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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

! streiten, daß, entgegen der Lberlutherischen Verdcutschungs- 
tendenz, die Eigennamen auf Hebräisch eingesetzt we-den: 
Eszaw (Esau), Ribka (Rebekka), Jirmejahü (Jere- 
mias) der Künde r. Die nationalen Belange fordern, 
vielleicht, ihr erdvölkisches Recht. 
Ist auch ihre Wirklichkeit nicht projektiert, so bleibt zu ver 
muten nur übrig, daß das ästhetische Interesse dazu ver 
leitet habe, in die rein deutsche Umwelt die exotische Vegetation 
der hebräischen Nomenklatur einzupflanzen. Dieses Interesse 
wäre freilich dem auf Wirklichkeit gerichteten entgegen; in 
dessen, mag es zugrunde liegen oder nicht, Anlage und Sprache 
des Werks scheinen zuletzt doch von ihm bestimmt. Ihre wie 
immer fragwürdige ästhetische Wirkung bestätigt indirekt, daß 
ihre Wirklichkeit nur eine ästhetische ist. Sie sinkt aber dort 
gerade in die Ohnmacht des Aesthetifchen zurück, wo sie am 
entschiedensten als Realität gelten möchte. Der Verzicht auf 
den Kommentar, der den Sinn haben soll, die Wahrheit der 
Schrift unverstellt darzubieten, ruft den Eindruck hervor, als 
sei er um der künstlerischen Reinheit willen geleistet. Die 
sprachlichen Zeugungen, in der Absicht einer Wiedererweckung 
der Schriftgehalte geschaffen, kommen im nachempfundenen 
Rhythmus — Borchardt könnte ihn besser — gar nicht wesen 
haft daher, sondern zwängen sich angestrengt in ihn hinein 
und betonen geflissentlich ihre Schöne, so verblichen sse ist. 
Richt gründet auf die Wirklichkeit hier sich die Kunst, in dem 
Künstlerischen vielmehr verflüchtigt sich jene. 
(Schluß folgt.) 
ist, sind beabsichtigt oder unfreiwillige Stabilisterungsversuche' 
des herrschenden Gesellschaftszustands. Daß sie Verdrängungs 
erscheinungen sind, nimmt ihnen das Gewicht. Die Wahrheit 
läßt sich in diesen Sphären unmittelbar nicht mehr finden. 
Mit ihr ist die Sprache abgewandert. Mochte Luther sich 
zutrauen dürfen, die Bibelsprache der des Volks zuzuführen, 
mochten Klassik, Romantik und Idealismus eine Sprache ge 
brauchen, die darum legitim von dem Geist her bestimmt und 
von dem zwischen Transzendentalsubjekt und Persönlichkeit 
schwankenden Ich getragen werden konnte, weil die teilweise Ab 
hängigkeit ihrer Anschauungen und Ideen von der äußeren 
Struktur der profanen Gesellschaft noch verborgen war: mit 
dem Offenbarwerden der entscheidenden Rolle des Materiellen 
verlieren diese Sprachbildungen ihre fordernde Gewalt. Sie 
sind nicht untergeoangen schlechthin. Historifüsche Gesinnung be 
wahrt sie, und, von Traurigkeit gezeichnet, stehen sie nun im 
ästhetischen Raum; noch reden ihre Satzperioden und Konfi 
gurationen von dem selbstverständlichen Einvernehmen mit der 
lang schon flüchtig gewordenen Dingwelt. Nicht in ihnen ist die 
Wirklichkeit, wenn auch die Schönheit sich bei ihnen verzögert. 
