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fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Gasprers und Mittelstand. Die' Gäsgesellschaft, die bereits z 
fniher einen namhaften Betrag zur Ermäßigung des Gaspreises für! 
Minderbemittelte aufgebracht hat, soll jetzt, dem Beschluß der Stadt- 
verordneten-Versammlung zufolge, diesen Betrag auf eine Million 
Mark erhöhen und ihn aus Gründen der Zweckmäßigkeit dem Wohl 
fahrtsamt zur Verteilung überweisen. Nicht nur in den Kreisen der 
Arbeiter, sondern mehr vielleicht noch in den notleidenden 
Schichten des Mittelstandes wird sich, so schreibt man 
uns, die Erhöhung des Gaspreises sehr fühlbar machen. Gerade 
bei diesen Schichten aber, also bei Altpensionären, erwerbsunfähi 
gen Wirwen, Kleinrentnern usw. stellen stch vielfach innere Hem 
mungen gegen die M des Wohlfahrtsamts ein, Hem ¬ 
mungen, die zumeist einem Schamgefühl entspringen, das heute 
sicherlich nicht mehr am Platz ist. Solche seelischen Widerstände 
sind zu überw'mden. Wer nachweislich mit der Teuerung nicht 
Schritt halten kann, möge stch ebenfalls durch solche Bedenken nicht 
davon aLhalren lassen, bei dem für jedermann zugänglichen Wohl 
fahrtsamt um die in Aussicht gestellte Rückvergütung einzu- 
kommen. . 
Zu der Vorlage über die Verbesserung des Srraffcnbahn * 
Verkehrs äußerte Stadtv. Landgrebe (lib.) verschiedene 
Wünsche, vor allem die Durchführung der Linie 20 nach RödeLheim 
fordernd. Stadtv. Ulrich (Soz.) begründete zwei Anträge, 
deren einer die Durchführung her Linie 18 nach der Niederwald 
Kolonie verlangt. In der weiteren Debatte wurde besonders über 
den Mechten Vorortverkehr, zumal nach Nödelheim geklagt. Stadt 
rat Dr Schmude wies darauf hin, daß bei der Verbesserung des 
Vorortverkehrs gebührende Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit des 
Betriebs genommen werden müsse. Die Linie 20 solle versuchsweise 
durchgeführt werden. Die Anträge Ulrich gingen an den Haupt- 
und Tiefbauausschuß. 
Die ablehnende Antwort des Magistrats auf dm Beschluß der 
Stadtverordneten - Versammlung, die weibliche Abteilung der 
städtischen Rechtsauskunftsstelle der männlichen Abtei 
lung glerchzustellen, wurde von den Stadtv. Schütz (Dem.) und 
Frau Fürth (Soz.) angegriffen, während Stadtv. Landgrebe 
(lib.) für die Magistratsmaßnähme eintrat. Bei der Abstimmung 
entschied man stch für die Annahme des Antrages Schütz, der die 
Erneuerung des früheren Beschlusses fordert. 
Von den Berichten des Hochbauausschusses verdient ein Antrag 
Erwähnung, der die Errichtung von Laden bauten an der 
Katharinenkirche empfiehlt, wobei dem kirchlichen Charakter 
Rechnung zu tragen sei. Der Antrag wurde genehmigt, desgleichen 
die Anträge des Sozialpolitischen Ausschusses auf Winterbeihilfe 
an Bedürftige. 
Stadtv. Higler (Soz.) beantragte für den Wirtschaftspok- 
Lischen Ausschuß eine Abänderung des Vertrags zwischen 
Stadt und Gasgesellschast, 
die bewirkt, daß vor jeder Erhöhung des Gaspreises die Stadt- 
mrordneten-Versamm ung zu hör^n ist^ Auch forderte er namens 
des Ausschusses von der GasgesellschafMie Ueberweisung von einer 
Million Mark jährlich an das WohlfahMamt zur Verbilligung des 
Gaspreises sür Minderbenrittelte. Stadtv. Ulrich (Soz.) trat 
jür eine Staffelung der Gaspreise ein, während Stadtv. Lang 
(Komm.) eins Erhöhung der Rücklage aus zwei Millionen bean- 
tragie. Nach Ausführungen des Stadtrats Pros. Bleicher, der, 
den Standpunkt der Gasgesellschast vertretend, die Anträge noch 
nicht für spruchreif crk arte und die Erhöhung des Gaspreises durch 
den Hmweis auf die neuerliche Verteuerung der Kohlen rechtfer 
tigte, erhob Swdtv. VouvereL (Dem.) (Einspruch dagegen, daß 
die Gasgesellschast ihren Aufzabenkreis zu weit ausdehne, und da 
durch das Handwerk schädige, und beantragte, daß in den abg^ 
änderten Vertrag eine Bestimmung zum Schutze des Handwerks 
ausgenommen werde. Im Verlaufe der Debatte, in der u. a- 
Stad v. Henä (Dem.) um Annahme der Anträge und Stadtv. 
