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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Die Handlung ist eine brauchbare Unterlage für den Regisseur. 
Er heißt Max Neichmann und ist in der Manege zuhause. Die 
Genauigkeit seiner Arbeit hat den Hauptanteil an der Vortreff- 
lichkeit des Films. Wie liederlich verfährt die Mehrzahl unserer 
Regisseure mit den Details und den Hintergründen. Hier ist nichts 
erschwindelt. So werden in Pariser Vestibüls die Plätze ange 
wiesen, so folgen die Programmnummern aufeinander, so sind die 
Garderoben und die Kantine eingerichtet, so ißt ein Manager zu 
abend,, so sehen Stallmeister aus, so verhalten sich die Artisten zu 
ihrem Direktor. Aus hundert richtigen Beobachtungen entsteht ein 
Wm, der zum- Müdesten die MirKWkMspi-eg U; 
Die Zuschauer klatschten; was in Frankfurt leider Wen ge 
schieht. Das musikalische Mompagnement geht verständnisvoll mit. 
(Zur Aufführung des Films Lm 
Frankfurter Gloria- Palast.) 
K a,e ». 
Zu den Darstellern: Mary Johnson als Todesgirl erin 
nert an die Gish. Rührend hilflos mit großen Augen; die Rolle 
bewußt aufgebaut. Raimondo van Riel und Ernest van 
D ur e n waschechte Artistenbrüder in der Manege und im Privat 
leben. Der Manager Gerrons bis zuletzt durchgehalten, brutal, 
fett, abgebrüht, ohne ein unglaubwürdiger Bösewicht zu sein- 
Lucie Höflich duldend und hart, wie Geprüfte es sind, die 
ihre Leiden beenden. Valy Arnheims Stallmeister ^in sym- 
patischer Gentleman. Bis Zu den Clowns herunter sind die Mas 
ken penibel, ihre Auftritte wahrheitsgetreu. 
Zwei Brüder, Artisten auf dem Drahtseil, sind seit Jahren 
verfeindet, durch ihre abendliche Zusammenarbeit aber stumm an 
einander gekettet. Ein Manager nötigt seine Stieftöchter, in einer 
lebensgefährlichen Nummer aufzutreten, vor der ste sich überdies zu 
Tode ängstigt. Der jüngere Bruder möchte das Mädchen gütlich 
oder geivaltsam von seinem Peiniger befreien und die Wiederholung 
der Nummer verhindern. Was wäre in einem der üblichen Filme 
zu erwarten? Daß de^ Manager das Drahtseil lockerte oder das 
Mädchen verunglückte. Nichts davon; die Darbietungen gelingen. 
Das ist sehr gut, denn es beweist die verhältnismäßige Unabhängig 
keit artistischer Arbeit von dem Seelenzustand. Es ereignet sich noch 
das Folgende: der altere Bruder versöhnt sich Mt dem jüngeren 
und stellt den Manager selbst zur Rede. Durch eine. Verkoppelung 
von Umständen wird er für dessen Mörder gehalten. In Wahr 
heit hat die Frau die Tat in Notwehr begangen. Freispruch der 
Frau (Ort der Handlung: Paris). Hochzeit. 
nicht aus Brettern gedichtete ostpreußische Dörfer mit gestellten 
amerikanischen Phantasiestädtchen zusammenbraut, wie es der arg 
verrannte Murnau in seinem „Sonnenaufgang" getan hat — als 
stecke er noch im „Faust". Schon um der anständigen Arbeit wlllen 
ist „Manege" eine Ausnahme. 
* 
Der Realismus allein hätte nicht die starke Atmosphäre dieses 
Films erzeugt. Daß er sie ausstrahlt, daß er Glanz verbreitet und 
Erregung mitteilt, ist der gestaltenden Durchführung zu danken. 
Die Kamera wird außerordentlich geschickt gelenkt; so sind etwa 
die Glanzlichter der von einem Artisten geschleuderten Reifen ein 
wundervolles ornamentales Spiel. Die dargebotenen Zirkuspro 
duktionen, schon an sich von besonderer Art — der brüderliche 
Drahtseilakt vor allem ist schön erdacht —, werden nicht ihrer 
Länge nach verfolgt, sondern nur in den für den Film und die 
Handlung wesentlichen Ausschnitten gekurbelt. Wenn sie sich 
wiederholen, wiederholen ste sich nicht bloß. Keine Unter 
brechungen im Zeitfluß; die Großaufnahmen an entscheidender 
Stelle; die Massenszenen so unauffällig geleitet, daß man nicht 
gleich die Anordnungen durch Megaphon hört. 
Dr. Befsels Verwandlung. Man muß bei diesem im 
Capital gezeigten Film die vielen Unp-ahrscheinlichkeiten des 
Romans mit in Kauf nehmen, der als Vorlage gedient hat. Daß 
es einem verwundeten deutschen Frontsoldaten gelungen sein sollte, 
sich durch die Aneignung der Ausweispapiere eines auf dem 
Schlachtfeld neben ihm gelegenen toten französischen Soldaten mit 
diesem zu identifizieren und nun in Frankreich als der betreffende 
Tote fortzuleben, ist eine Konstruktion, die an die Gutgläubigkeit 
der Zuschauer (die Leser gehen uns nichts mehr an) verteufele 
Ansprüche stellt. Die Konstruktion zieht dann noch die Mutter des 
falsch auferstandrnen Toten zu Hilfe und verstrickt fie^mitsamt 
seiner Braut in Gefühle und Handlungen, die sogar dem Phantasie- 
begabten Autor einiges Kopfzerbrechen gekostet haben muffen. 
