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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Neueröffnet: „18^". 
Abenteurerromane nennen; denn statt daß der Held in ihnen 
die Welt bezwingt, hebt diese bei seinen Irrfahrten sich selbst 
aus den Angeln. Don Quichotte war nach Kafka eigentlich 
ein Teufel Sancho Pansas, der ihn aber dadurch unschädlich 
zu machen wußte, daß er ihn von sich ablenkte. Nun führte 
der Teufel haltlos die verrücktesten Taten aus, und Sancho 
Pansa, der ihm aus einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl 
folgte, „hatte davon eine große und nützliche Unterhaltung 
bis an sein Ende." Nicht anders lenkt Kafka selber jene Ver- 
nünftigkeit von sich ab, die ungeachtet ihrer logischen Kraft 
ohnmächtig ist, und begleitet sie durchs Dickicht der mensch 
lichen Zustände. Dank ihrer fortwährenden Dazwischenkunft 
erst wird das Gebrechen der Welt endgültig herausgestell^ 
Herrschte die Dummheit in ihr, so wäre immer noch die Er 
wartung berechtigt, daß Klugheit sie zu ändern vermöchte. 
Eben diese. Erwartung wird aber durch die faktische Nutz 
losigkeit des Eingreifens vernünftiger Reflexionen enttäuscht. 
(Schluß folgt.). 
hat machen müssen, und es ist, als rede der Hund in ihrem 
Namen, wenn er klagt: „Wir sind die, welche das Schweigen 
drückt, welche es förmlich aus Lusthunger durchbrechen wollen " 
Ist der Frager zur Einsamkeit verdammt, so sind die andern! 
stumme Verbündete, die ihr Glück im „warmen Beisammen 
sein" finden: vorausgesetzt, daß sie sich nicht freiwillig ver 
einzeln wie das Höhlentier, das die Stille liebt. Sie, die 
im Innern seines lichtlosen Baus herrscht oder doch herrschen 
sollte, ist auch wirklich die einzige Radikalkur gegen das wahre 
Wort. Da eine Vielzahl von Geschöpfen nicht in Stille ver 
sinken kann, vollzieht sich das Schweigen der Hunde auf 
andere Weise. Bald umgehen sie die geforderte Erwiderung, 
-ald suchen sie wie die Lusthunde ihre besondere Art zu 
leben durch unerträgliches Geschwätz in Vergessenheit zu 
bringen. Wie erklärt sich das Verhalten der Hundegemein 
schaft? Denn daß es begründet sein muß, ist nicht in Zweifel 
zu ziehe.. Der forschende Hund vermutet, „daß die Schwei 
genden als Erhalter des Lebens im Rechte sind..Darum 
will er doch nicht verzagen, sondern unermüdlich die Genossen 
bestürmen, mit ihm gemeinsam das „Dach dieses niedrigen 
Lebens" zu öffnen, um in die Freiheit aufzusteigen. Aber 
im selben Augenblick, in dem er es abzuheben und das ent 
scheidende Hindernis zu beseitigen meint, setzt sich ihm ein 
unterläßt ihre Berichtigung und fragt nur: „Verstehst du 
denn das Selbstverständliche nicht?" Das Selbstverständliche:? 
es ist die letzte Ausflucht der Erhalter dieses niedrigen 
Lebens, das äußerste Bollwerk, hinter dem sich die Hüter des 
Schweigens verschanzen. ! 
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Die Behandlung, die das schweigende Hundevolk dem 
Forscher zuteil werden läßt, drängt diesem die argwöhnische 
Frage auf: ,FVollte man mich damit einlullen, ohne Gewalt, 
fast liebend mich von einem falschen Wege abbringen, von 
einem Wege, dessen Falschheit doch nicht so über allem Zwei 
fel stand, daß sie erlaubt hätte, Gewalt anzuwenden?" We 
dem Hund, der dauernd abgelenkt wird, so ist Kafka zumute. 
