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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.08/Klebemappe 1929 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Groß-Frankfurt.) 
S. K^a c a u e r. 
in der scbmalen Baupt- 
der sicb ^.ütos und Laäe- 
sasiasen? 
KUSU 
Vor einigen Woche sah ich im Pariser Paramount-Theater einen 
reizenden kleinen Tonfilm. Auf der Leinwand ein gezeichnetes 
Orchester, das sich je nach der Laune des Zeichners verändert. Der 
Kapellmeister bläht sich etwa komisch auf, oder greift auf einmal in 
die Notenschrift, holt eine Note heraus und benutzt sie als Takt 
stock. Das Ganze eine optische Arabeske um ein paar nette englische 
Schlager. 
Wozu Millionen für Millionen? Sie sind unnütz vertan. 
(Zur Aufführung des Films im Frankfurter üfatheater 
Organ zutraut, zwängt dunkle, rauhe Töne aus dem Lautsprecher 
hervor. Aber auch rein ästhetisch ist die Einschaltung der Dialoge 
Lm allgemeinen vom Uebel. Sie halten den Fortgang der Montage 
auf Gesprächspartner, die sich soeben noch munter bewegten, be 
wegen auf einmal nur noch die Münder. Da der Zusammenhang 
von Bild und Wort nicht einsichtig ist, erscheinen diese Unter 
brechungen als Leerstellen. Um ganz davon zu schweigen, daß die 
reine Mimik den Inhalt der untergeschobenen Texte gewöhnlich 
viel vollkommener ausdrücken könnte. 
Schließlich erliegen die Tonfilme fast durchweg der Versuchung, 
eine musikalische Begleitung zu liefern, die mit dem Bildstreifen 
genau parallel läuft. Sie bekräftigen damit eine Tendenz, der schon 
die großen Kinoorchester huldigen. Jeder Phase des Bildstreifens 
entspricht eine gleichsinnige der Musik. Folgt auf der Leinwand 
einer Kußszene unmitelbar der Schlachtendonner, so machen ur 
plötzlich Trommeln und Pauken dem Flötensolo den Garaus. Aber 
die Musikchat nicht die Reihe der Bildeinheiten mechanisch zu repe 
tieren, sondern die Bedeutungen zu vermitteln, die durch jene Reihe 
getroffen werden sollen. Donnert die Schlacht in die Küsse hinein, 
so geht es weder um die Küsse noch um die Schlacht, sondern um 
ihr Jneinandergreifen, das allein Gegenstand der Vertonung zu 
sein, hätte. Es geht mit anderen Worten um die Zwischenräume, 
um die in den einzelnen MontageabschniLLen selbst nicht ausge 
drückten Gehalte. In den Anfangszeiten des Kinos duddelte oft 
ein Klavierspieler schlecht und recht ein Potpourri herunter, das 
sich den Bildepisoden nicht im geringsten anzupassen bemühte. Es 
führte sicherer zur Mitte des Geschehens hin als das so minutiöse 
wie stupide musikalische Mimikry der heutigen Illustratoren. 
Man kauft sie 
gesobäftsstralle, in 
gäste fortwährend miteinander vermiscken. Die 
Badegäste v/allen, vor allem vormittags, in 
berrlick leucktenden Bademänteln mit Bkantasie- 
mustern einker, Manckma! Öffnet sied der Mantel 
unten, und ein Baar entLÜckender nackter Beine 
käkrt arglos aus dem Dunkel kervor. Bekleidet 
und dock nickt bekleidet wandelt sicks an- 
genekm in dem sauberen 8tädtcken, dem kaum 
nock an^umerken ist, da6 kier einst Budwig XIV. 
Bock^eit geleiert liat. Xbgeseken von einigen 
kistoriscken Oebauden aus jenen Bugen und der 
8oNne, die dem roi soleil deute nie damals Bkre 
mackt, bat sied inzwischen alles verändert. 
