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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

S Kracauer. 
Eine Dame und ein Herr spazieren vor den Toren Konstant^ 
nopels auf und ah. Sie sind in ein Gespräch vertieft, dem eine be 
sonders Wichtigkeit Leizumeffen ist. Dennoch vernimmt man nicht 
das ganze Gespräch; vielmehr: je weiter sich die beiden vorn imagi 
nären Publikum entfernen, desto unhöröarer werden auch ihre 
Worte, und erst wenn sie umkehren und sich vergrößern,, entringt 
sich die Sprache wieder den sichtbaren Gebärden. So erfährt Ler 
Zuschauer die entscheidenden Satze, die von keinem Ballast beZ 
schwert sind, und prägt sich zugleich das Bild der Wandelnden .ein, 
das nicht minder bedeutungsvoll ist. 
Dieser echte LsnfilmeffekL, der mit dem Theater nichM-Wchr 
zu schaffen hat, findet sich in dem von Kurt Bernhardt gedrehten 
Lerrafilm: „D e r Mann, d erde n M o r d Leg i n dem 
der bekannte Roman gleichen Titels von Glaube Faröre zugrunde 
liegt. Ein Liebesabenteuer aus den Vorkriegstagen,.das sich in der 
vornehmen Fremdenkolonie am Bosporus abspielt» Außer dem. 
Mangel an aktuellen Stoffen, der Angst vor.ihnen.u Not- 
wendigkeit,/ den Apparat Mitsamt den Stars zu beschäftigen, lag 
wohl kein zwingender Anlaß vor, gerade auf diese schwüle/ psycho 
logische Fabel zurückzugreifen. Wer nun ist es geschchech. und. ich 
räume gerne ein, daß sich die Regie der mühsamen, ja undank 
baren Aufgabe, ein heute nicht mehr populäres Liebesereignis 
zu veranschaulichen, gut entledigt hat. Gelungen ist ihr vor allem, 
das langsame T e m p s innezuhalten, dessen. die zwischen 
menschlichen Beziehungen zu ihrer ^Entwicklung-bedürfen — ein 
Es wird weiter verboten. 
Berlirr, Anfang Februar. 
Beginnen die Zeiten Mettermchs wiederzukehren? Rein äußer 
lich betrachtet, scheint es jedenfalls so. Und wenn auch heute andere 
Belange als gerade Throne zu schützen sind, ist doch den Zensur 
behörden die gleiche Angst wie damals in die Knochen gefahren. 
Aus dieser Angst heraus gelangt sie Zu Verboten, die schließlich 
unhaltbar sein werden und eine Stickluft erzeugen, in der ein Volk 
Die das deutsche auf die Dauer nicht atmen kann. 
Das Opfer des neuesten Eingriffes ist ein kleiner sozial- 
dsmokratischer Propagandafilm, betitelt: „Ins 
dritte Reich". Der Zur Vorführung in geschlossenen Mitglie 
derversammlungen bestimmte Trickfilm —- er wurde den Vertretern 
der Presse in einer Sonderveranstaltung gezeigt — verdeutlicht 
seinem Publikum auf lustige Weise die Beziehungen der National« 
sozialisten zum Kapitalismus und auch zu Mussolini. Ich finde 
nicht, daß er die Zustände völlig richtig wiedergibt. durch deren 
Schilderung er die Massen gegen den Nationalsozialismus mobil 
machen will. Die Karikatur des Hitlernrannes ist zu flach und 
obenhin, und der Unternehmertypus trägt nicht durchaus die Züge 
des modernen Kapitalisten; um von dem fragwürdigen Einsatz der 
Lohnpolitik ganz zu schweigen. Aber immerhin: die Gegenseite 
liefert viel gröbere Schablonen, und der Zuschauer erfährt doch, 
daß die Hakenkreuzler die Widersacher der Arbeiterschaft sind. Er 
wird beim Anblick des Films die Faust ballen; allerdings nur bis 
kurz vorm harmlosen Schluß. Am Schluß entspringt nämlich wie 
Pallas Athene dem Haupt des Zeus der Leinwandfläche ein 
rüstiges Weib, das die deutsche Republik darstellen soll, und den hin 
ter einem Hakenkreuzgitter schmachtenden Arbeiter aus dem Ge 
fängnis befreit. 
Eine prächtige sozialdemokratische Apotheose, die nur leider 
Made durch das Verbot der Prüfungsstelle desavouiert wird. 
Das heißt, in erster Instanz ist der Film für geschlossene Ver 
sammlungen zugelassen worden, aber die Filmoberprüf- 
stelle hat dann seine Aufführung generell untersagt. 
Und zwar wendet sie sich darum gegen die Darbietung in Partei 
kreisen, weil bei der nach Millionen zählenden Mitgliederschaft der 
SoZLaldemokratie eine geschlossene Veranstaltung einer öffentlichen 
gleichkäme. Ist das ein Zureichender Grund? Es ist mk AuMuchL, 
Iußßall, Uorknegslieöe und Wevotution. 
Ein paar Filmeindrücke. 
o Berlin, im Januar. 
So oft ich in den letzten Monaten das Kino besucht habe, Lm 
W ein unfreiwilliger Zeuge von Fußballwettspielen gewesen. Sie 
gehören zum immer wiederkehrenden Repertoire der tönenden 
Wschensch a n, die, mag sie von Fox, von der Ufa oder von 
Paramount hergestellt sein, keinen größeren Ehrgeiz kennt, als die 
ganze Welt Zu umspannen. Wer die Welt in diesen Wochenschau 
berichten ist gar nicht die Welt selber, sondern das, was von ihr 
übrig bleibt, wenn alle wichtigen Ereignisse aus ihr entfernt werden. 