Er blickt auf die Welt als ein in sie Zurückgestoßener, als 
einer, der auf dem Weg nach jenen Stättm umkehren muß, 
an denen der Kaiser wohnt und die unbekannten Gesetze be 
heimatet sind. Nicht so, als ob er überhaupt zu ihnen hin-» 
gefunden hätte; aber ihm ergeht es doch wie einem halb Er 
wachten, dessen schlafbefangenes Sinnen dem eben erst ver 
flogenen Traum gilt, in dem die Lösung aller Rätsel gegen 
wärtig gewesen ist. Noch glaubt er, das Schlüsselwort greifen, 
ja schmecken zu können, und schon zerrinnt die unübertreff 
lich klare Figur, zu der sich die Welt im Zeichen des offen 
baren Geheimnisses zusammsngeschlossen hat. Unter Qualen 
neuer Widerstand entgegen, den er schlechterdings nicht be 
siegen kann. Musik ertönt und zwingt ihn zum Verzicht. Sie 
ist für Kafka die höchste Form des Schweigens. Zweimal 
lähmt sie den Hund. Zuerst bei seiner Begegnung mit den 
sieben Musikhunden, die einen wunderbaren Lärm erzeugen. 
Der noch jugendliche Frager möchte von ihnen erfahren, was 
sie zu ihrem Tun drängt. „Sie aber — unbegreiflich! unbe 
greiflich! — sie antworten nicht, taten, als wäre ich nicht 
da." Das andere Mal stört Musik ein Hungerexperiment, das 
der mittlerweile Gealterte im Dienst seiner verwegenen For 
schungen unternimmt. Als ein Versuch, der die Existenz aufs 
Spiel setzt, verhält es sich zu den unverbindlicheren Leistun 
gen der Wissenschaft ähnlich wie die Entdeckung des Dorf 
lehrers im „Riesenmaulwurf". Kaum ist das Experiment, 
das die Absicht zu sprengen hat, richtig im Gang, so nähert 
sich dem Fastenden ein fremder Hund, der ihn nach vergeb 
lichem Zureden durch einen zauberischen Gesang vom Hunger 
ort jagt. Aufklärend ist das Gespräch, das dem erzwungenen 
Abbruch vorangehd In seinem Verlauf bemerkt der zum 
Hungern gerüstete Hund, der sich nicht vertreiben lassen will, 
daß sich der Fremde in Widersprüche verwickelt. Der aber 
bemüht er sich, ihre auseinandergefallenen Teile einzufangen, 
die sich noch dazu grundverkehrt wieder zu vereinigen be 
ginnen, und je weniger ihm die Rekonstruktion des ver 
schwundenen herrlichen Bildes gelingt, desto verzweife^ 
jagt er zwischen den zerstreuten Bruchstücken hin und her, um 
sie aufzuhalten und womöglich zu ordnen. Diese Jagd bedingt 
Kafkas Kunstverfahren. In früheren Jahren, so teilt er in 
einem Aphorismus mit, ergab sich ihm der Wunsch, „eine 
Ansicht des Lebens zu gewinnen..in der das Leben zwar 
sein natürliches Fallen und Steigen bewahre, aber gleich 
zeitig mit nicht minderer Deutlichkeit als ein Nichts, als ein 
Traum, als ein Schweben erkannt werde". Und ein paar 
Zeilen weiter: „Aber er konnte gar nicht so wünschen, denn 
sein Wunsch war kein Wunsch, er war nur eine Verteidigung, 
eins Verbürgerlichung des Nichts, ein Hauch von Munter 
keit, den er dem Nichts geben wollte..." Tatsächlich will 
fahrt auch Kafka kaum je dem einstigen Wunsch, sondern legt 
sich strenge Rechenschaft darüber ab, daß die verwirrte Welt, 
durch die er kreuz und quer zieht, ein Nichts ist. Um ihre An 
maßung zu entschleiern, ein Etwas zu sein, zeigt er, daß sich 
Dinge und Menschen windschief zueinander verhalten. In 
der -Anekdote: „Eine alltägliche Verwirrung" etwa handelt 
es sich darum, daß mit 8 aus L ein wichtiges Geschäft 
abzuschließen hat. Si- beabsichtigen sich zu treffen und ver 
fehlen sich trotz ihres guten Willens, die Verabredung einzu- 
halten. Man könnte die Darstellungen Kafkas umgekehrte 
Ltr Berlin, Anfang September. 
Wunderbar ch menschliche Erfindungskraft. Sie rationali 
siert und m^Mnisiert alle Arbeitsvorgänge in einem schnelleren 
Tsmps.als dem der von ihr ersonnenen Maschinen und läßt den 
Menschen selber immer weniger Arbeit übxrg. Zuletzt braucht nie- 
wand mehr etwas Zu tun. 
