gefaßt hatten und dort oben wichtige Dokumente aus sich entließen,
werden sei längerem systematisch verfolgt; ungeachtet der Tatsache,
daß sie auch im Falle des Nichtgebrauchs jederzeit gewissenhaft auf
ihrem Posten standen. Die große Mehrzahl findet sich zu den
niedrigsten Tätigkeiten verdammt. Eine her ab gesunkene Klasse, deren
Angehörige keine individuellen Züge mehr tragen, sondern sich wie
ungelernte Reservoire Zum Verwechseln ähnlich sehen. Kaum daß
sie noch an jene -edel geformten Kelche erinnern, die früher nicht
s-elt-en in Prunksülen ihre Unterschriften verliehen. Man hat sie aus
GlasaLfällen gerundet um ihre Arbeit in jedem Augenblick kon
trollieren zu können, und beschäftigt sie an den unwürdigsten Stät
ten, wo ihnen die Möglichkeit Zur Persönlichkeitskultur fehlt. In
der Hauptsache liegt ihnen die Bedienung der Füller ob, die so
hochmütig sind, daß sie sich vor jeder unmittelbaren Berührung mit
ihnen scheuen und ihre Aufträge nur durch die Spritze erteilen.
Derart ist den Tintenfässern der Einfluß auf den Ausbau der
Schriftzüge, vor allem aber auf die Wahl der Papiersorte nahezu
völlig entzogen.
Die Gipfelhöhe der Kränkung dünkt den Kelchen nicht einmal die
Lohnsklaverei; vielmehr: ihre Verwendung als Zimmerschmuck.
In der Tat enblödet man sich nicht, ihrer manche mit einer Würfel
oder kugelförmigen Dergestalt zu begaben und, bis zur Neige ge
leert, auf polierten Schreibplatten an den Pranger zu pellen.
Ihrem eigentlichen Lebenszweck entfremdet, mögen sie hier in der
Gesellschaft von Pfauenwedeln und Vasen die Lichter zurückwerfen,
die aus sie ausprallen. Daß man ihnen nicht eine Tafel mit der
Aufschrift: „Tintenfässer sind überflüssig" umhängt, ist alles. Ohn
mächtig müssen sie den Hohn ihrer Feinde erdulden. Hält sich eine
Schreibmaschine in der Nähe auf, so läßt sie sich nicht etwa auf
der Platts, sondern auf einem eigenen Tischchen nieder und ent
facht ein brausendes Geräusch, als ob sich niemand sonst in der
Stube befände. Die Füller schreiben absichtlich in ihrer Gegenwart,
auch wenn sie gar nichts zu sagen haben. Dann und wann senken
sie sich wie aus Versehen in die tintenlosen Gefäße ein, um sie
ihrer Trockenheit wegen zu beschämen. Den Verspotteten gereicht
es nur zum geringen Trost, daß die Peiniger selber ihre Flüssig
keit oft nicht bei sich behalten können.
Auf einer vor kurzem verunstalteten Jahrestagung haben die
Tintenfässer über die notwendigen Gegenmaßnahmen beraten. Sie
sind dort zu einer einstimmigen Resolution geschritten, in der die
mangelnde Daseinsberechtigung der Füllfedern wissenschaftlich nach
gewiesen worden ist. Es bleibt abzuwarten, wie der Beschluß sich
auswirken wird. In ihrer Verzweiflung haben sich die Kelche auch
an die großen Tintenflaschen gewandt, deren dicke Bauche
im Geruch einer besonderen Heiligkeit stehen. Sie waren, immer
und werden immer sein. Die Flaschen, die ihrem frommen Beruf
im Verborgenen nachgehen, haben in der von ihnen. gewährten
Audienz erklärt, daß die Welt ohne Flaschentinte nicht bestehen
könne. Die Tintenfässer, so äußerten sie zürnend, werden einen
Teil der Schuld bei sich selber suchen müssen; ihnen zur Strafe
sind die Schreibmaschinen und FMfedern geschickt- Diese freilich
— hier glätteten sich die Etiketten der Flaschen wieder —- sind als
weltliche Erfindungen der Vergänglichkeit geweiht. Die Schrei L-
polhpen werden in die Meeresgründe gebannt und versiegen werden
die Röhren, wenn die Kelche sich von neuem Zu dem Glauben an
die Nnerschypflichkeit der Flaschentinte bekennen. Die großen Fla
schen sind schon im frühen Mittelalter die Hüter der Tinte ge
wesen und haben daher einen ausgedehnten Ueberblick über die
Geschichte. Ihre Prophezeiung söhnt die Tintenfässer ein wenig mit
dem Elend der Alltags aus. Sie harren und vertrauen, und wenn
ein Füller zerspringt, preisen sie die Weisheit, die aus den 9 la
schen spricht.
ladrbuob kür 8 oLio 1 ogis 1S26. —
8orio!egis als Oesellscdaktswis-
sensodakt. — LoLiologiscde Bsss
stücke.
