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Zum neuen Richard
S. Krakauer.
Die Tauber-Tonfitm-Produktw
Film produziert, man kann es ihr
gurrt und Tauber singt, immerfort muß er in dem Film singen,
ein himmelblaues Gegurre, eine ununterbrochene Schwelgerei in
Martha-Arien, Volksmelodien und Liedern. So ist es in Ord
nung, denn das Publikum will seinen Tauber singen hören. Aber
die Ohrenweide ist keine Augenweide, und Tauber singt nicht in
einem richtigen Film, sondern schmettert auch noch den Film
aus sich heraus.
Ich will den Inhalt des Films nicht ausführlich erzählen;
genug, daß er himmelblau ist wie der Tenor. Aber die Schluß
szene ist immerhin der Wiedergabe wert; sie Zeigt, daß es die
Bläue in sich hat.
Am Anfang ist Tauber ein gesangsfroher Hochgebirgler, der
brav im Kirchenchor mitsingt und sein Mädchen herzt. Er wird,
wie es sich gehört, von einem Impresario entdeckt und verwandelt
sich mit Blitzesschnelle in den gefeierten Tenor, der er ist. Seine
dörfliche Braut — Lucie Englisch ist reizend und ein Trost in dem
Elend -- fährt eigens nach Berlin, um ihn, wie wir alle, singen zu
hören, verfehlt ihn durch eine Jntrige, die zerstört worden wäre,
wenn sie ihn vorher von ihrem Kommen benachrichtigt hätte, aber
dann wäre die Jntrige nicht erfolgreich gewesen, und reist sofort
traurig wieder zurück, im Glauben, daß er sie nicht mehr liebe.
In der Heimat nimmt sie dann einen ungeliebten anderen Mann.
Man kann sie dazu nur beglückwünschen.
Doch jetzt geschieht dies: unser Tenor, der angibt, das Mädchen
Zu lieben, eilt in die Heimat und trifft gerade rechtzeitig Zur
Hochzeit ein. Seine alte Filmmutter beschwört ihn, nun, da es
zu -spät sei, unbemerkt abzufahren und den Seelenfrieden der Ge-
Tauber-Film.
Berlin, im April.
hat wieder einmal einen
nicht verbieten. Die Taube
uu/' eben Vermahlte ihn unter allen
Finale hat Publikum seinen ungetrübten Genuß am
Nehme ich den Film zu ernst? Weil kaum ein-.
können sie immer wieder produziert werden. Weil fast niemand
hnen^entgegentrltt, ruiniert ihre Produktion Gewissen und Kunst
^^rF^bkik^E^
^um heißt. „Da s lockende H ? s"
Uraufführung hielt vor dem Capital der Luxuswagen Zauber«
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au^aM^^ i^reffelosem Wohlgefallen am Auto, teils
aus wohlgefälligem Interesse an der Kirnst. Oh, du himmelblauer
S. Kramn«.
MoleLarische Schnellbahn.
Berlin, im April.
Vor einigen Tagen wurde die Hauptstrecke der Untergrundbahn
Neukölln —Gesundbrunnen eingeweiht. Sie gehört zu
dem nördlichen und östlichen Schnellbahnnetz, das früher zugunsten
der Verbindungen mit den westlichen Vororten vernachlässigt wor
den war. Wahrscheinlich im Herbst kommt noch die Linie durch die
Frankfurter Allee hinzu; womit wenigstens für den Osten einiger
maßen gesorgt wäre. Das großzügige Bauprogramm sah darüber
hinaus weitere Streckenbauten vor, aber nicht alle Verkehrsblüten-
träume reifen, die ZeiteE'sind schlecht, und auch die jetzt errichtete
Linie hat ihrer Finanzierung'wegen schon Anstoß erregt.
Sie führt mitten durchs ^Stadtzentrum aus Proletariervierteln
in Proletarierviertel, von Fabriken Zu Fabriken. Eine grenzenlos
ausgedehnte Arbeiter- und Geschäftswelt wird von ihr unterminiert.
