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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

1rot2 dieser Linsebränkung erbebt sieb der 
Roman über die Na^se der Zeitliteratur. Lr entbüllt 
eine kleine IVelt; er legt den Leuten die Lpra^ds in 
den Nund, dis sie wirkliob sprsebsn; niebt ru- 
letxt: er ist unerbört spannend. Kein Zweifel, daß 
ibm ein Lieberer Kunst- und IVeltverstand den Kleist 
preis xuerkanvt bätte. Doeb auob obne einen soleben 
Zukalistreffe^ gemaobt xu baben, wird er bofsent» 
lieb das breite Rublikum finden, das er verdient. 
8. Kraeausr. 
I^oNliZL in Ävr 
Der Roman von Laus D a l 1 ada: Dauern, 
Lonxen und Bomben" (Lrnst Rowoklt Verlag, 
Berlin. 565 8. Osb. 8.50), der in irgendeiner meck- 
lenbürgiseben oder bolsteiniseben Landstadt spielt, 
stellt die NacktkLmpke xwiscken der Bauernsokakt und 
der preußisoken Regierung dar. Kuk der einen Leite die 
übersoduldeten Bauern und ibre Lükrer, die gegen die 
verbaute Ltaatsgewalt rebellieren.; auk der anderen 
Leite die soxialdemokratiseken „Longen": der Regie 
rungspräsident und der Bürgermeister mit dem daxu- 
gekörigen Apparat. Die einxeinen Rbasen des Kampfes 
^ind: eins Lauerndemonstration; ibre Niedeiwerkung; 
ein Lovkott der Bauern gegen die Ltadt; ein Ver- 
gleieb mit ibnen und ein Rroxeß, dsr kür die Rädels- 
kübrer der Bauernbevegung giimpklieb ausgebt. kleben 
dieser großen ^.useinandersetxuvg, die dadursb reieb- 
lieb ver^iekelt vird, daß die Bonren sieb unter 
einander bekebden und die Verwaltung von reaktionä 
ren Elementen durebsetrt ist, lauten rabllose kleinere 
ber, deren Heftigkeit ebenfalls niedts ru vmnseben 
übrig läßt, Intrigen^irtsedakt, Ltimmungsmaebe der 
LokÄpresss und allgemeine Korruption verpesten die 
^tmospbäre, und die Nenseben, die sie erfüllen, kujo 
nieren sieb entweder bis aufs Blut oder werden durebs 
Interesse ru-ammengsscbmiedeL Das Oanre ist ein 
einziger 8ebmutrbauken. Dnd die Rarole lautet: Krieg 
aller gegen alle. 
s 
Allein sebon die Laebkunds, mit der KaNada diese 
Verbaltnisse kennreiebnet, ist ru bevmndern. Lr kenn- 
reiebnet sie eigentlieb gar niebt, er läßt sie siob 
selber entfalten. In der RoiirsMacbtstube, im Redak 
tionsbüro, bei Lebörden und Bauern, Versammlungen, 
Komplotten und Zniegespräcben: überall ist er gleiob- 
sam unsiebtbar xugegen und protokolliert mit kana- 
tisebem Liter den Verlauf des Oe^bebens. 8o sebeint 
es, als ob niebt er die Lreignisss veransobauliebts, 
sondern diese obne sein 2utun spraeben. Lie vaebsen 
aus kommentarlos viedergegebsnen Dialogen berank, 
die nur einer erlausebt baben kann, der ein blitxbeller 
dünge ist, verdickten sieb aus eigener Kraft und ent 
laden sied mit unbesebönigter klaektbeit. l^iebts ist 
den Latsaeben beigemengt worden, niebts maebt den 
Lindruek bloßer Letraebtung. Der ganxs Roman vürkt 
beinabe vie das Lelbstbekenntnis einer Rrovinxvelt, 
die man gezwungen bat, noeb ibre gebeimsten Fünden 
ausrukramen. Lnd da sie viel Nittelaiter in sieb ent- 
kält, erinnert der Aug der Lxenen auk lange Ltreoken 
bin an eine Lbronik, in der die Vorgänge so bart und 
übergangslos vde in der ^irkliebksit nebeneinander 
stoben. 