Von vr. 8.
ver jotst ersedienene II. Land des internatio
nalen Lammelwerks: „^adrbued kür 8o-
Liologie" (Larlsrude, 8. Braun. VII, 483 Sei
ten. 16) setLt das mit dein I. Land begonnene
Blnternedmen planmäßig kort.*) wiederum ist
der Rerausgeber, Brok. Oottkried 8alomon
(Brankkurt), bemüdt Thesen, sing Beide küdren-
der Autoren au8 verscdiedenen Nationen ru ver
einen. Br bat gieb rnit dein ^adrbucd unstreitig
das Verdienst der Lödakkung eines Borums er
morden, auk dein sied d-e Autoren rwar niedt
ru einer „Oemeinscdakt" im Sinne von ^onnies
LusamMenkindsn, aber doed gssellsodaktliod rnit
einander Büdlung nedrnen donnern Bs ist durcd-
s-us in der Ordnung, daü aued die ^Vissenscdakt
idre Boteldallen dat, m denen rnan sied trikkt;
Zerade die Sociologie dedark einer soleden inter-
natidnalen VerständiAunZ.
Ver neue Land devorcugt Leitra^e, die über
die Lntndedluns der.deutsöden Sociai^s^edöio^is^
umerriedten. Idnen cur Seite treten ^.ddändlungen
reedts- und stLatspdiiosopdiseder, socialödönorni-
seder und rnedr distoriseder ^.rt; aued rNetdodö-
lo^ikede LraMN werden anAesodnitten. Line reied
desetcte und xüt sernisedte Blatte insZesamt, die
Mit den Orderten des ersten Landes cusamrnen
einen ausdornmlieden vederdded üder die AtzZen-
MartiZen Liedtun^en der socioioZisoden Lorsed-
unx versedakkt.
Bür idren Stand ist die rrnverdenndare Vor-
derrsodakt des Lorn. s 1 ep deceiodnend. ^us
Oründen, die seider socieiögrZed niodt sedwer Zu
durodsedauen sind, sedent eine NedrLadl der
^Vistzensedakter davor curüed, sied rnit der Saode
einculassen, urn die es cujetct cu geden dätte.
Nan bleibt vor idr sieden vvie vor einer ^and;
sei es nun, daü un. ei^er kra^würdigen Od-
fedtivität willen adgeiosten erdenntnistdeoreti-
soden Interessen duldi^e sei BS, daü rnan irgend
welöde allgemeine Brincipieri entwickle und von
idnen cu rnaterialen vntersuedun^en kortcusedrei-
ten verspreode. vie Lrkenntnistdeorie derudlAt
sied der sied selber, und das Verspreeden wird
niedt sSdalten. „VVei! die ^Vadrdeit ein
Ltderisedes. von der materiellen Nasse getrenntes
Subjekt ist, adressiert sie sied niedt an die ernpi-
risoden Nenseden, sondern an das „Innerste der
Seele", rückt sie. um ,wadrdakt erkadren" cu
werden, dem Nenseden niedt auk seinen groben,
etwa in der Dieke ein^s en^dseden Lellsrs oder
in der Höde einer krsrcüsiseden Speiederwod-
nun^ dausenden Leid, sondern „ciedt" sied „dured
und dured" dured seine „idealistiseden varm-
kanäle". Dieses ^Vort von Narx, das Lruno Lauer
ironisiert, xilt unverändert kür die deuti^en
Ledrikten, die idre absoluten Lrkenntnisse im Le-
reicd des Borms-l-^dstrakten gewinnen rnoedtsn.
