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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Krane Woche. 
offen demonstriert, so hält er in ihm, erinnere ich mich recht, auch katastrophe den Leuten das Geld aus der Tasche und gibt dem Tod 
ein Menschengesicht fest, das gerade erlischt. Man mag diese Bilder 
unerträglich finden oder gar ihre Zulassigkeit bezweifeln, aber sie 
entspringen doch einer Weltausfassung, die jedenfalls nicht damit 
abgetan werden kann, daß das unkontrollierte Gefühl sich gegen 
einige ihrer Folgerungen sträubt. Und zwar sind die betreffenden 
Ausnahmen Grenzprodukt einer Lehre, die das individuelle Leben 
dem der Gemeinschaft radikal Untertan machen will. Auch die Pro 
zesse der Geburt und des Sterbens noch sollen von ihren Trägern 
gleichsam abgelöst und in die Öffentlichkeit des Kollektivs hinein 
getragen werden, dem der Einzelmensch vom ersten bis zum letzten 
Atemzug angehört. Es handelt sich also im Werthoff-Film nich^ 
nur darum seine Schrecken zurück, um ihn zur lukrativeren Sen 
sation zu machen. Nichts ist ihr heilig außer dem Geschäft, und 
alles erlaubt, außer finanziellen Verlusten. Die Folge eines solchen 
Verhaltens ist aber unweigerlich die Zersetzung sämtlicher echten 
Gehalte; auch jener, auf denen unsere heutige Gesellschaft beruht. 
Der Individualismus zum Beispiel büßt sein Recht ein, sobald 
Todesstürze zu Zerstreuungszwecken ausgenutzt werden können oder 
auch Kriege zum Bummeln. Ich sage das nicht aufs Geratewohl 
hin. In einer Berliner Zeitung wurde jüngst ein Kriegs 
bericht aus der Mandschurei unter dem Titel: „Bummel 
Berlin, Anfang Februar. 
Vor kurzem sah ich in einer Film woch en schau eine Auf 
nahme, die auch das sensationslüsternste Publikum zu befriedigen 
vermochte. Sie trug die Ueberschrift: „Todes stürz eines 
Flieger s" und war zwischen harmlosen Tier- und Sportbildern 
eingereiht. Der Flieger stieg zunächst friedlich auf, beschrieb schöne 
Bahnen in der Luft, und dann erfolgte der Todessturz. Er wurde 
von Anfang bis zu Ende gezeigt. Nachdem die Maschine einige 
Schlingerbswegungen ausgefichrt hatte, Überschlag sie sich und 
taumelte der Erde entgegen. Hier explodierte sie, und hier hätte der 
Operateur immer noch aufhören können zu kurbeln. Aber nein: 
„Das gibt's nur einmal, das kommt nie wieder." Die Zuschauer 
sind gezwungen, Zeugen der Feuersbrunst zu sein, sie dürfen nicht 
einmal wie die Menschen auf dem Flugplatz zur Unglückstätte 
rennen, sondern müssen untätig stillsitzen, während schwarze Flam 
men zum Himmel emporschlagen, aus dem der Flieger kam, der 
nun mit seinem Apparat in wenigen Minuten verbrennt. Ein 
Wunder noch, daß der Leichnam nicht herausgezerrt und in Groß 
aufnahme vorgeführt wird. 
Der r u s s i sche Avantgarde-Regisseur Dsiga Werth 0 ff hat 
in einem seiner stummen Filme ebenfalls den Vorgang des 
Sterbens vergegenwärtigt. Wie er in jenem Werk den Geburtsakt 
der Auslandswaren ab und tragen Überschriften wie: „Eßt deut 
sches Obst" oder „Deutsches Brot macht Wangen rot". So ist es, 
und ich wünschte nur, daß jeder von uns Geld genug hätte, um 
sich sämtliche angepriesenen Waren in Hülle und Fülle Zu kaufen. 
UeberAmpt spielt die Kunst in der Grünen Woche eine erstaun 
liche Rolle. Photos und Oelgemälde schildern die Freuden des 
Waidwerks und spiegeln den Zauber der Landwirtschaft wider. 