Welche Erfolge sie bereits auf dem Gebiet der Büro-Organi 
sation erzielt hat, veranschaulicht die gerade jetzt am Kaiserdamm 
eröffnete Internationale Büro-Ausstellung 
In Pr sind unzählige Apparate, Vorrichtungen und mechanische 
Hilfsmittel vereint, die jeden Liebhaber der Bürskünste in einen 
muschartigen Zustand versetzen. Was war denn noch Zur Zeit 
unserer Eltern das Büro? Gin gewöhnlicher Raum, in dem 
mehrere Angestellte mit ihrem Kopf und ihren Händen die ver 
schiedenstem Tätigkeiten versehen mußten, ehr ein Brd Zur Vor- 
ls.M bereit war, oder das Haus fix und fertig verlassen konnte. 
Sie standen auf, holten schwere Wen und setzten siA wieder; sie 
rechneten im Schweiß ihres Angesichtes und machtem 
über die sie dann stundenlang grübelten. Die einen arbeiteten lang 
sam, die anderen geschwinder, und die Abwicklung der Geschäfte 
hing von manchen unberechenbaren Stimmungen und Zufällen ab. 
Heute dagegen ist das Bürs — Zum mindesten das der Groß 
betriebe — Zur Werkstatt geworden, die nahezu selbsttätig funk 
tioniert. Die eigentlichen Angestellten in ihr sind - die Automaten, 
und ein Teil der Angestellten selber hat nur noch die Aufgabe, 
diese Automaten Zu bedienen. War das Büro von einst mit allen 
jenen Mängeln behaftet, die den Menschen nun einmal eigentüm 
lich find, so ist das moderne über die menschlichen Untugenden 
erhaben und ein Muster unerreichbarer Vollkommenheit. Es führt 
gewissermaßen auf eigene Faust die schwierigsten Arbeiten auS; 
während es rastlos und ohne je zu irren Heu ihm anbefohlenen 
Obliegenheiten nachkommt, konnten sich die Seelen himmelan 
schwingen, wenn sie die Neigung dazu verspürten. 
Ich schweige von den SchrMmaschinen, den Rechenmaschinen, 
den herrlichen Buchungsmaschinen und Lochmaschinen, die alle in 
neuen Modellen gezeigt werden, bei denen das Hauptgewicht auf 
der Geräuschlosigkeit liegt. Sie find in ihren Grundzügen bekannt 
und bedeuten nicht mehr dieselbe Sensation wie ein erst in den 
letzten Jahren aus geheckter Dirtisrapparat, der märchenhafte 
Leistungen verrichtet. Er nimmt nicht nur auf elektromagnetischem 
Wege lange Dckiate auf, die beliebig oft ab gehört werden mögen, 
er ermöglicht auch die Kontrolle von Telefongesprächen und die 
Reproduktion ganzer Konferenzen. Soll der Verhandlungspartner 
nicht merken, daß seine Worte aufbewahrt werden, so läßt sich 
das Mikrophon mühelos tarnen, und will der Chef feine Sekre 
tärin nicht sehen, so kann er einsam durch sein Privatbüro wan 
dernd, die für sie bestimmten Anweisungen in Form von Mono 
logen erteilen. Die Bürowande haben jetzt Ohren erhalten, und 
das gesprochene Wort ist dauerhaft wie ein Geschäftsbrief geworden. 
Zur Vollendung gediehen sind auch die Sichtkarteisvsteme, deren 
Verfeinerung vermutlich mit der zunehmenden Kollektivierung Zu- 
samm-enhängt. Sie gestatten es, in kürzester Zeit nach 'allen mög 
lichen Gesichtspunkten über Menschen und.Gegenstände zu ver 
fügen, und erfüllen ihre Verpflichtungen mit einer bewundernswerten 
Murmesse. Welch ein Vergnügen, sie zu benutzen.. Man drückt 
auf ein Knöpfchen, und schon springen munter die ^gewünschten 
Kategorien heraus, oder man überschlägt mit einem Blick die bun 
ten Reiterchen, die wie angewachsen auf ihren Papiergäulen sitzen»
	        
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