OroÜe Hotels sind entstanden, mit Olasveranden, 
in denen man abends die Oäste von auüen takeln 
aiebt. (Der 8moking ist nur bei Oula-Veranstal- 
tungen nock Vorsckrift.) Bs gibt aucb billigere 
Botels obns Olasveranden, Bensionen, Apparte 
ments und bübseb möblierte Villen, deren Ober- 
gesebosse durck kleine Brückcken unmittelbar 
mit der 8trandprom6nads verbunden sind. Ver- 
sckiedene Bestaurants erleicktern die Aufgabe, 
in ibnen Bauskult xu kübren; wäkrend die Oalös 
und Bars mebr das Bedürfnis nacb Blirt und 
^peritivs befriedigen. In einem dieser Bokals 
bockt die grollbürgsrlicke dugend ^.bend für 
^.bend in einem Klüngel Zusammen und Lüblt 
sieb als ecbte Boböme. 
Die ganLS Bebensv/eise ^vird durcb den 8trand 
bedingt, ^.ucb ^vo man ibn nicbt vor ^.ugen bal, 
ist er gegenwärtig. Bine gewaltige Bläcbe, auk 
der man trotL der un?äb!igen Beute und ^elte 
genügend leeren Baum um sicb findet. 8is folgt 
dem 2ug der Bissenbucbt, der gegen das offene 
Meer bin ein dünner Inselstreifen vorgelagert ist. 
8o wenigstens scbeint es dem 8pL?iergänger, 
der vom erböbten 8trandweg aus das öfkentlicbe 
kanorama überblickt: unter ibm das undefinier 
bare bunte Oewimmel der Ladenden und im 
2aint-FeLQ-ckS»Bu^ 
Binks die Byrenäen, reebts das Meer —- da« 
Lwiscben 8t, dean-de-Bu2. Bin netter, Kondor- 
tabler, 8ommer und Sinter besuchter Ort, LU 
dessen Zpesmlitäten eins bestimmte 8orte von 
Makronen gebört. Maccarons de 8t. dean-de-BuL- 
8ie sckmecken wunderbar langsam und süll. 
Umkreis das Bund des Ufers mit dem Burm von 
Bainte-Varbe, Oiboure und dem alten Bort 8ocoa. 
Das Bild ist bald su erscbopfen und xum Aus 
wendiglernen bestimmt, ^.ber die ricbtige Ein 
stellung ist bier allein die borisontale. Dem 
Biegenden verscbwindet das 8cbema der Kon 
turen, die Bindrücke wandeln sieb ibm unauf- 
borlicb. Mit Kokosö! eingefettet, lang ausgestreckt 
und die Bände balb eingewüblt Lwiscben glatt 
gescbeuerten tlacben 8teincben erblickt er die 
anlaufenden V^'ogen, die sicb wie 8cbieler 
sebicbtenförmig von einander abbeben; Kinder 
in lotalansicbt und die unteren Körperbälften 
der Brwacbsenen; ^Vasserradfabrer, die sicb 
nacb dem Bormont su verlieren; das Ladescbiff 
Bskualduna mit seinen 8portvorricbtungen, das 
um Mittag einer vollbesetzten Brambabn gleicbt; 
flickende Kind ermüd eben auf 8tüblen, alte Berren 
in 8trobbüten, verlassene Bademäntel, 8trand- 
scbube, blauen Bimmel und Bunde. Die meisten 
scbwimmen nicbt nur, sondern spielen Ball, 
rudern, maeben Breiübungen und verunstalten 
einen DauerlauB 8ovie! Ossundbeit, wie bier 
produziert wird, ballt sicb sonstwo nicbt leiebt 
Zusammen. DrauLen stebt ein 8egel, scbwebt ein 
Blieger, surren Lwei Motorboote. 8ie verkleinern 
durcb ibrs Käserei die Bucbt Lum Bümpel und 
binterlassen eine breite 8pur, die wie eine nacb- 
träglicb erzeugte Bennbabn aussiebt. Von oben 
