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Conan Doyle -f.
Conan Dohle soll sich zuletzt dem Okkultismus zugewandt
huben, eine Neigung, die sein Sherlock Holmes vermutlich kühl
belächelt hätte. Jedenfalls gründet sich der Ruhm des englischen
Schriftstellers nicht auf seine etwaigen Erkenntnisse über das Jen
seits, sondern auf die scharfsinnigen Analysen, mit denen er dem
menschlichen Diesseits zugesetzt hat. Ihm ist einer der klastischen
Typen des Detektivromans zu danken. Hat Edgar Man Poe das
dämonische Dunkel und die skurrilen Zwischenschichten geklärt, so
triumphiert 'bei Dohle der auf Eis gelegte Weltverstand, der das
Empire der verbrecherischen Taten und Tricks beherrscht. Sherlock
Holmes verkörpert ihn in britischer Nationaltracht. Eine hagere,
durchtrainierte Erscheinung, mit der unvermeidlichen Pfeife im
Mundwinkel, zum Auswachsen phlegmatisch und der Chemie holder
als allen Frauen. Mit ihm siegt der eommon 8eu8s über den
trüben Abfall des normierten Lebens, ein zu genialer Findigkeit
gesteigerter eommou §SN8s, der aber keineswegs mit der kapitalisti
schen Ratio identifiziert werden darf, vielmehr das entscheidende
Attribut des vollkommenen Gentleman ist.
Ein Ritter vom Scheitel bis zur Sohle ist Holmes. Kraft
seiner Deduktionen trifft er den Schuldigen und entreißt die
Unschuld jedem Verdacht. Auch diesem umgekehrten Don Quichote
ist ein Sancho Pansa beigesellt, und vielleicht bezeugt nichts die
mittlere Intuition straft DoyleH schlagender als die Figur Dr.
Watsons, des Arztes, von dem Holmes umkreist wird wie die
Sonne von der Erde. Er ist der Trabant des Meisters und vor
allem der Mittler, dessen Holmes schon darum bedarf, weil er
durch Beruf und Würde verhindert ist, für sich selber zu sprechen.—
Seit Conan Dohles Musterschöpfungen sind mehrere Detektivstars
aufgetaucht, die den Glänz des großen Zweigestirns Holmes-
Watson zum Verbleichen gebracht haben. Aber auch das Dickicht
in der Welt ist mittlerweile undurchdringlicher geworden, und der
hagere Engländer mit der Pfeife vermöchte es wahrscheinlich gar
nicht mehr zu zerteilen. Dennoch wird ihm eine Ecke im lite
rarischen Olymp gegönnt sein, ist er doch einer der letzten Gestalten,
in denen der ideale Gentleman die Personifikation der idealen
Aufklärung ist. Ar.
Hraörennen in Wariendorf.
Kein Sportbericht.
Lr Berlin, im Juli.
Mariendorf: ein Berliner Vorort, südlich von Tempelhof. Eine
jener endlosen, schnurgeraden und viel zu breiten Straßen führt
dorthin, die den Außenbezirken aller Weltstädte gemeinsam sind.
Ihr Fuhrverkehr ist so unregelmäßig wir ihre Bebauung. Links
im Hintergrund der Flugplatz, später Siedlungen, eine Art von
Hochhaus, freies Land. Am Ziel stauen sich Trambahnen, Omni
busse, Wagen; es ist, als hielten sie einen Fahrzeugkongreß ab.
Eismänner, Brezelweiber und Zeitungsverkäufer harren in der
Spätnachmittagshitze aus, die sich dick anfühlt und nicht abfließen
will. Auf den Zehenspitzen scharen sich ein paar Leute um irgendein
Astloch im Bretterzaun, hinter dem das Dab-Dab von Pferdehufen
ertönt.
*
Ich bin, zu meiner Schande sei es gesagt, noch nie bei einem
Pferderennen gewesen, geschweige denn bei einem Trabrennen
Es ist schön, von einer Sache gar nichts zu verstehen, man versteht
sie dann unter Umständen viel besser. In der parkähnlichen Anlage
beim Eingang entfalte ich die soeben erstandene Rennzeitung,
aber sie gleicht aufs Haar dem Handelsteil der Tageszeitungen,
eine mit Kennworten und Ziffernkolonnen bedeckte Seite, deren
Geheimnissen ich schlechterdings nicht gewachsen bin. Viel be
kannter schön, ja geradezu vertraut muten mich die Tribünen an,
der kleine Holz- und Glasturm und das Rasenrund mit der grünen
Baumfolie am Horizont und dem weiten Himmel darüber. Wo
sind wir uns nur früher begegnet? Im allgemeinen bin ich durch
den häufigen Kinobesuch gegen Überraschungen gefeit, und exotische
Landschaften etwa verblüfften mich nicht im geringsten. Hier
dagegen verwirklichen sich weniger Filmeindrücke als impressio
nistische Bilder. Diese Freiluftgruppen, diese Glasschürzen, diese
Farbskalen: auf vielen Gemälden habe ich sie erblickt. Der Im
pressionismus, dem die meisten Gegenstände gleich wert waren,
hat die Welt der Rennbahn so gründlich ausgeschöpft, daß sie
mit keinen anderen Augen mehr betrachtet werden kann.