Notdürftig gerettet wird der Film durch das Spiel, wenigstens 
vermögen die guten darstellerischen Leistungen ab und zu eine nick4 
vorhandene Wirklichkeit vorzutäuschen und auch über manche 
Atelierhintergründe hinweg zu helfen, die von der Regie aufae- 
baut sind, um Paris oder Marseille zu ersetzen. Hans SLüwe hu 
ein ehrliches Männergesicht und gibt alles her, was ihm als Beffel 
auf dem vorgeschriebenen Weg an Freude und Angst zugemutet 
wird. In den seelischen Zwischenschichten ist Agnes ELerhazy 
zuhause. Curt Bois und Jlka Grünfeld haben nur kleine 
Auftritte, aber wie sind die paar Szenchen gestaltet! Auch sonst ist 
an ersten Kräften nicht gespart: Jacob Tiedtke, Rosa 
ValeLti und Gertrud Eysold sind mit von der Partie. 
Schade nur, daß, wie so oft, der große schauspielerische Aufwand 
für eine Sache verbraucht wird, die ihm nicht genügt. Immerhin 
k sei die folgende Bemerkung nicht unterdrückt: das Ereignis des 
> Kriegs steht noch heute — oder richtiger: erst heute —- so 
! waltig vor den Menschen, daß es sogar in einer Herart schiefen 
Komposition wie dieser nicht völlig vernichtet werden kann, sondern 
; durch ihre Lücken hindurchbricht und für Momente selber wahr 
! nehmbar wird. 
Hin Zirlmssilm. 
Der Film: „Manege" der Deutschen Film-Union A.-G. über 
ragt unsere miserable Durchschnittsproduktion um ein gutes Stück. 
Er spielt in der Zirkuswelt, hat es also etwas Leichter, die soziale 
Verlogenheit der einheimischen Gesellschaftssilme zu meiden. Aber 
die Manege birgt andere Gefahren für das Kino: Todesstürze, die 
tragisch sein sollen und nur sentimental sind, Beschwörung des 
Flitters, Verlegung des Schwergewichts auf Effekte,'die darum noch 
j lange keinen Effekt auf der Leinwand machen, weil sie im Zirkus 
es tun. Allen diesen Gefahren entgeht der Film. Mag er Schwä 
chen enthalten — einige Zugeständnisse in der Handlung, ein paar 
nur illustrierende Streifen —, sie verschwinden gegenüber seinen 
Vorzügen, die bestricken. 
- M raffmrerteste Frau Berlins. Ein GauneMckchen, nach 
Mem-Knwrnalroman verfilmt, mit Mary Johnson in der 
Hauptrolle, die eine stärke Begabung ist. Sie spielt ein unschul ¬ 
diges Wdchen, das durch »eiwen Zufall ich 
verschlagen wird, und ihrer Naivität wegtzn Ns M durchtriebene 
Person erscheint. Wie sie diese Unschuld vorn Lände davstM, ist 
schon ausgezeichnet; denn hinter der aufgeschminkten Unschuld 
schimmert die Durchtriebenheit durch, die zu dieser Schminke , ge 
griffen hat. Im übrigen: eine stofflich amüsante Handlung, Pen-' 
delverkehr Zwischen Kopenahgen und Berlin, .die Regie durch 
schnittlich Der Mm wird in den AUemannia-M 
spielen gezeigt. -^r. 
Tom Mix. Dieses Mal tritt der unverbesserliche Wildwest 
Held in einem Stück: „Die Panzerpost" auf, das die Neue 
Lichtbühne und die Kammerlichtspiele Zeigen. Das 
Rezept ist immer das gleiche' durch seine Reitkunst, seine Kühnheit 
und seinen edlen Charakter bezwingt Tom Feinde, Jntrigen und 
Mädchen. Die Handlung spielt zu jener Zeit, als noch Räuber 
banden den Westen unsicher machten und Pferdekutschen auf den 
Landstraßen ausgeplündert wurden; in der Großstadt und im Auto 
wäre auch Tom schlecht am Platz, es sei denn, er wirkte als De 
tektiv. Seine Filme sind primitive Kost, aber längst nicht die 
schlimmste. — Voran geht ein Film: „D e r s p r e ch e n d e A f f e", 
nach dem bekannten Theaterstück schlampig gedreht. Leider kommen 
die Kopien beider Filme auf der Leinwand nur trüb heraus. 
Ein Carmen Born-Film. Der Film: „Lotte hat ihr 
Glück gemacht", den die B i e b e r La u - 2 ich t s p i e l e 
zeigen, ist ein Vauöeville, das einige amüsante Partien enthalt. 
Eine Maniküre lernt bei ihrer an Anknüpfungsmöglichkcrten 
reichen Tätigkeit einen Lebejüngling kennen, mit dem sie eine 
Dchsinheirat eingeht — der Papa hat andere Pläne mit seinem 
Sohn —, die dann beiderseitiger sogenannter Liebe wegen zur 
Dauereinrichtung wird. Carmen Boni in der Hauptrolle zieht 
sich anständig aus der Afure, wahrscheinlich gelangt sie in weniger 
leichtfertigen Rollen besser zur Wirkung. Schade, daß Rosa 
Valetti nur in einer Nebenrolle auftritt. Andrö Rsänne 
als Jüngling hat das richtige Windhund-Gesicht, ganz leer und 
flott. Hans Junker mann kommt mit dem Krückstock als Lebe- 
greis daher; blendend geradezu Hermann Valentin mit Leu 
Pascha-Allüren eines MaKaronifabrikanten en §rc>3. Sonst noch: 
die übliche Jazzmusik und vergnügungssüchtige Ärmen und Herren. 
Der Schluß effekt recht hübsch. , LseL.
	        
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