Sie ist, dem Zug der Wahrheit folgend, in eine Sprache ein- ! 
gegangen, deren Form und Kategorienmaterial das Bewußt-! 
sein ausdrückt, daß die wesentlichen Ereignisse heute auf 
profanem Boden sich abspielen. Wie enthaltsam und negativ 
diese Sprache auch sei, sie allein hat die Notwendigkeit für sich, 
denn sie allein bildet sich an dem Punkt, an dem die Not ge 
wendet werden kann. Folgerichtig durchaus, daß zum Unter 
schied von ihr Sprachgestaltungen, die durch die unbeschwerte 
Beschlagnahme der fragwürdig gewordenen positiven Bedeu 
tungen ihre Nichtachtung der aktuellen Situation beweisen, der 
angemaßten ontologischen Kraft entraten und subjektiver Will 
kür überantwortet sind. Die Vulgarisierung der dem Bezirk des 
innerlichen und gehobenen Daseins entnommenen Begriffe ist 
so wenig ein zufälliges und abstellbares Ereignis wie der 
schnelle Substanzverlust jeder Sprache, die gegenwärtig sakral 
und esoterisch sich gebärdet (so der Prosa des George-Kreises). 
Sich in diese verlassenen Sprachsphären begeben, heißt der 
Wirklichkeit sich entschlagen. 
« 
Die Uebersetzung Bubers und RosenzweigS erhebt den 
Anspruch, die Wirklichkeit der Schrift rein zu erneuen. Man 
spürt in der Tat — dies ist anzuerkennen und zu achten -— die 
Begierde, dem Text die Kraft zurückzuerstatten, die ihm aus 
der Wahrheit zuteil geworden ist. Prägungen wie die von 
WrahamSS^chs« „in gutem Greisentuw" werden gefunden;, 
logischen Betrieb und der altertümelnden Neuromantik des 
ausgehenden 19. Jahrhunderts, die von der nach geistiger 
Rückendeckung bedürftigen gebildeten Mittelschicht getragen 
wurden, und damals, infolge ihrer Angemessenheit an die 
soziale Situation, eine gewisse Realität besitzen mochten. Daß 
sie inzwischen zu Ruinen am Weg verfallen sind, lehrt der Ver 
gleich mit dem Luther-Deutsch, das geblieben ist. 
Das sprachliche Hinterland, das diese abhanden ge 
kommenen Wörter abstecken, wird von den Uebersetzern weidlich 
kultiviert — ein Vorgang, der um so belastender ist, als beide 
die Sprache mit Ehrfurcht traktiert wissen möchten und Wil 
helm M i ch e l von Buber melden kann, daß er „in die erste 
Reihe der deutschen Sprecher der Gegenwart" gehöre. Ihr 
Glaube an die zeitenthobene ontologische Gewalt des von 
ihnen erzeugten Deutsches lockt sie aus dem domestizierten 
Bezirk des Wortes „Altar" auf die wilde „Schlachtstatt" van 
bannen, gibt ihnen für Luthers vulgäres „alle Welt" oder 
„alle Lande" das pseudo-schollenhafte „Erdvolk" «in. Aber statt 
daß diese urdeutschen Ausdrücke die starre Ferne der Schrift 
vergegenwärtigten, ziehen sie die Schrift in das Urdeutsch vor 
einigen Jahrzehnten herein. Ein Racheakt der Sprache, den 
sie gegen die Zumutung verübt, dort eine Wirklichkeit darzu- 
stellen, wo sie keine mehr ist. So verkannt wird ihr heutiger 
Mangel an Konsistenz, zumal in den über das Jnnerweltliche 
hinausweisenden Sphären, ihre aus der Funktionalisierung 
des Gegenständlichen zu erklärende Untauglichkeit zur Be 
nennung vieler Wesenheiten, daß man seit Jahrhunderten 
überlieferte Begriffe entschlossen in ihr neutönt. (Gut nur, daß 
das ontologisch Gemeinte sich mitunter unfreiwillig als Plane 
Funktionalisierung entpuppt; so die Verwandlung von Luthers 
„Geschlecht" in „Zeugungen"). Aus den Büchern der Chronik 
sollen, wie der Verlagsprospekt kündet, die der „Begeben 
heiten", aus den Propheten die „Künde r" werden; nicht so 
sehrdemMenTestament als Georges „Stern des Vundes"scheint 
die Originalprägung entnommen, der eine Einbürgerung kaum 
sich künden läßt, da sie bereits der Vergangenheit, wenn auch 
einer bürgerlichen, angehört Es ist unwahrscheinlich, daß 
durch solche und andere Verdeutschungen, die in einer wesent 
lich historistisch eingestellten Zeit ihrer eigenen geschichtlichen 
Bedingtheit nicht achten, jene „Tendenz zur Verwirklichung" 
sich bewahrheite, die in Wilhelm Michels Schrift: „Martin 
Buber. Sein Gang in die Wirklichkeit" (Rütten u. Loening, 
Frankfurt) von Buber behauptet wird. Oder die erreichte 
Wirklichkeit zeigte sich der von völkisch e r Romantik 
geplanten bedenMch MMaWtG' Dem müßte nich^ 
die hebräische Rhythmik möchte im fremden Idiom auferstehen. 