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Ein Rennen beginnt, das heißt, es beginnt noch lange nicht,
sondern die Jockeys fahren willkürlich in der Bahn umher, mit
Nummern versehene Jockeys in rot, gelb, grün auf niedlichen
Wägelchen. In der Nähe des wichtigen Türmchens gehen zwei
große weiße Tafeln in die Höhe, und die Wettlustigen streichen
sich in der unverständlichen Zeitung Namen und Ziffern an. End
lich wird an einer entfernten Stelle bis drei gezählt und wie beim
Stiergefecht ein roter Lappen geschwenkt. Ich verfolge an der Bar
riere das Dab-Dab der Pferde. Eins macht einen besonders starken
Eindruck aus mich, aber gerade dieses eine wird disqualifiziert,
weil es springt, wo doch nur getrabt werden darf. Neben mir
schwört eine Frau auf einen Jockey, der immer im Hintertreffen
bleibt. „Sie kennen ihn nicht," sagt sie über mich weg zu meinem
Nachbarn, „ das ist alles nur Taktik." Mich beachtet die Frau
überhaupt nicht; offenbar gibt es geheime Merkmale, an denen
sich die Habitues untereinander erkennen. Vielleicht hat der Jockey
wirklich gewonnen, ich weiß es nicht, denn das Rennen ist vor
über, ehe es eigentlich angefangen hat. Nachher wird durch den
Lautsprecher das Resultat verkündigt und die ganze Publikums
fläche mit Musikstücken bedeckt. Alten Reitermärchen und aus der
Cavalleria. Man kann sich die Welt kaum noch ohne Lautsprecher
denken.
*
Die Pausen sind ungleich ausgedehnter als die Rennen selber,
ohne doch arm an Inhalt zu sein. Schon allein das Publikum
füllt sie hinreichend aus. Es ist bei diesen Trabrennen eine merk
würdige Legierung aus eleganten Interessenten beiderlei Ge
schlechts und einer weniger mondänen Menge in betonten Feier
tagskleidern. Ein vierschrötiger Herr mit rechteckigen Kinnbacken
walzt zur Totalisatorbude hin, die wie eine Garderobe für abstrakte
Gegenstände aussieht. Dort wird er den Zehnmarkschein anbringen,
den er bereits lang vorm Ziel der Hinteren Hosentasche entnommen
hat. Wird er tatsächlich? Er hält ihn in der Hand, weicht wieder
zurück, bleibt zögernd stehen, liebkost das Scheinchen und trabt
schließlich nach einem gewaltigen Seelenkampf siegreich vorwärts
Beleibte Männer wie er sind in großer Zahl auf dem Platz, und
ich wundere mich solange über ihre schlachtgewohnten Erscheinungen,
bis mir ein Fachmann mitteilt, daß der Trabrennsport bekanntlich
aus den Kreisen der Schlächter und Bäcker hervorgegangen ist. Sie
haben ihren ganzen Anhang mitgebracht: Mütter, Tanten und
Nichten, denen niemand die Routine zutraute, mit der sie die
Rasenereignisse begutachten. Meinungen und Gegenmeinungen
werden in einem reizenden, von Endell erdachten Gartenrestaurant
laut, einer terrassenförmigen Anlage, die so komponiert ist, daß
immer eine Blumenreihe mit einer Reihe menschlicher Köpfe ab-
wechselt. Von den Tischen aus übersieht man die ebenmäßig ge
formte Bahn, auf die gerade ein Gießwagen seinen transportablen
Wasserfall niederschickt. In der Luft surrt es, obwohl sich zufällig
kein Flugzeug blicken läßt. Aber es gibt so viele Motorräder auf
der Welt.
*
Während der Abend seine Vorbereitungen trifft, findet ein
Rennen statt, bei dem die Hälse der Zuschauer aus den Körpern
fahren und die Augen aus den Köpfen. Der Favorit ist ein be
rühmter Rappe, der zwischen Start und Ziel hundert Meter auf-
zuholen hat. Sein Jockey triumphiert unter dem Jubel der
Tribünen. Er macht es wirklich mit der Taktik: Am Anfang
schießt er vor, dann spart er seine Kräfte, und erst zuletzt gibt er
alle Reserven her. In der Dunkelheit, die nun den Tag Zu über-
wältigen droht, entzünden sich die elektrischen Bogenlampen. Ein
wunderbares Schauspiel hebt an: die Rennbahn leuchtet, sie ist
ein leuchtender Riesenring, der frei in der Liefen Bläue des
Himmels schwebt. Ein Turm im Norden erglüht, Helle Perlenketten
schimmern an den Pavillons, die Jockeys glänzen bunt, und fremde
Geräusche füllen die Nacht. Ich gehe vorm Ende. Auf der billigeren
Tribüne am Ausgang drängen sich junge Burschen; vermutlich
Arbeiter aus den Fabriken. Die Trambahnen, Omnibusse und
Wagen draußen halten noch immer ihren Kongreß ab. Solist es
aber bei allen Kongressen: die Leute können nicht aufhören zu
reden