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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

! wird es empfunden, daß die Werkpläne für das ganze Theater 
mitsamt feinen maschinellen Einrichtungen noch vollständig 
vorliegen. Der Intendant Dr. Hagemann ist der Ueber 
zeugung, daß bei großer Beschleunigung der Bauarbeiten das 
Theater binnen einem halben Jahr wieder in seinem alten 
Glanz erstehen kann. 
Inzwischen wird man sich in der Hauptsache wohl oder übel 
mit dem „K lei.n en Haus", dem ehemaligen Residew'theoter, 
behelfen müssen- Dieses wenige Fahre vor Kriegsbeginn von 
dem jetzigen Kurdirektor Dr. Rauch erbaute entzückende 
Theaterchen sank im Krieg zur Operettenbühne, späterhin gar 
zum Kino herab, und wurde schließlich, als es in die Hände 
von Ausländern zu gelangen drohte, von der Stadt aus längere 
Zeit gepachtet. Vor rund anderthalb Jahren richtete das 
Kultusministerium unter dem jetzigen Intendanten eine zweite 
Staatsbühne in ihm ein, die nunmehr dem Schauspiel und der 
kleinen Spieloper dient und sich großer Beliebtheit erfreut. Für 
Opernaufsührungen kommt das Kleine Haus freilich ebenso 
wenig in Betvacht wie der Kurhaussaal, dessen Umbau 
sür einen solchen Zweck sich als technisch unmöglich erweist und 
ja auch allzu große Kosten verschlingen würde. Immerhin ist 
es nicht ganz undenkbar, daß man doch noch ein Provisorium 
schaffen kann, das Ger ds« opernlofe,chis schreckliche Zeit hm- 
Was soll jetzt geschehen? Das ist die Frage, die alle Ge 
müter beschäftigt. Nun, die beteiligten Kreise sind sich einig 
darin, daß sobÄd als möglich wieder aufgebaut werden muß. 
In einer außerordentlichen Sitzung beriet der Magistrat bereits 
über die zunächst zu treffenden Maßnahmen, und die Verhano- 
lungen mit dem Ministerium sollen alsbald ausgenommen 
werden. Wie entschlossen und tatkräftig man vorgeht, beweist 
die eine Tatsache, daß schon gestern ein neues D a ch für das 
Bühnenhaus bestellt worden ist. Mz wesentliche Erleichterung 
vermag. Die vielen eisernen Führungsschienen der Prospekte 
hängen lose und verbogen, als seien sie Kinderspielzeug, an 
oen kahlen Seitenwänden herab. Dir umlausenden Arbeite 
galerien sind verschwunden, von dem Schnürboden mit seinen 
vielen Tauen und Stricken fehlt jede Spur. Der eiserne 
Vorhang, der zum Glück standhielt, ist gewellt wie ein 
> Tuch und an einer Stelle auseinandergesprengt. Auch der 
Bühnenboden weist natürlich große Riffe auf, wie überhaupt 
sämtliche maschinellen Einrichtungen des Bühnenhauses völlig 
zerstört sind. Die Aufrämnungsarüeiten, die am Montag früh 
sofort einsetzten, werden Wohl eine Reihe von Tagen in An-^ 
spruch nehmen. Zur Zeit schafft man sorgfältig Stück für^ 
Stück "der Prospekte ins Freie. Die Beseitigung des Riesen- 
knäuls der Eisenkonstruinioney steht als schwerste Arbeit noch! 
bevor. Ein sÄtsamer Anblick, diese rauchgeschwärzten, .hoch-' 
ragenden Mauern, die in den oberen Regionen irgendwo 
ohne Grund plötzlich aufhören, diese ganze ungeheure leere 
Raum, auf dessen sinnlos und unordentlich gehäuftes Eisen- 
gerümpel der kaltblaue Himmel des Vorfrühlings lächelnd 
herniederscheint. 