. I * 
leb verweile bei dieser von Lallada mit einer außer- 
ordentlieben instinktiven Lieberbsit gebandbabten 
Uetbode dsr Darstellung vor allem darum, neil sie es 
fertig bringt. Zustande und Rersonen xugleieb xu 
verkörpern, ^ir leiden deute keinen Mangel an roman- 
dakten Zeitreportagen, in denen rvar unsere sorialen 
Verbaltnisse einigermaßen riebtig angesetxt werden, 
aber ^tatt der Nenseben sebematisierte Ivpen auk- 
treten. Von ibnen, die noeb dem abgelebten Vulgar- 
marxismus entstammen, ist Lallada genau so v-eit 
entkernt vie von jener böderen Belletristik, deren 
Oegenstand ein gegenstandslos gewordenes Rrivat- 
leben ist. Lein Buob belaßt siob gewiß mit den Rartei- 
Kämpfen und politisoben Aktionen, isoliert indessen 
das Zuständlieke niebt von seinen Lrägern, sondern 
reigt es in ibrem Verdalten auf. Kurxum, der Roman 
verarbeitet einen sonst von der Reportage besoblag- 
nabmten Ltokk rur eobten Gestaltung. Ibr entsebei 
dendes Merkmal: daß die Vlevseben in ibm leibbaktige 
Menseden sind. Der Lokalredakteur Ltukk, der in 
dem Kiest moraliseb verkommt, abe-r seine Verkommen- 
beit noob spürt und siob suRtrt doeb in der Band 
Kobalt; Lredup, der Inserateoacjuisiteur, dsr nur um 
siob notdürftig durebxuquetseben, alle Oemmnbeitev 
bogebt; der vrorsobrötige Bürgermeister Oareis, der 
ein Zwisobending aus Rarteibonxe und bauernsoblauer 
Volksfigur ist. wie es i^sser ni< bt geformt werden 
könnte: der junge Benning. der sr-bon an den Valti' 
kumkämpken teilgenommen bat und überall mitmaobt, 
Nm LaQä ^Lrobsn 
Von V 6 lA LL1Ls 2 ist ein Närobenband er- 
sebisnen, der naeb der ersten desobiebte: „D a s 
riebtigs LimmsId l ä u" beißt (IVilliams L 
Oo. Verlag Berlin-Drunewald. 213 8. 6eb. 4.80). 
IVenv miob niebt alles täusebt, ist rum mindesten 
diese eins Desobiebts sebon vor einer Reibe von 
dabren vsrökkevtliebt worden: aber ieb möobte den- 
noob niebt versäumen, gerade auk sie noebmals 
naobdrüekliok binruweissn. Lie vermisekt wünder- 
sebön die Vlirkliobkeit des Lebulbubenlebens mrt 
einer reiLend erfundenen Närebenwelt. IVis es siob 
gebört, ist ibr Leld ein kleiner dünge, von dem 
gesagt wird: „Lrsnsk Krämer rear Lein /-rLter 
Leküker. denn seine Untrer rear lLirree and eine srme 
Mäse/rerrn." leb ritiere diesen Latr absiebtliek. weil 
er reigt, daß es der Lrräkler diek kinter den Obren 
bat. Die so?ials Ballung, die er bswabrt, tritt aber 
xum Olüok nie doktrinär bervor, sondern entlädt sieb 
allenfalls in soloken sobeinbar naiven Bemerkungen. 
