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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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S. Kracauer» 
zusetzem 
Wkm-Kochsaison. 
Berlin- Im Februar» 
NLendanzug erbeten. 
Der Dreigroschenoperfilm ist nicht geglückt. Und ich 
bezweifle sogar, daß er hatte glücken können, wenn es nicht zum 
Prozeß zwischen den Autoren des Stücks und der Tobis-Warner 
gekommen wäre. 
Denn auch Brecht wäre nicht imstande gewesen, diese Oper, 
die aus dem Theater lebt, tonfilmfahig zu machen. Sie hat 
einen Stil, der nach der Bühne verlangt, weil er eine eigene Wirk 
lichkeit setzt, die mit realistischen Kunstmitteln nicht Zu erreichen 
ist. Einen exzentrischen Stil, wenn man will, dessen Hauptelemente 
gesellschastskritische Apercus, possenhafte Arabesken, lyrische Aus 
sagen und Travestien sind. Das steht dem Kabarett beinahe näher 
als der großen Bühne und dem Film am allerfernsten. Der zielt 
seiner ganzen Verfahrungsweise nach auf die optische Durch 
dringung der Realität ab. Ich möchte damit keineswegs sagen, daß 
der Film die sichtbare Welt so abzuöilden habe, wie sie normalen 
Augen erscheint. Im Gegenteil, die amerikanischen Grotesken be 
weisen deutlich genug, daß er Zeit und Raum bis zur Unwirklich- 
Leit verzerren kann, und bei Chaplin etwa wird die gesamts 
Realität eingeklammert und mit einem anderen Vorzeichen ver 
sehen. Wer, und das ist entscheidend: die Verwandlung der Reali^ 
tat im Film muß stets unter Zuhilfenahme rein filmischer Mitte! 
erfolgen. Chaplin drückt das von ihm Gemeinte mimisch aus, und 
noch der tollste Groteskfilm setzt sich aus Einfällen zusammen, dis 
das Gebiet des Visuellen nirgends verlassen. Der Übertragung 
in diese optische Sprache widerstrebt nun gerade die Dreigroschens 
Oper mehr als viele andere Merarische Stoffe. Sie ist die Bekun 
dung eines ausgeprägten Stilwillens, der sich gegen den Zauber 
realistischer Effekte in einer Zeichensprache richtet, die fürs Theater 
erdacht und in ihm allein Lcheimatet ist. Auf der Bühne mag der 
optische Zusammenhang beliebig zerstört, die Wirklichkeit mit 
Reflexionen und Lyrismen sabotiert werden; im Film ist die Reali 
tät nur innerhalb ihres eigenen Mediums anfzuhebem 
Nicht der Mörder also, sondern die Ermordete ist hier schuldig» 
Immerhin haben die Manuskriptverfasser Laura, Bijda und 
Balasz im Verein mit dem Regisseur G. W Pabst noch ein 
-übriges getan, um die Unmöglichkeit der Verfilmung Zu demon 
strieren. Statt daß die realistischen Teile Zugunsten der wesentlichen 
Einzelszenen und Gesangsnummern auf ein Minimum gebracht 
worden wären, sind sie über Gebühr in die Länge gezogen und be 
reiten den Pointen erkleckliche Schwierigkeiten. Das London ums 
Jahrhundertende ersteht, mit einem liebevoll ausgemalten Hafen 
viertel und Zeitgemäßen Kostümen. Eins richtige historische Welt, 
in der sofort zum Unding wird, was auf der Stllbühne glaub 
würdig ist. Der Realismus der Darstellung entkräftet auf Schritt 
und Tritt den Sinn der Leitmotive, die wiederum den Realismus 
Lügen strafen. Die Beziehungen Mackie Messers zunr Londoner 
Polizeipräsidenten, der in irgendeinem alten Journal abgebildst 
sein könnte; die leicht bewerkstelligte Flucht des Helden aus einem 
modernen Gefängnis; der Zusammenstoß des BettlerZuges mit dem 
Krönungszug: das alles paßt nicht zueinander und ergibt ein stil 
widriges Gemenge. Da, wie gesagt, die naturgetreuen Arrange 
ments überwlegen, werden die besten Situationen, Formulierungen 
und Ltzrismen des Theaterstücks selber oft unter einem Wust von 
Bildern erstickt, der ermüdend wirkt, weil er keine Spannung in 
sich enthalt Der «LgeZnderte oer em netter Merarischer 
Einfall ist, kommt nicht zur Geltung, und die Musik WeW nur 
selten zu Gehör. Sie, die dem Text erst Zur Existenz verhilst, wird 
im Film Küsemandergezerrt und stellenweise zur Illustration herab 
gesetzt.. . ' 
Gute Details machen den Schaden nicht wett. Ich erwähne die 
reizende und gefüllte Introduktion, die sich etwa bis zur Hochzeit 
erstreckt. Zu Anfang setzt sich auch Carola Neher als liebende, 
sanftmütige Polly durch, während fitz später als herrisches Wesen 
versagt. Rudolf Försters Mackie ist nicht unheimlich genug ge« 
raten. Ich entsinne mich noch deutlich, wie Theo Singen in der 
gleichen Rolle zum ersten NM über dre Bühne schritt; den Schauer, 
den er einflößte, vermag der Mackie Messer des. Films nirgends Zu 
erzeugen. 