Ein schäbiger Weltrest, den die Filmindustrie entweder tatsächlich 
für den Kosmos hält oder den sie dem Publikum nur darum vsr- 
setzt, um ihm den Anblick der wirklichen Welt zu unterschlagen. 
Denn Zeigte man die Dinge, wie sie heute sind und zu geschehen 
, Pflegen, so könnten manche Leute beunruhigt werden und gar an 
der Vortrefflichkeit unserer derzeitigen Gesellschaftsordnung zu 
zweifeln beginnen. Das will natürlich die an ihr interessierte Film 
industrie unter allen Umständen vermeiden- And da sie nicht in 
der Lage ist, dem. Volk Brot zu verschaffen, spendiert sie ihm wenig- 
stens^ZirkW es mit Illusionen unterernähren: elementare 
Katastrophen statt der sozialen; militärische Manöver statt der 
Manöver, die Zu militärischen Rüstungen führen; Bilder aus dem 
Tier- und Kinderreich statt der Illustration von Zuständen, die 
uns viel näher betreffen. Eines der HaupLbetauÜungsMiLLel ist nun 
gerade der Fußballsvielleicht, weil Lei seiner Aus 
Übung so viel gebrM wird und der Tonfilm beweisen möchte, wie 
laut er sein kaum In Deutschland, in den Vereinigten Staaten, 
in England — überall wird auf den gleichen Schauplätzen und 
immer unter dem ungeheuren Andrang begeisterter Massen Fußball 
gespielt. Ich hätte gar nichts wider diese weitgereisten Vergnügun 
gen einzuwenden, wenn sie auf der Leinwand nicht so entsetzlich 
einförmig und langweilig wüten. Volle Tribünem rasende Läufer, 
Gejohle und Bälle das wiederholt sich mit unerbittlicher Hart 
näckigkeit von Woche Zu Woche. Ein Triumph der Gedankenlosig 
keit, der es um nichts weiter Zu tun ist, als die Augen und Ohren 
Zu stopfen, damit einem Hören und Sehen vergeht. Es ist auch 
schon vielen vergangen. Die Wochenschau, die der Berliner Aus 
führung des Hallelujah-Films voranging, enthielt einen amerika- 
mfchen MonstrefußballM der in höchst erregender Weise von 
den nachfolgenden Negersz^ SpörtpMikum und 
die schwarzen Bo^ w'll'stnner: Leide schrM aber 
als die eigentlichen Barbaren wirkten doch nur die Weißen in der 
Arena, die ihrer Lebenslust und ihren Verdrängungen in Lärm- 
exzefsen Luft machten, wie sie nicht einmal afrikanischen Wilden 
beigekommen wären, geschweige denn jenen Negern. Die Sinnleere 
der Wochenschau entspricht der ihrer Objekte. Dabei könnte sogar 
die Filmindustrie, ohne irgendeine Gefahr zu lausen, etwas/ mehr 
Welt veranschaulichen, als sie jetzt zu umspannen beliebt. Es käme 
nur auf den Versuch an, und er verlohnte sich zweifellos auch- ge 
schäftlich. guten Gründen fürchte ich allerdings, daß sie das 
Experiment nicht riskieren wird. Und so müssen wir eben weiter .auf 
die Wochenschau warten, in der es etwas zu schauen gibt. 
Tempo, das über dem der Aeroplane beinahe-Ln Vergessenheit ge 
raten ist, obwohl es bei genügender Dichtigkeit des Gehalts nicht 
minder atembeklemmend wirkt. Um es zu bewahren, sind freilich 
viel zu viel LandschaftMlder eingeschaltet worden, dis nur den 
Eindruck der Breite erzeugen, statt der Vertiefung zu dienen. Aber ! 
trotz der falsch ausgewerteten Exotik: es ist wohltuend, daß hier mit 
LauMchm MM eine Begsbenheir der Vorkriegszeit gerettet 
wird, die ein Anrecht auf Erinnerung hat. Conrad Veidt ist vom! 
Scheitel bis zur Sohle das Muster eines Kavaliers; George über- 
treibt seinen englischen Lord; Trude von Molo sesselt durch ihre 
charmante Erscheinung und ihr Ausdruckstalent. Eine fabelhafte 
Episodenfigur Gregory Ehmara als Lebemann im Rausch. 
H - s 
Der im Mozartsaal gezeigte Film: „D anton" ist Fritz 
Kortners wegen sehenswert. Kortner als Danton: ein Volks- 
tribün, der durch die Gewalt der Rede so hinzureißen vermag, daß 
man den Jubel der Anhänger glaubt.. Fast spricht er schon über 
die Leinwand hinaus — eine runde Gestalt, die nicht aus Be 
griffen entsprungen ist, sondern rein durch ihr Dasein überzeugt. 
Gutmütigkeit, LiebesbedürfniS, Härte und Ueberdruß mischen sich 
unzertrennlich, und ein besonnener Kunstverstand waltet über der 
ganzen Figur. Zur äußersten Entfaltung gelangt dieser Danton in 
jener Szene, in der er sich vor dem Konvent verteidigt; der ein 
zigen Szene, die dem Regisseur Hans Behrendt wirklich geglückt 
ist Nach glänzenden Steigerungen mündet sie in die Marseillaise, 
und eine Ensemblewirkung entsteht, wie st- bisher im Tonfilm nur 
selten erreicht wurde. Sonst ist der Film ein Produkt der zur Zeit 
üblichen neutralisierenden Geschichtsklitterung, die sich mit Anek 
doten begnügt, wo sie Zusammenhänge geben sollte, und ihre Ab 
kunft von Emil Ludwig deutlich verrät. Ich nenne noch Gustav 
Gründgens, dessen blitzgescheiter und sehr Plausibler RobeSpierre nur 
am Anfang zu weich ist.
	        
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