Ibr vor allem ist es ru danken, daß sieb die 6s° 
sokiokte niebt wie so viele anders in ruekersüßes 
Verlogenbeiten verliert, von denen ruletrt nur ein 
sobleokter üesekmaok xurüokbieibt. Weder erntet der 
Rranrl ein großes Vermögen, noeb wird er in einen 
köderen Ltand erkoben; nein, er ist immerkört der 
Lobn der Wäsoberin und bat ss auob gar niebt gut 
in der 80kuls. Kiur eben kindet er eines Lagos, weil er 
ein bkaver, lieber dünge ist. das ..riodtigs Bimmel 
blau". Dureb den Umgang mit dieser Mrebsnfarbe, 
deren Oebeimnisse ieb bier niebt prejsgeben will, 
wird er in eine Nengs von Abenteuern verwiekelt, 
deren eines lustiger und aufregender als das andere 
ist. Wr sebeint, daß Kinder und Lrwa^ksene sie gerne 
lesen werden. Leider entwäobst am Wnds der Rran^l 
dem riektigen Bimmelblau, da das letxte Larbr^st- 
eben an einer Kinderbose baktet. .die er als großer 
Lobüler nickt mekr tragen kann. -7- Von den übrigen 
drei Össekiobten nimmt es mit dieser nur noob die 
„Bans im Warenkaus!" betitelte auk. Lie ist nickt 
so spürbar konstruiert wie die rwei andern, sondern 
voller anmutiger Linkälle. die sieb frei entfalten 
dürfen. Bans und der Dackel Lix sind ibre Haupt 
personen. Die beidsn verbringen eins ganss Backt 
Mutterseelenallein in dem riesigen Warenkaus und 
unterbalten dort einen regen Verkebr mit den Lß- 
waren, Kleiderpuppen und Lvielsacken. Besonders 
rübmsnswert ist. daß sie am Lekluß eins Linbreoker- 
bands in die Lluckt jagen, wofür sie denn auob der 
alte Baebtportier in mäßigen Orenren beloknt. 
wo gegen dis Republik konspiriert und demonstriert 
wird — sie sind nickt einkack aus irgend weloken Ver- 
kältnissen abxuisiten, baben vielmebr ein eigenes, un- 
konstruierbares Leben. lind nur deskalb, weil sie volle 
Uensoben sind, also dis Verbaltnisse bedingen und 
von iknen bedingt werden, erlangen auob dies« ün 
Roman ein unmittelbar greikbares Dasein. 
Wo Lallada stebt, ist kaum su erkennen. Nanckes 
spriobt dafür, daß seine Lzmipatkien mekr den rebel 
lierenden Lauern als der legalen Defalt gekoren, aber 
die etwaige politasebe Boberseugung verstärkt sieb 
nie xu eine;- das Vueb betimmenden Lendenx. 2um 
Bntersokied von den meisten Zeitreportagev 
ist es im engeren 8inns tendenziös. leb 
kann ibm daraus um so weniger einen Ltrick 
drsben, als es eine Wendens kaL die deute über der 
politisoben meistens vernaoblässigt wird: die rum 
genauen, unbegrenzten Kukweis der Wirkliokkeit. 
IIm ibrer babbakt xu werden, gibt es versebiedens 
Verlad rungs weisen. Die von Lallada gswädlte, die 
darin bestedt, daß er den Lsrsonen und Lreignisssn 
das Wort gibt und selber gewissermaßen vom 
Lokauxlatx abtritt, ist jedeufaRs glänzend dureb- 
gsküdrt und unrorriedtet ersoköpksnd über eines 
bestimmten Kbsodnitt provinxiellen Lebens. Is 
messen Interesse der ^ukweis erfolgt? Ls dark 
vermutet werden, daß ein tiekes, mensodliok sr 
nennendes Dngonügsn Lallada rur Verg^enwär- 
tigung dieses KRinstadtsumpfss gedrängt bade. Bin 
Dvgenügen, das mit dem Wtgekübl kür die ge» 
sobundone Kreatur unxertrennRod verbunden ist. 
leb vermute es, obne eine Oewißdeit darüber ru 
baben. VielleioKt ermogliebt sebon das näebste Lueb 
Lalladas die Konfrontation der treibenden Ursaoden 
seines Diebtens mit den Debalten des kortge« 
sekrittensn Lewußtseins.
	        
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