Das Vertrauen zum deutschen Wort ist unbegrenzt wie bei 
Luther nur. Trägt es die Dolmetscher hinüber zur Schrift? 
Unter dem Druck ihres Werks, den sie freiwillig auf sich ge 
kommen haben, sind sie an einer Sprachform gestrandet, die 
gewiß nicht von heute ist. Wer auch aus biblischen Zeiten 
schallen ihre Klänge nicht, obwohl die Autoren dorthin die 
Szene verlegen möchten. Wo zwischen Gegenwart und Alter 
tum sie ausgebaut ist, läßt sich aus einigen Proben ermitteln. 
Jene endgültige Lu Her-Fassung: »und der Geist Gottes 
schwebte auf dem Wasser", die in der Zunzschen Ausgabe der 
Schrift die dünne, aber saubere und reale Form erhält: „und 
der Geist Gottes schwebend über der Fläche der Wasser", ver 
wandelt sich bei unseren Uebersetzern in das Tönende: „Braus 
Gottes brütend allüber den Wassern". Welcher Zeitgeist den 
Braus ausgebrütet hat, wird aus der Tatsache deutlich, daß 
sie Hochgaben Höhen, Wolken wölken, und Schlachtvieh schlach 
ten, während Luther den Noah Brandopfer opfem läßt, Wol 
ken über die Erde führt und, schlicht gesagt, schlachtet; daß sie 
den Luther-Text: „Und der HERR roch den lieblichen Ge 
ruch" zu dem Edeldeutsch Höhen: „Da roch ER den Ruch der 
Befriedung". Nicht der Bibel entsteigt der Ruch dieser Alli 
terationen, eher den Runen schon, wie sie Richard Wagner 
begriff. Auch die höchsten germanistischen Ansprüche des 
Nibelungenrings dürften durch die rhythmische Frage: 
„König wärst wohl gern, bei uns du König? 
Oder Walter du, über uns Walter?" 
befriedigt sein, und der Gebrauch der restaurierenden Ausdrücke 
„Weihbuhle" (für Luthers „Hure" und Zunzens polizeiliche 
„Beischläferin") und „Malstatt" (Luther: „Mal") entspricht 
der Redeweise der musikdramatischen Götter und Recken ebenso 
sehr wie die Aufforderung: „Besetze dein Same dasHochtor 
seiner Hasser!" (Luther: „und dein Same besitze die Tore 
seiner Feinde.") Von den heroischen Hochgefilden Wagners 
führt eine ausgetretene Straße zu den nahebei gelegenen 
Flachländern Felix Dahns und Gustav Frey tags herab, 
in die etwa die Wort« „ohnemaß" und „fürwahr" oder die mit 
der aufgeregten Interpunktion versehene Butzenscheiben-An- 
rede: „Mit Verlaub, mein Herr!" flugs versetzen. 
Genug, die Sprache ist auf lange Strecken hin archai 
sierend. Aus Rücksichten, die ihre Wirkung nicht be 
stimmen, bedient sie sich genau jener nun freilich ganz ent 
rechteten „Schloß- und Hofwörter", die Luther bewußt ab- > 
MWmmen. dem mHtzs-f
	        
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