8ie degeden sied ader in diesen Le^eied: einmal,
weil sie in idm am wenigsten Oekadr lauksn, ein
indadlied bestimmtes sociales Lekenntnis adleZsn
cu müssen, und cum andern, weil sie meinen, von
idm aus idr Bekenntnis als absolute Wadrdtzit er-
sedlieäen cu können; also edsnkalls aus ^ngst
vor dem Bekenntnis. Das Ledürknis, es cu ver-
dränAtzn, treibt aued wodl in sedeinmateriale
distoriscde und psI-odolo^isede Studien dinein;
wie überdaupt das Bewußtsein erkinderised an
^.usklüedtsn ist, wenn verdrängt werden soll.
Die Odarakteristik einiger Beiträge mo^e das
Oemeinte erläutern. Brok. ^Vildelm Leildau
(Oslo) will die Diktion des isolierten ^iriscdak-
ters in der bür^erlieden Nationalökonomie dured
die Binküdrun^ einerNacdtps^cdoloZie beseitigen,
odne daß er das "Woder und ^Vodin der Nacdt
näder bestimmte; das Dormale ist damit niedt
überwunden. Brok. Ldward L o Z (Nadison,
^Visoonsin) gibt eine Typologie der dlerrscdakts-
kormen und Herrscbaktsmitted IVelcde Oedalte
berrsoden? ^Velcde werden bederrscdt? Lr0k.
Branc ^V. Jerusalem (lena) bemerkt in einem
Huksatc über die Oesetcmäkigkeit unseres socia
len Bebens unter anderem, daß die Osscdicdte
der abendländisoden Lultur ein Leduktionspro-
ceß sei, der rur 2ersetcung einer ursprünglioden
Kollektivität und cur Ausbildung völlig selbstän
diger Bersonliedkeiten geküdrt dabe; eine Fest
stellung, die weder die Brscdeinung nocd gar den
Linn der Lbendlandiseden Oescdicdte entsedei-
dend berüdrt. Brok. 6. N o s c a ("I'urin) fordert
rur Vermeidung soLialei Krisen von der derr-
scdenden Hasse die ^.nnadme und Lekolgung
einer wissensodaktlieden Bolitik. Bs ist umso
oder 2U vermuten, dak die Bascisten die idre kür
wissensedaktlicd dalten, als das ^.usseden der
Wissenscdakt niedt besedrieben wird, die Bolitikl
werden soll. Bedrreicd ist ein ^uksat^: „8ee1-
spiegelung oder Bormen des NitbewuLtseins",
von Brivatdorent 8. v Ltoltenberg (Oieüen)^
den der Zwang ^ur Normalität ins Absurde detLt.
B^ter seinen in DabeHen eivgesammelten Kuriosi
täten ist die des „VreimalselbmitbewuZtseins"
niedt einmal die merkwürdigste.
Vie metdodologiseden Beiträge begnügen sied
vorwiegend mit tsrminologiseden und dekinitori-
scden KatLUngen. Kledr an die Kacden küdrt
allein die geistreicde ^bdandlung von Dr. Larl
VIanndeim (Heidelberg) über die idsologiscde
und soriiologiscde Interpretation der geistigen
Oebilde deran. Indem es jene Lur „Innenbe-
traedtung" der Ideengedalte, diese 2U ibrer
„^ubenbetracdtung" stempelt und am Bnde Lu
einer l^pologis der verscdiedenen Innen- und
^ukenbetraedtungen scdreitet, entLiedt er krei-
liod dem marxistiscden Ideologiebegrikk aued
die eingescdränkte BeLlität, die idm Lukommt.
Von den ins Uatsriale überleitenden soLiologr-
scden Ltudien sei der ausge^eiodneten Arbeit
Vrok. ^Ikred kdeusels (^acden) gedacdt, in
der die Borm des Lompromisses soriologisod der
bürgerlied-kapitalistiseden Desellscdakt sugsord-
net Wird. — ändere ^bdandlungen bekassen sied
mit besonderen Oegenständem 8o entwickelt
Brok. Andreas ^Valt der (Oöttingen) in einer
besonnenen und gediegenen Darstellung die so-
riologiscden Ideorien ^ax ^Vebers. — Das Nan-
datarsvstem des Völkerbunds wird von Vrok.
8 obson (Bondon) als die neueste Bdase
des Imperialismus erkannt und einer scdarken
Lritik unterzogen. Der tsedecdiscbe Brokessor
^.rnost Blada (Lrünn) und der Busse Brok. Litrim
Lorokin (Minnesota, krüder Betersburg)
beriödteü über die Leitgenossisods LoÄologie
idrer Bänder.