vergafft. Und der Gewinn da
von ist der, daß das Hamburg des Hafens, der Reeperbahn und
der verdächtigen Kneipen hier nicht in korwentionellen Abkür
zungen vorüberzieht, wie sie die üblichen Ansichtskarten bieten,
sondern mit Entdeckerlust und sachlicher Leidenschaft beobachtet.
an — er ist vielmehr gefesselt durch originale Bilder, deren Ein
stellung und Schönheit die Folge der ihre Produktion bedin
genden sauberen Haltung ist.
Wolfgang Zilzer verkörpert den etwas vertrottelten Musiker.
Gina Falkenberg, von der Regie ausgezeichnet eingesetzt,
gibt sich traurig und schnöd; dazwischen ein leichtes Blühen.
Charly Wittong: ein volkstümlicher Sänger.
Der Tenor inderLandschaft.
Der neue Jan Kiepura-T o nfilm der Ufa: „Das
Lied einer Nacht" verspricht ein großer Publikums erfolg zu
werden. In der Tat ist er voller Glanz. Zunächst beweist er den
technischen Fortschritt des Tonfilms: die Stimme Kiepuras er
klingt in ihm, von einigen überlauten Stellen abgesehen, so rein
und mächtig, wie man vielleicht noch nie einen Tenor im Film
gehört hat. Und welche Steigerung erfährt der Genuß, den diese
Stimme bereitet, erst noch dadurch, daß sie in einer herrlich photo
graphierten Landschaftspracht schallt. Das hohe 6 und Älpen-
gipfel hinter Blütenbäumen, italienische Arien und das Plätschern
oberitalienischer Seen: eine paradiesischere Häutung von Süßig
keiten ist nicht wohl denkbar. Auch sonst geschieht alles, um das
Publikum zu beglücken. So weiß es zum Beispiel, daß nicht der
von Fritz Schulz nett gespielte Hochstapler der berühmte Tenor
ist, sondern Kiepura selber, der sich als dessen Sekretär ausgibt,
weil er sich endlich einmal ungezwungen wie ein gewöhnlicher
Sterblicher bewegen will. Da er aber andererseits in einemfort
singt und überhaupt den berühmten Tenor in sich schlechterdings
nicht zum Schweigen bringen kann, ist sein Inkognito bald gelüstet,
und das Publikum darf Zeuge der Begeisterung fein, die sich an
den Enthüllungsakt knüpft. Vervollständigt wird die Unsumme
des Glücks durch einen allzu niedlichen Backfisch (Magda Schnei
der), der sich in die Macht des Gesanges verliebt, ferner durch ein
paar populär-komische Typen, unter denen Margo Lions rabiater
Manager Erwähnung verdient, und nicht zuletzt durch die Musik
Spolianfkys. Hinzuzufügen wäre nur noch, daß der wohlgefällige
Zauber von der Regie (Anatol Litwak) versiert hergerichtet und
mit allerlei Bildeinfällen ausgestattet worden ist. Wenn etwa gleich
am Anfang die Stimme des Sängers im Radio ertönt, steht man
eine Reihe von Szenen, in denen die Wirkung der Stimme auf
die verschiedenen Hörer gewissermaßen humoristisch glossiert wird.
Außer Glanz und Genuß gibt der Film freilich nichts. Er
ist ganz hohl inwendig. Die Stimme schwingt sich um ihrer selbst
willen in die Höhe, und die Landschaften sind eitel Dekoration.
Im Hamburger Film ist eine Sache angesprochen, die uns wirk
lich betrifft; in diesem Film wird allen Sachen ausgewichen,
die uns etwas angehen könnten. Die Wendung ins Deko
rative, die er gleich dem Film: „Der Kongreß tanzt" und
anderen Großfilmen vollzieht, scheint in der Tat zu den erfolg
reichsten Ausweichmöglichkeiten der letzten Zeit zu gehören. Man
verstellt die Wirklichkeit durch leckere Kompositionen, und das
Publikum läßt sich durch die Mache so betäuben wie weiland
Odysseus durch die Nymphe Kalypso. Mittlerweile bleibt die
Wirklichkeit im Halbdunkel und ein Spielball von Elementen,
denen das Zwielicht gerade recht ist. Doch auch Odysseus ist
eines Tages heimgekehrt. 8. Lraeausr.