Skip to main content

Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

kommissar erhobenen Forderung nach deutscher Kultur Köhns 
inzwischen allerdings desavouierte Wochenend-Ketzereien ohne 
weiteres ableiten können? Oder die Bekenntnisse Dr. Kleo 
PleyerS, die anscheinend nicht gerügt worden sind? Das 
Auftreten Dr. PleyerS darf aber eine um so größere Bedeutung 
beanspruchen, als mit ihm die neue Reihe: „Wir stellen vor..." 
eröffnet wurde, in der später noch andere politische Persön 
lichkeiten sprechen sollen. Der Herr, den vorzustellen man solche 
Eile bewies, ist Grenzdeutscher, Teilnehmer am Hitler-Putsch 
1923, einstiger Nazimann, Führer der „hündischen Reichs 
schaft" und seit 1931 Dozent an der Hochschule für Politik. 
Ich muß mir leider versagen, seine Bekenntnisse hier ganz vor- 
zuführen. Sie handelten von der Volkserzieherischen Wirkung 
des Weltkriegs, die darin bestanden habe, daß man wieder in 
feste Bünde eingesperrt wurde, vom Limbischen Urerlebnis, 
vom hündischen Blutserlebnis, von der hündischen Lebensform, 
vom hündischen Geist usw. Mögen sich die Bündischen (diefe 
Bündischen) an ihrem Wesen erbauen. Wenn jedoch dieser 
bündische Geist in Gestalt von Herm Pleyer am Rundfunk 
ungestraft erklären darf, daß unsere politischen Parteien 
undeutsch seien, undeutsch schon deshalb, weil ste undeutsche 
Namen trügen, dann beginnt der Skandal; um davon zu 
schweigen, daß bei diesen Faseleien von Geist überhaupt nicht 
die Rede sein kann. „Wir stellen vor. . ." heißt die 
Veranstaltung. Jawohl, wir stellen ein Geschwätz vor, 
das sich in der wüsten Beschimpfung des „Systems" 
gefällt, ohne etwas anderes als Phrasen dagegen auszufpielen. 
Phrasen wie diese: daß sich der Deutsche seine Lebensform 
nicht vom Ausland vorzeichnen lassen solle; daß sich in Ver 
Partei Massen, im Bund aber „Kerle" zusammenfänden; daß 
aus der bündischen Lebensform das „Baubild des Reiches" er 
wachse usw. Niemand wird uns einreden wollen, daß der 
demagogische, heillos romantische Jargon des Herrn Pleyer 
mit deutscher Kultur zu verwechseln sei. Wird er uns dennoch 
versetzt, so geht daraus nur hervor, daß man am Rundfunk 
entweder nicht weiß, was deutsche Kultur ist, oder unter dem 
Vorwand ihrer Förderung politische Hetzereien einschmuggeln 
möchte. Die formale Neutralität von ehedem ist sauberer, sach 
licher, mit einem Wort deutscher gewesen ¬ 
Es versteht sich von selbst, daß nicht alle Manifestationen 
des neuen Rundfunk-Geistes so durchsichtig tendenziös sind. 
Immerhin ließ man sich innerhalb der angegebenen Zeit 
spanne die gute Gelegenheit des italienischen Regterungsjubi- 
läums nicht entgehen, um den Fascismus empfehlend in Er 
innerung zu bringen, und machte auch sonst einige Versuche, 
den politischen Kurswechsel allgemein-geistig zu verklären. In 
einem Vortrag Reinhold Schneiders: „Die doppelte Wirk 
lichkeit der Geschichte" wurde zum Beispiel erläutert, daß die 
Geschichte ihre eigentliche Wirklichkeit dort Habs, wo es sich um 
die Entscheidungen handle, die in der Brust des einzelnen, 
des Führers, ausgetragen werden. Nicht aufs historische Wissen 
komme es an, sondern auf die intuitive Versenkung in solche 
Entscheidungen; nicht auf Erfolge und Trophäen, sondern 
auf Opfer und Dienst. Zur Ergänzung dieses Vortrages ser 
gleich noch eine andere Stelle aus der erwähnten Ansprache 
des Programm-Direktors Kolb zitiert, in der von der 
Verpflichtung des Rundfunks, Volksbildung zu betreiben, die 
Rede ist. „Das geht jedoch nicht auf dem Wege der Wissens 
vermittlung, wozu der Rundfunk außerstande ist, sondern nur 
durch seine Umformung in «ine unmittelbare Lebensnähe, die 
auch der letzte des Volkes imstande ist, zu begreifen. So wird 
Wissen und Kunst zur Bildung. Es ist die Entakademisierung 
des Programms, die von einem großen Teil der Hörer 
zuschriften verlangt wird." Formulierungen, die mit der Rede 
Schneiders darin übereinstimmen, daß sie eine der Aufklä 
rung abholde Gesinnung bekunden. Schneider setzt 
das bloße Wissen um der moralischen Entscheidung willen 
außer Kraft und vergißt hinzuzufügen, daß eine Entscheidung 
um so begründeter (und keineswegs unmoralischer) ist, je 
mehr sie auf der genauen Kenntnis aller einschlägigen Um 
stände beruht. Kolb seinerseits will das Wissen solange um- 
fchmelzen, bis es in «ine unmittelbare Lebensnähe rückt; wöbet 
vom Wissen vermutlich nicht mehr viel übrig bleiben dürfte. 