Dr. Goldsch midt (Dem.) sich gegen die von Stadtv. Hene 
beantragte Erhöhung der Konzessionsgebühr wandle, sowie den 
Antrag auf das Mtbsstimmungsrecht der StadwerordMen-Ver- 
sammlung als Bürokratisierung ablehnte, verteidigte Baurat 
Tillmetz die Haltung der Gasgesellschast. Die Abstnnmung er 
gab die Annahme der Ausschußanträge. Die Anträge Lang und 
Hene wurden abgclehnt, der Antrag Bouveret, bei dem 37:37 
Stimmen standen, durch Stichentscheid des Vorsitzenden Dr. Hertz 
angenommen. 
* Zu vorg rückter Stunde regte noch Stadv. Wagner (Mittelst.) 
in einer Anfrage die Prüfung der Hausbeschädigungen an, die 
durch Bodensenkungen hervorgcrufen werden. Sein An 
trag wurde dem Hochöauausschuß überwirsen. 
Rudolf Steiners ÄmhrspssoptzLe. In einer von der Arbeits 
gemeinschaft der Neuen freireligiösen Gemeinde und vom Monisten- 
öund Einberufenen Versammlung sMch Pros. Drews (Karlsruhe) 
über Steiners Änthroposophie. Der Redner legte zunächst einige der 
Ergebnisse dar, zu denen Steiner kraft Hellsehens im Bereich des 
Übersinnlichen gekommen sein will — so seine Lehre vom 
Astralleib und Aetherleiö, seine Lehre von der Wiederverkörperung, 
vom Karma, von der Fortdauer der individuellen Existenz über den 
Tod hinaus — und zeigte dann in eingehender erkenntniskritischer 
Untersuchung, daß entgegen der Behauptung Steiners unserem er- 
kenEden Bewußtsein die unmittelbare Erschließung der 
übersinnlichenWelt prinzipiell versagt bleibt. Gesetzt aber 
den Fall selbst, der Hellseher nehme etliche der von Steiner angeb 
lich erschauten übersinnlichen Tatbestände wahr, so wäre doch damit, 
wie der Redner ausführte, noch nicht das mindeste über die Objek 
tivität dieser Tatbestände ausgemacht, ebenso gut könnte es sich 
vielmehr bei ihnen um Hallu z i n a t i o n en und ein subjektiv 
bedingtes Spiel der Einbildungskraft handln. Die Erkenntnisse 
Steiners charakterisierte der Vortragende als Resultate eines Den 
kens, das teilweise einen bereits überwundenen grobschlächtigen Ma 
terialismus in das Gebiet der übersinnlichen Welt verpflanzt und 
teilweise sich an der neuplatonischen Mythologie und der anglo- 
indischen Thessophie emporrankt. Auch gegen die von den Anhängern 
Steiners behaupteten moralischen Auswirkungen der anthroposophi- 
schen Lehren brächte er gewichtige Argumente vor. Die Blütenlese von 
Beispielen, die er aus der anthroposophischen GeheimwissenfchafL 
zum besten gab, rechtfertigte hinreichend das von ihm zitierte Wort 
Gundolfs, bemzirfolge diese Geheimwissenschaft im wesentlichen 
em „Hintertreppenklalsch aus der GeisterwelN ist. Zum Schluß er 
klärte der Redner die von ihm beklagte Hinwendung eines Teiles der 
studierenden Jugend zur Änthroposophie aus dem lange unterdrück 
ten und nun gewaltsam herzbrechenden m e t a p h y s i s ch e n B e - 
o ü r r n i s, das an dem heute auf den Universitäten gepflogenen 
Wlssenschaftsbetrieb keine Genüge finde, und kennzeichnete die anthro- 
poftpyrsche Bewegung als eine jener Epidemien, die stch nun einmal 
aussen müssen. Die zu Beginn der Aussprache zu Worte kommen 