Bei alledem hatte man noch Glück im Unglück. Dekora ¬ 
tionen, Versatzstücke und Prospekte sind nur in geringer An 
zahl zerstört, da von der „Rienzi"-Aufführung her lediglich 
der Rundhorizont mit Stilbühne stand. Die unmittelbar zu 
beiden Seiten der Bühne angrenzenden Garderoben- und 
Büroräume haben kaum eine Beschädigung erlitten. Ueber- 
Haupt ist der unersetzliche Fundus des Theaters — Kostüme, 
Musikinstrumente, Bibliothek — so gut wie völlig unver 
sehrt geblieben, desgleichen die ganze DersenkungSmaschineric 
sowie der Maschinenraum; bloß einzelne in der Rüstkammer 
befindliche Ausstattungsstücke find von dem Feuer an 
gegriffen worden. Gerettet ist auch, was die vielen aus 
wärtigen Theaterfreunde besonders inieressisren wird, der 
herrliche Zuschauerraum, in den die nach oben treibenden 
Flammen gar nicht eingedrungen sind. Am Morgen nach dem 
. Brand fand man noch auf den Drchesterpulten die unbe 
schädigten Noten zum „Rienzi". 
* 
Erst um ^11 Uhr, als der „Rienzi" längst zu Ende geführt 
war und das Haus in völligem Dunkel lag, wurde der Aus 
bruch de^ Brandes bemerkt. Die durch verschiedene Feuer 
melder sofort alarmierte städtische Feuerwehr war trotz des 
Hindernisses der leider noch immer bestehenden Telephonsperre 
bereits um 10 Minuten vor 11 Uhr vollzählig zur Stelle. Zur 
Absperrung erschienen unaufgefordert zwei Kompanien der 
französischen Besatzungsiruppen, die sich im übrigen an den 
Loscharbeiten nicht weiter beteiligten. Schon um 1 Uhr gelang 
es der Wiesbadener Feuerwehr, den Feuerherd zu lokalisieren, 
ohne daß sie hierzu der Unterstützung der auf französischen An 
ruf herbeigeeLten Aiainzer Feuerwehr bedurft hätte. Sie setzte 
gleich nach Erscheinen die Berieselung des eisernen Vorhangs 
zum Zuschauerraum in Tätigkeit, griff das Bühnenhaus mit 
28 Leitungen an und beseitigte so durch ihr umsichtiges Vor 
gehen die Gefahr für die anstoßenden Bauteile. Die Witterung 
kam ihr zu Hilfe. Hatte statt des OstwindeS Westwind ge 
herrscht, so wäre ein Uebergreifen der Flammen auf das be 
nachbarte Foyer-Gebäude kaum zu verhindern gewesen. Durch 
die Wasserfluten, die das Feuer erstickten, sind naturgemäß 
auch die das Bühnenhaus umlagernden Räumlichkeiten, sowie 
die Dersenkungsvorrichtungen überschwemmt. worden. Dieser 
Schaden wird aber am schnellsten zu beheben sein. Auf den 
Rasenflächen vor dem Theater sonnen sich schon, harmlosen 
Untieren gleich, riesige DÄorationsstücke und auch die vielen 
flachen Seitendächer sind geradezu Lbersät mit dem bunten 
Flitterwerk durchnäßter Kostüme, die friedlich zum Trocknen 
ausgsbreitet liegen. * 
Der Grund für den Ausbruch der Brandkatastrophe ist 
noch ganz unaufgeklärt. Der Obermafchinenmeifter selber über 
wachte das Auslöschen der Fackeln am Schlüsse des „Rienzi", 
und ein Versehen von dieser Seite erscheint um so mehr als 
ausgeschlossen, als ein Bühnenkünstler, der geraume Zeit nach 
Beendigung der Vorstellung noch einmal die dunkle Bühne 
überschritt, nichts Verdächtiges beobachtete. Kurzschluß kommt, 
so wird von den Fachmännern versichert, ebenfalls nicht in 
Frage, da die gefamten elektrischen Leitungen im Theater nach 
Theaterschluß ordnungsgemäß stromlos gemacht worden sind. 
So tappt man vorerst völlig im Dunkän und darf auf die 
Ergebnisse der im Gang befindlichen Untersuchung sehr ge 
spannt sein. 
Der Schaden beziffert sich, wie wir bereits mitgeteilt 
haben, nach den ersten überschlägigen Schätzungen auf runs 
drei Milliarde nMark. Dem Vernehmen nach ist zum 
mindester ein Teil der gewaltigen Summe durch Versicherung 
gedeckt. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß über die Erhöhung 
dieser Versicherung gerade mit der Stadt, die Eigentümerin des 
Theaters ist, verhängt wurde. 
! Sie MsienschaftMßs.') 
Z u den g run d s ätzlichen Schrifte« War WeOsrs 
und Ernst LrseltschS. 
Von Dr Siegfried Krasmrer. 