kritisieren die Binbeimiscben das der Brbolung 
gewidmete Brsiben. Den arcbitektoniscbsn Mittel 
punkt der gesamten Massersone bildet das im 
Vsrjabr erricbtste Kasino, aucb „Bergola" ge 
nannt; eine 8cböpfung des ^.rcbitekten Bobert 
Ma1!et-8tevens, die neue 8acblicbkeit mit Obarme 
vereint. Ibren bis ins Detail aufgelockerten 
Massen ist die Bukt nicbt Bukt, sondern ein fübl- 
bares Blement, mit dem sie sicb auseinander- 
set2sn. ^.uf der lerrasse spielt eine blegerkapelle 
und ein argentiniscbes Bango-Orobester; doppelte 
Besetrung 2U doppelten Breissn. Abends grolle 
^Lgenauffabrt vor dem Vestibül und innen das 
aus den Oesellsobaktsfilmen bekannte Oesell- 
Lebaktsleben. Au dieser 8tunde ist der 8tränd» 
bummel scbön. Die Olubbirnenserren der Bergola 
strablsn leicbtkertig über der scbwarben Bucbt, 
und windige IrLmbabnlicbtcben gleiten an ibren 
Bändern entlang. 
Ueber dem okfiriellen OlanL der ^Vasser- 
perspektive drobt die Bandscbaft vernacblässigt 
2U werden. Bs wäre scbade darum. In sie 
scbon einbeLogsn ist der Baken, ein etwas 
scbmuddeliges Bassin mit blaugesiricbenen Käbnen 
und Dampfercben. Maler, 8cbiffer und Angler 
bevölkern diese verlockende Binterbausgegend. 
weiter binaus ist das Band leicbt bügslig, offen, 
klar gegen den Bimmel abgesetst und mit kleinen 
8sen gefüllt, die unmittelbar vor dem Meeres- 
uker anticbambrieren. 8traLen und 8cbienen- 
stränge verbinden die Badeorts miteinander, die 
sicb nacbmittags gegenseitig besucken. 8o kommen 
die Beute aus Bsndays nacb 8t. dean-ds-Bux, 
das wiederum seine Visite in Bendaye macbt. 
Dieses Bad an der franxosiscb - spaniscben 
Orenre ist der Bisblingsaufentbalt Bnamunos 
und seiner rubigen Bage wegen kür Brbolungs- 
bedürktige besonders geeignet, Bin Oleicbss gilt 
für Obetbary und Bidart. Die Orte sind 
aucb ^Vinterstationen und baben ein 8trandleben, 
das sieb von dem in 8t. dean-de-Bu? grundsäiL- 
lieb kaum unterscbeiden wird. Beberall werden 
Baskenmützen getragen und baskiscbe 8piele 
verunstaltet, bei denen das BäUcben Lwiscben 
einer ^.rt von 8cbleuder und einer boben Mauer 
ein sebr beweglicbes und prekäres Dasein fübrt. 
Baupt und Krone des ganzen Küstenbetriebs ist 
unLweifelbaft 
B i a r r i t 2. 
Auk den ersten Blick bin scbeint Biarrit? 
nicbts weiter als ein internationaler Hmtomarkt 
^u sein. BranLÖsiscbe, engliscbs, amerikaniscbe 
Buxuswagen rollen unablässig über die Baupt- 
und Bebenstrallen, und der 8trallenübergang er 
fordert mindestens so viel Boutine wie etwa vor 
der Oare 8t. Basare in Baris. Die Beute geben 
bier nicbt baden, sie kabren baden; wie in dem 
bekannten Bilm Lüster Keatons, in dem Buster 
als melaneboliseber junger Beicber die 8trecke 
von seinem Baus sum Baus gegenüber im ^.uto 
2urücklegt. Bewegen sicb die -^utos nicbt, so 
parken sie und verdecken das Meer. Bnerkind-
	        
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