den Anhänger der Änthroposophie vermochten die grundsätzlichen 
rm Emwände des Vortragenden gegen die Lehren Steiners 
Jahre „Deutsche Kunst und DekoraLiott".I Mit 
einem hervorragend aus gestatteten Doppelheft eröffnet in 
schwerer Zeit die Darmstädter Kunstzeitschrist „Deutsche Kunst und 
Dekoration" ihren Jubiläumsjahrgang. Der Herausgeber, Hoftat 
Alexander Koch, schildert in einem zusammenfaffenden Vorwort 
dm von ihm beschrittenen Weg. Die Kunst immer mehr in Fühlung 
mit dem praktischen Leben zu bringen: das war der Kerngedanke, 
der ihn bei allen seinen Unternehmungen leitete und dem auch seine 
führende deutsche Kunstzeitschrist entwuchs. Diese ist ihrer Mission 
stets treu geblieben und hat darum selber eine wichtige Rolle in der 
Entwicklung des deutschen Kunstlebens gespielt. Durch Vorführung 
guter Beispiele aus den Gebieten der freien und der angewandten 
Kunst hat ste, ohne sich je allzu ängstlich und schulmeisterlich auf 
einen bestimmten Stil, eine bestimmte Richtung festzulegen, nicht nur 
die Künstler gefördert, sondern auch für die geschmackliche Durch 
bildung des Volkes gesorgt und derart in einem hohen Sinne er- 
I zieherisch gewirkt. Der Herausgeber darf wahrlich mit einem Ge 
fühl der Genugtuung auf seine segensreiche Tätigkeit in dem ver 
flossenen Vierteljahrhundert zurückblicken. Das Jubiläumsheft selber 
enthält eine Fülle wertvoller Abbildungen und Trxtbeiträge. Max 
Osborn folgt dem Werdegang der Zeitschrift und würdigt mit 
klugen Worten ihre Bedeutung für die deutsche Kunst der letzten 
Jahrzehnte, Besonders ausführlich wird der Erweiterung des 
StädelschenMuseumszu Frankfurt gedacht, über die Benno 
Reifenbergin einem gehaltvollen Aufsatz berichtet. Eine An 
zahl der nun in dem Erweiterungsbau untergebrachten Gemälde sind 
abgebildet, und auch die programmatische Eröffnungsansprache des 
Galerieleiters Pros. S w arz e n s k i hat Aufnahme gefunden. Da 
zwischen eingestreut ist eine feinsinnige Betrachtung Wilhelm 
Michels (Darmstadt) über den Zusammenhang der Kunst mit 
der gegenwärtigen Geisteslage, in der zur ASstandnahme von 
Schlagworten und zu schweigender innerer Bereitschaft für eine 
kommende Verfestigung der Welt ermähnt wird. Zahlreiche Ab 
bildungen von Wohnhäusern, deren Entwürfe von Pros. Schultze 
(Naumburg) und Pros. Bruno Vaul stammen, bieten Gelegenheit 
zum Studium gediegener Wohnkultur. Aus dem Gebiete der Klein 
brüst begegnet man u a. Stickereien und Puppen von Lilli und 
Ewald Vetter und Arbeiten der ältesten Volkstedter^ 
Porzellanfabrik (zum Teil nach bizarren rokokoartigen Entwürfen 
Peof. Poelzigs). Besondere Erwähnung verdienen noch die 
trefflichen Bühnenbilder des am Hessischen Landestheater zu 
.Darmstadt wirkenden Bildhauers T. C. Pilartz, die der Bühnen- 
kunst neue Wege zu weisen geeignet sind. Im Anhang beigegebeue* 
Zuschriften führender Künstler und Kunstkenner an den Herausgeber 
spiegeln die Bedeutung der Zeitschrift für das deutsche Kunstleben 
im Urteil der Berufenen wider. Xr.
	        
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