Auch der Vortrag, den Paul Alverdes über das Thema: 
„Der Geistige in der Nation" hielt, bewegte sich teilweise in 
-derselben ivtelliW^feindlW Richtung; o.bwohl Alverdes, was_ 
ihm angesichts der heutigen Verhältnisse als ein Verdienst an 
gerechnet werden muß, die „Herabwürdigung des Geistes" im 
nationalen Lager scharf, ja erbittert bekämpfte. Aber mit dem 
gleichen Atemzug, beinahe, mit dem er für die Rehabilitierung 
des „Geistes" eintrat, machte er sich die nationalistische Be 
hauptung zu eigen, baß ein großer Teil der deutschen Intelli 
genz während des Krieges im Geheimen mit unseren Feinden 
einverstanden gewesen sei und überhaupt Schuld und Schande 
auf sich geladen habe. Welcher große Teil der deutschen In 
telligenz? Und wo ist die Schuld in Wahrheit zu suchen? Meine 
Aufgabe besteht indessen nicht darin, erbärmliche Verleum 
dungen zu berichtigen, sondern im Nachweis der sich heute am 
Rundfunk vordrängenden Tendenzen. Wie bereits diese Bei 
spiele zeigen, bevorzugt man dort jetzt Gedankengänge, die nicht 
so sehr ein Zeugnis deutscher Kultur, als ein Zeichen der 
Kulturreaktion sind. Man verdächtigt den Intellekt, der ein 
guter Geselle ist, schiebt das Wissen beiseite, das den unteren 
Schichten als Waffe dienen kann, und propagiert einen Herois 
mus, zu dessen Wesensmerkmalen Dummheit und Unwissen 
heit gehören. Wer den Profit davon hat, ist klar. 
Herrschte noch ein Zweifel darüber, daß der deutsche Geist 
von den neuen Machthabern in eine Zwangsjacke gesteckt wird, 
so wäre er durch die literarischen Programme behoben. Sie sind 
von einer Dürftigkeit, der auch die Benutzung Paul Ernsts und 
die Einbeziehung der paar namhafteren Dichter, die mit der 
Rechten sympathisieren, nicht aufzuhelfen vermag. Und wer 
sie abhören muß, hat das peinliche Gefühl, daß die Rundfunk 
leute erst jetzt verzweifelt nach den künstlerischen Offenbarungen 
jenes deutschen Geistes Umschau halten, den sie meinen. Ihr 
Finderglück ist gering. Ich nehme nicht einmal Anstoß daran, 
daß man das Hörbild: „Stein" von Hans Henning Freiherr 
von Grote aufführte, eine historische Schwarte, die wie das 
Modell zu einem künftigen Ufa-Film wirkt und brav und ge- 
sinnungstüchtig auSgepinselt ist. Dergleichen wird in allen 
Parteilagern fabriziert. Viel verräterischer sind jene Erzeug 
nisse, die man uns als Proben heutiger Dichtung anzubieten 
wagt. Von Carl Heinz Hillekamps wurde die Geschichte 
eines Knaben gelesen, der in Gesellschaft eines Knechtes völlig 
einsam im Wald aufwächst, während der Pubertätszeit zum 
ersten Mal aus der Ferne ein junges weibliches Wesen erblickt, 
daraufhin in eine schwere Krankheit verfällt und nach einigen 
Umschweifen unheilbar geistesgestört wird. Ich habe den myste 
riösen Fall, der von einer „seltsamen Unwirklichkeit" ist, wie es 
oft in schlechten Besprechungen schlechter Bücher heißt, ohne die 
Poesie wiedergegeben, die ihn fortwährend umschwitzt und noch 
hoffnungsloser ist als der Fall selber. Daß diese Unwirklichkeit 
beim heutigen Rundfunk auf starke Nachfrage rechnen darf, be 
stätigen auch die Prosastücke, die Karl Nils Nicolaus las. 