In langer Reihe ziehen sie sich an den Wänden entlang, regelrecht 
gemalte Bilder, auf denen Kühe von der untergehenden Sonne be 
strahlt werden und Hirsche in der Waldeseinsamkeit äsen. Bald 
wird der Jäger sie jagen und schießen, aber er hat dann wenig 
stens ein Bild von ihnen und Hre Geweihe. In einer Sonderschau 
sind eine Menge schöner Geweihe vereint, deren einige Ehren 
preise erhalten haben. Der erste besteht in einem Hindenburg- 
Porträt und ist für den besten deutschen Hirsch aus freier WiWahn 
zuerteilt worden. Ich sehe schon die Geweihe und die Gehörne 
über den Wald-möbeln hängen und bin davon überzeugt, daß sie 
sich mit den OeMldern gut vertragen. Diese erwecken übrigens in 
ihrer Mehrzahl den Anschein, als stammten sie aus früheren Jahr 
hunderten und aus den Niederlanden. Ihre Ackerschollen sind ein 
wenig verschollen und ihre Windmühlen in eine holländische Tunke 
getaucht. Wer auch die Natur ändert sich ja nur allmählich. 
Zum Glück bringt sie immer noch in ihrer verschwenderischen 
Gute Haustiere aller Art hervor, die für den Nähr- und Wehr 
stand von Nutzen sind. Während der Grünen Woche gibt sich ihre 
Elite ein SteMchem: ausgewählte Kaninchen, die das Entzücken 
der Kinder find, und herrliche Roste, die auf Reit- und Fahrtur- 
nieren vielerlei Künste entfalten. Sie werden von Stallmeister in 
prächtigen Uniformen behütet und galoppieren immer wieder über 
die Sandfläc^n der riesigen Halle. Die Peitschen knallen, die Trom 
peten blasen, die Wimpel stehen bunt in der Luft und in der 
Mitte liegt ein gemalter, hellgrüner Rasen. Lebenslustiger noch ist 
allerdings eine andere Halle, die so Mgebärdig dröhnt und lärmt, 
daß man sie schon von weitem vernimmt. Erst in der Nähe kommt 
man dahinter, daß sich das Hallen der Halle aus einem unaufhör 
lichen Gekrätze und Geschnatter zusammensetzt. Me Enten, Hühner 
und Hähne geben keinen Augenblick Ruhe, es ist, als würden in 
einem fort deutsche Eier gelegt. Ich weiß nicht, warum sie so auf 
geregt sind; es sei denn aus Freude darüber, vor ihrem jähen Tod 
noch einmal in der Grünen Woche beisammen zu sein. So schon es 
auch draußen in den Höfen, Feldern und Wäldern sein mag, ein 
gelegentlicher Besuch der Reichshauptfiadt hat doch seine Annehm 
lichkeit. Um so mehr, als jetzt gerade die Hotelpreise gesenkt worden 
sirch. 8. Lraeausr. 
B-Me, Anfang FÄrusL 
WiGer einmal fft Mo „Grün« Wsch«" in die Ausstellungs 
hallen am KaiserdÄMM singezogm; obwohl es noch gar nicht grün 
bei uns ist, sondern grau, regnerisch, kalt. Dennoch bin ich mir ganz 
grün in ihr vorgekommen, da ich nicht das geringste von den 
Schwimmpumpen, den Vorteilen des stählernen Ackerwagens und 
den Siegen der Magermilch verstehe. Dieser schmerzlich empfundenen 
Unkenntnis wegen verzichte ich auch von vornherein auf den Ver 
such einer fachmännischen Betrachtung, begnüge mich vielmehr mit 
der Wiedergabe einiger Eindrücke, die zweifellos ebenso nebensächlich 
wie unnütz find. 