Max Weber, nach Droeltschs trefflicher Charakteristik 
„einer der mächtigsten deutschen Menschen und der um 
fassendsten, zugleich methodisch strengsten Gelehrten des Zeit 
alters", hat Kompromisse von der Art, wie Troeltsch sie schließt, 
schroff «-gelehnt. Aus seinen wiffenschaststhsoretischen Auf 
sätzen, die unter Einschluß des den sogenannten „Mffenscheffts- 
streit" entfesselnden Münchner Vsrtragsrl „Wissenschaft als 
Beruf" jetzt endlich gesammelt vorliegen („Gesammelte 
Aufsätze zur Wissenschaftslehre", Tübingen, I. 
C. B. Mohr, 1922) wird feine neMtiv-roligiöse Haltung in 
ihrer ganzen Dämonie offenbar. So gut wie irgend einer hat 
Weber das Leiden der Jugend an der durch die Wissenschaft 
herbeigeführten „Entzauberung der Welt" erfahren, er weiß 
jedoch auch, daß die Sehnsucht der Jugend nach dem Absoluten 
von der Wissenschaft selber nicht gefüllt werden kann. Der 
Sprung zum Absoluten, so urteilt er, hierin tiefer, well radi- 
kÄer als Troeltsch, ist ein Sprung, der über den Abgrund 
hinweg in den Bereich des Maubens und damit endgültig aus 
dem Bereich der Wissenschaft hevaus führt, und unumwunden 
erklärt er — ein Kierkegaard mit umgekehrtem Vorzeichen —, 
daß „die Spannung zwischen der Wertsphäre der „Wissen 
schaft" und der des religiöstn Heils unüberbrückbar ist". Sind 
aber, von der Wissenschaft aus geschen, alle Wertentscheidungen, 
alle Zielsetzungen unseres Handelns notwendig relativ, so hat 
nach ihm die Wissenschaft, will sie ihrem Objektivitätsideal 
gerecht werden, sich unter Ausschaltung jeglicher 
Wertung rein auf den Nachweis der Bereitungen von 
Sachverhalten und Tatsachen, der inneren Strukturzusanmen- 
hänge von Kulturgütern usw. zu beschränken. Das ist für ihn 
Sache der „intellektuellen RechtschaffenHeit" und heißt ihn 
jede wissenschaftlich verbrämte „Kathederprophetie" ver 
werfen, die in den Hörsälen zu geben sich anmaßt, was „nur 
ein Prophet oder ein Heiland" zu künden vermag. 
Das Verfahren, nach dem Weber ein objMves und wert 
freies Verständnis des sinnhafien Geschehens zu erreichen strebt, 
kann hier nur grob Umrissen, seine Problematik nur gerade ge 
streift werden. Es steht für Weber von vornherein fest, daß 
die durchgängige kausale Verknüpstheit der unendlichen-Ereig- 
nisfolye innerhM der geistigen Welt — ein« Verknüpstheit 
übrigens, an deren SelbstverstäniEichkeit Trocktsch aus guten 
Gründen zweifelt — niemals ganz anfzuhellen ist, und daß 
man sich darum auf das verstehende Erfassen ausgewählter 
Bruchstücke des nnausschöpflichen Erfahrungszusammenhangs zu 
beschranken habe. In dieser Absicht vereinfacht und schemati 
siert Weber den jeweils ihm vorliegenden verworrenen Au- 
sammenhang (z. B. das „Christentum" oder den „Kapitalis 
mus") so lange, bis er aus ihm, durch einseitige Hervorhebung 
irgendwelcher Gesichtspunkte, das eine oder andere in sich 
widerspruchslose unwirkliche Gedankenbild, den sogenannten 
„Jdealthpus" (also z. B. den „Jdealtypus" des „Kapi 
talismus") gewinnt, der dann dank seiner Eindeutigkeit und 
völligen Faßlichkeit als Ausgangspunkt sür das Wirklichkeits 
verständnis M dienen vermag. Die idealtypischen Konstruk 
tionen, deren Zahl genau so unbegrenzt ist wie die der Werte, 
auf die sich die zu untersuchende Wirklichkeit beziehen läßt, 
nehmen zumeist eine „zweckvationole" Form an, das heißt, sie 
sagen aus, wie ein Handeln Mausen würde, wenn es, un 
beeinflußt von Affekten, rein rational einen gewissen Zweck 
(z. B. wirtschaftlichen Vorteil) verfolgte; aber auch dort, wo
	        
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