In einem von ihnen fährt Jan nachts auf seinem Motorrad 
mit der Geige im Rucksack zum heimatlichen Meer, um sich über 
den Tod seiner Frau zu trösten. Dort auf den Dünen spielt er, 
wie Nicolaus es ausdrückt, „vom großen Leben, das göttlich 
ist, und vom großen Tod, der auch göttlich ist". Man bangt 
jeden Augenblick davor, daß diese geschwollene Sprache platzt, 
aber obwohl ste immer weiter mit Luft gefüllt wird, stößt ihr 
nie etwas zu. Die Luft ist die Innerlichkeit. Alle drei Geschich 
ten haben Innerlichkeiten zum Thema, die im Vergleich mit den 
wirklichen Ereignissen dieser Welt so nichtig sind, daß sie sich 
schon kosmisch aufblähen müssen, um überhaupt gesehen zu 
werden. Hätte der Rundfunk nicht greifbarere Belege des deut 
schen Geistes aufstöbern können? Aber der wahre deutsche Geist 
verkörpert sich heute in Schriftstellern und Dichtern, die ihre 
Augen nicht zumachen, sondern sie öffnen, die sich um unsere 
sozialen und politischen Verhältnisse bekümmern, Kritik üben, 
wo es not tut, niemals pflichtvergessen ins Unirdische und 
Überirdische flüchten und jene Unruhe verbreiten, die der Feind 
des Nurbeftehenden ist. Ich verzichte darauf, Namen zu nen 
nen, die bekannt sind und uns zur Ehre gereichen. Genug, daß 
sie sich in ihrer Mehrzahl auf der anderen Seite befinden, dort, 
wo der jetzige Rundfunk sich aus guten Gründen zu tummeln 
weigert. Ihm und den hinter ihm stehenden Kreisen geht es 
ja gerade darum, die Gefahren auszuschalten, die von diesen 
Dichtern und Schriftstellern her drohen. Sie suchen nicht die 
Kunst an den Stellen auf, an denen sie anzutreffen ist, sie suchen 
eine künstlerische Stütze der von ihnen vertretenen Politik. So 
müssen sie freilich Ohnmachtsprodukte wählen, die nicht aktiv 
das wirkliche Leben angreifen, sondern zwischen der Scholle 
und de» Sternen keine ander« Bleibe haben als eine Jnner- 
lichkeit, der jede Beziehung zu unserem äußeren Dasein fehlt. 
Ins äußere Dasein will sich die Bürokratie eben nichts herein 
reden lassen. Daher empfiehlt ste auch so dringlich die Pflege 
„landsmannschaftlicher Eigenarten". Noch immer hat die Re 
stauration die gegenwärtige Kunst, die dadurch, daß sie — un 
bekümmert um Stammeseigentümlichkeiten -- der Gegenwart 
auf den Leib rückt, nur eine neue, zeitgemäße Form der 
Stammeseigentümlichkeiten entwickelt, zugunsten epigonaler und 
historisch gewordener Gestaltungen unterdrückt. 
Dem starken Bedürfnis der für den Rundfunk verantwort 
lichen Mächte, unbeleuchtet schalten und walten zu können, 
entspricht nicht zuletzt die Art und Weise, in der die Aktuali- 
täten bewältigt oder vielmehr nicht bewältigt werden, 
Schickt man /,die PleyerS und andere Leute vor, die 
das Volk im „nationalen" Sinne bearbeiten und gegen 
das „System" mobil machen sollen, so ist man leise- 
treterischer, als es der alte Rundfunk je war. Die be 
schränkte Meinungsfreiheit, die sich damals im Rahmen der 
Neutralität entfalten durfte, hat der Angst vor Meinungen 
Platz gemacht. Wenn etwa die „Stimme zum Tag" ertönt, 
darf man sich darauf verlassen, daß sie aus dem Tag ins Un 
gefähre und Irgendwo entführt. Während einer Woche, die 
voll von interessanten, einer Stellungnahme bedürftigen Er 
eignissen war, hörte ich ste zum Beispiel aus Anlaß eines 
Falschmünzerprozesses über Falschmünzerprozeffe im allge 
meinen sprechen; über eine Pinguinen-Jnsel, die in einem 
Wlm gezeigt wird; über einen Besuch in London, der mit dem 
Tag überhaupt nichts zu schaffen hatte. Sie drang nicht in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.