Da ist zum Beispiel der Walb. Nicht der Waü> im allgemeinen, 
sondern der deutsche. Me ahnungslos man ihn gewöhnlich durch 
wandert, begreift man erst hier, in der grünen Wochenschau. Sie 
zeigt nämlich, wozu seine deutschen Bäume taugen und was aus 
ihnen alles hergestellt werden kann. Wahrhaftig, der Wald enthält 
Mehr als die Poesie, die unsere Volkslieder besingen; er ist von 
ein«: unvergleichlichen Zweckmäßigkeit. Ich rede nicht einmal von 
den Eisenbahnschwellen, die den deutschen Waldstämmen entstammen, 
ich «wähne nur die große Försterdienstwohnung, die mitten im 
Hallenvau« aufgHaut ist, so hoch da droben. In ihrer unmittel 
baren Nähe wachsen aus dem fruchtbaren Bretterboden ein paar 
TarmerckHums empor, die ebenfalls den Wald andeuten sollen, der 
das Ziel und der Ursprung dieses wundervollen Holzhauses ist. 
Wald, überall WaG — wir sind von ihm völlig umgeben und sitzen 
ßWsx emf ihm, wofern wir nicht SLahlstühle benutzen» Wer wer 
Mht« irr den MWelkojen dieses Waldreviers noch an Stahl? Es 
vsHrht sich von selber, daß sie mit lauter Tischen und Schränken 
GM Hotz gefüllt find, innenMchitekwnisch gemaserten Stücken, die 
dz nichts mehr an ihre landschaftliche Herkunft erinnern. Diese 
Möbel hüben die große Chance, aus irgendeinem plausiblen Grund 
Ar jeder Ausstellung auftauchen zu können. Sie waren in der Bau- 
wrMeLrmg zu sehen, well sie -um Bauen gehören; sie hatten sich 
teilweise in der Büroausstellung eingesunden, weil Büros wohnlich 
Pin müssen, und sie lassen sich jetzt neuerdings besichtigen, weil der 
WMe Wald Hre Geburtsstätts war. 
Äußer ihnen gibt es noch zahlreiche andere Erzeugnisse deut 
scher Nation? Autos, Leinen, Süßwasserfische, Benzin. „Deutsche 
BaumwoWoffe sehen Dich an!", heißt es ausdrücklich auf einem 
Plakat, das mit mehreren seinesgleichen die Aufgabe hat, für den 
Konsum deutscher Waren Propaganda zu machen. Im Dienst dieser 
Sache steht auch ein Schülerwettbewerb, dessen Ergebnis zum min- 
dsstm beweist, daß schon in manchem jungen Menschen ein tüch 
tiger Werbefachwann steckt. Oder er kann doch leicht in ihn hinein 
gesteckt werden» Viele Zeichnungen schrecken wirkungsvoll vom Kauf 
5- . -lF 6 ) 
Todessturz eines Iliegers 
etwa um schamlose Uebergriffe eines besessenen Film-Reporters, 
sondern um rabiate Schlüsse aus einer großen Doktrin. Sie werden 
mit einer naiven Unbekümmerttchkett gezogen und sind insofern 
berechtigt, als sie die Grenzen des neuen Gemeinschaftslebens einst 
weilen so wett wie möglich hinäusverlegen, um ihre spätere Ab 
steckung vorzubereiten. 
Der Filmstreifen vom Todessturz enträt einer solchen Bedeutung 
durchaus. Er überbietet beinahe noch jene berüchtigte Szene des Films: 
„Afrika spricht," in der ein Löwe v^rgeMch- einen Neger Zerreißt, 
und ist wie sie der Ausdruck einer Gesinnung, die in allen Leiden 
und Qualen nur dankbare Ausbeutungsobfekte erblickt. Ihr gilt 
der Tod keinen Pfifferling, wenn er sich nicht photographieren 
läßt, ihr ist das furchtbare Ende des Fliegers ein glücklicher Zu 
fall, den man nicht Preisgeben darf, ein rentables industrielles 
Nebenprodukt, das unter jeder Bedingung verwertet werden muß. 
Wahrhaftig, der Kameramann hat seinen Kasten nicht hinge 
schmissen, sondern wacker gedreht und gedreht, und ich glaube fast 
annehmen zu dürfen, daß er für sein Ausharren von der Firma 
gekrönt worden ist. Während der Werthoff-Film im Interesse der 
Kollektivisierung die Grenzen des Möglichen zu erweitern sucht, 
ist dieses Wochenschaubild das Zeichen skrupelloser Profitgier, die 
überhaupt keine Grenze mehr kennt. Sie lockt mit einer Flieger-
	        
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