Der Film wurde im Atrium als Festvorstellung uraufgeführü 
^.AbendanZug erbeten", stand im Programm. Dieses Ver 
langen kennzeichnet den Geist der Mlmproduzenten genau so wie 
ihr Werk selber. Es wäre, gerade Leim Dreigroschenoperfilm, auch 
ohne den ALendanzug gegangen. Um ganz davon abzusehen, daß 
die Kleidervsrschrift angesichts einer pausenlosen Darbietung dop 
pelt großspurig wirkt. Zum Glück waren einzelne Herren in grauen 
Stoffen erschienen. 
A r r 2 n s. 
Elisabeth Bergner als Arlane im Film gleichen 
Titels: etwas vertrackt Jungmädchenhaftes, mit Natur- und Kunst, 
tonen ausgestattet, die jedes Wort in ein eigenes Geschöpf ver 
wandeln, spröd, schelmisch, tiefernst, sehr anmutig, launisch bis da 
hinaus und was weiß ich noch alles. Die ganze Skala ist schlechter 
dings nicht zu durchmessen. Ein bewundernswertes Spiel das sich 
freilich in einer kleinen Umwelt auslebt. Dafür wird jede Nuance 
genutzt, die sich bietet, und es entsteht aus tausend Zügen ein 
Madchenbild, das weniger Anet vorgeschwebt haben mag als Schnitz- 
u"d gebrochen, wissend und nichtwiffend, hingebend und 
ichsüchtig, so erfährt dieses grazile Zivilisationsprodukt dem man 
nur nicht recht glaubt, daß es Mathematik studiert, seine'erste Liebe 
oder war Liebe heißt. Sprüht Kindlichkeit, fabuliert entzückend im 
Schwips, gibt mit großen Unschuldsaugen EMSrungcn ab Und 
so werter. All- Verehrer der Bergner haben Grund, zufrieden zu 
^"de mit Absicht die Schilderung ihrer Art voraus- 
weil der ganze Film überhaupt nur aus der Bergner 
besteht. Das hecht, es ist noch ihr Partner da, Rudolf Förster so 
em groger distinguierter Herrentyp und Don Juan, der zuerst nur 
M,s Abenteuer sucht und am -Ende in Liebe verfällt War 
Ariane -in unberührtes Mädchen oder nicht - um dieses Konflikt- 
chen von einem Konflikt, über das sich niemand mehr sonderlich 
ausregen wird, dreht sich das StüL / 
Es dreht sich sehr langsam, und man mich aufpaffen, daß sein 
Utem nicht plötzlich aussetzt. Zur Entschädigung sieht man immer 
die Bergner; in der Hauptsache von vorn und von lirM. Paul 
Czinnsr, ihr Dauerregisseur, hat die Theaterrämne, Hotel 
zimmer und Wartehallen mit Sorgfalt ausgewählt und sie in 
diese Milieus wie in gut paffende Schals gehüllt. Eine ge 
pflegte Atmosphäre, in der nur leider die Konversation teilweise 
unverständlich bleibt. 
Alltag? 
Der Film? „Brei Tage Liebs" M em „MmMeL 
dös Alltags" sein? So stellt ihn sich höchstens Jse Lederer 
vor, die offenbar mehr auf den Hügeln der Dichtkunst als in der 
Ebene der Alltäglichkeit zu verweilen pflegt. Diese Autorin läßt 
das Stubenmädchen Lerm, das als adrett und anständig geschil 
dert worden ist, den Brillantring der Gnädigen Frau stehlen, die 
übrigens selber ein Juwel an GnabiML ist laßt Lena das 
SchrmMück aus dem einzigen Grunde entwenden, weil sie von der 
verflossenen Freundin ihres gerade erst erworbenen Geliebten ge 
hört hat, daß dieser nur prächtig gekleideten Frauen die Treue 
Halts. Die unbescholtene Lena sucht nicht etwa Zunächst heraus^ 
brmgen, sö das 0n ckit überhaupt wahr sei, sondern wird lieber 
Wich Mr Diebin. Das ist-das Leben, wie G sich, unsere Dich ¬ 
terin denkt. Von Gewölk umnebelt, reiht fie eine UnwahrschLM- 
lichkeiL an dis andre, und zuletzt muß die arme Lena den über 
stZ verhängten Fehltritt mit dem Tode büßen, das 
Publikum in eine höhere Rührung gerate. Das verlogene und 
ambrtronöse Zeug schmeckt ranzig wie eine verdorbene Speise, 
Beinahe zwei Stunden hat man an ihr zu würgen. Sie dauM 
so lang wie die drei Tage Liebe selber, weil der Theaterregisseur 
Heinz Hilpert in diesem seinem ersten Tonfilm das schon ohne 
hin Gedehnte noch weiter aus dehnt und m einemsort leeres Füllwort 
mit Kammerspielwir^ verwechselt. Das Milieu ist überbe^ 
stimmt, die Stimmung ausgeschlachtet, und die Bagatellen dürfen 
sich spreizen. Hinzu kommt, daß manchmal, so in der Schutzmann 
szene am Schluß, mit theatralischen Mitteln gearbeitet wird, die im 
FUm versagen. Vor allem Käthe Dorsch, eine auf plastische, 
dreidimensionale Effekte angelegte Natur, hat unter der schlechten 
TranspoMion zu leiden. Sie wirkt matt, und ihr Spiel bleibt un- 
ausgefüllt wie ein abstrakter Begriff. Hans A! öers ist natürlich 
knorke genug, um sich auch unter den widrigsten Umstanden durch-
	        
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