Die Bahnhöfe sind technisch und Zweckmäßig wie moderne Spitäler,
mit einfachen Eisenstützen, blank gekachelten Wänden, schmuckloser
Beschriftung und allen möglichen Lichtsignalen. Eine gute Orga
nisation, praktisch und völlig hygienisch. Manchmal ist die Eisen
konstruktion mit Säulenschäften umkleidet, die wahrhaftig ein
Kapital auf dem Kopf haben; schöne runde Säulen, die man bei
nahe lieben muß, weil sie ein Anachronismus sind, ein Gruß aus
einer anderen Oberwelt. Der Bahnhof Rosenthaler Straße sucht
sogar durch seine rosig angehauchten Wandplatten die Illusion zu
erwecken, als ob diese Gegend ein Rosental sei.
Das Publikum, das die Strecke benutzt, sieht freilich nicht eben
illusionsfähig aus. Die Zeiten sind schlecht, und auch die netten
Wagen, die sauberen Bahnhöfe helfen nicht darüber hinweg. Männer
mit Werkzeugmappen, Burschen in Lederjoppen, Büroangestellte,
Arbeiter, Frauen mit Laschen und Kindern füllen die Bänke und
Gänge. Sie kommen vom Einkauf oder fahren zum Arbeitsplatz.
Auf anderen Linien geht es heiterer zu als hier, in den Unter
geschossen des Wirtschaftslebens. Äele müde Gesichter und nicht
das mindeste Konfektionsgeschnatter. Zum Glück kräht mitunter ein
ahnungsloses Kind. Immerhin, die Bahn wird den Hundert
tausenden in ihrem Umkreis ein wenig das Dasein erleichtern.
Steigt man irgendwo während der Fahrt aus und aus Licht,
so wird man, umgekehrt wie in Tausendundems Nacht, nicht im
glänzende Schlösser, sondern in aufgerifsene Steinlandschaften ver
setzt. Aber das Unbehagen, das von ihnen ausströmt, ist besser als
der Scheinfriede der Paläste. Da ist, mitten auf der Strecke, der
Alexanderplatz: zur Zeit noch sin riesiger Abstellraum, in dem
Bretterzäune und halbe Hausse aufgespeichert sind. Der Wind
fegt durch die Lücken ins Bodenlose hinein. Da ist Gesund
brunnen: ein weitverstreuteZ Gemenge aus Schienensträngen und
Häuserblockfetzen. Alles nach jeder Seite hin geöffnet und wie
es gerade kommt; nirgends die Spur einer perspektivischen Glie
derung, eines für kontemplative Menschen bestimmten Abschlusses.
Dazwischen larrge Straßen, graue Straßen, Straßen mit Bal
könen, hinter deren Gittern im Sommer Grün eingesperrt ist,
Backsteinfronten, Kirchen, Beerdigungsinstitute, Höfe und Kinder.
Doch Las Leben in diesen Wüsteneien ist unverwüstlich, und gerade
an den beiden Endpunkten der Bahn signalisiert es gellend. Laß
es sich nicht unterkriogen läßt. Am Hermannplatz in Neukölln
erhebt sich der gewaltige Warenhauszwinger von Karstadt, eine
Msnumentalarchitektur, die mit drohender Geste alle Welt Zum
Eintreten auffordert, und unmittelbar Hinter dem Bahnhof Ge
sundbrunnen steigt wie ein nächtliches Plakat die weiße Fassade
dsx „LichLLurg" empor, die aus lauter schwingenden Horizontalen
besteht und überhaupt ein Niederschlag neuester Sachlichkeit ist.
Wenig über eins halbe Stunde Omnibusfahrt, und man ist
am Kurfürstendamm. Aufgang nur für Herrschaften, Luxus
karosserien, gut. gekleidete Leute. (Auch hier sind allerdings die
Zeiten schlecht.) Die beiden Stadtteile, die ineinander übergehen,
scheinen unabsehbar weit voneinander entfernt. Wieder und wieder
erschüttert die Erkenntnis, daß der Abstand zwischen ihnen durch
keim Schnellbahn Zu verringern ist.