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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

zu 
im Dienst bis zu enier gewissen Position durchgerungen. Daß 
treten! Sie wollten die Herren spielen und wurden 
schäbigen Knechten. 
Es waren lauter kleine Leute, die sich hockzustapeln 
suchten. Sie kamen über ihre Parteien in Stellungen, 
ihnen ihrem Charkter nach nicht zukamen, oder sie hatten 
andere Direktoren, höhere städtische Funktionäre, Revisoren und 
mehrere kleine Typen, um die es nicht weiter geht: das sind 
die Partner der Sklareks gewesen. „Halb zog sie ihn, halb 
sank er hin", kann es von ihnen heißen. Manche allerdings, 
wie etwa der Bilanzfälscher Kieburg, scheinen durchaus 
selbständig gesunken zu sein, ohne daß man sie außerdem 
ziehen mußte. Und ihrer viele haben sich nicht auf die passive 
Begünstigung beschränkt, sondern die empfangene bare Münze 
mit aktiven Gegenleistungen bezahlt, die ebenfalls bare Münze 
bedeuteten. SLadtbankdirektor Hoffmann informierte die 
Sklareks über bevorstehende Prüfungen und skizzierte ihnen 
Kreditanträge, Stadtrat Gaebel verlängerte eigenmächtig 
ihren Vertrag auf die ausschließliche Belieferung der städti 
schen Stellen, Buchprüfer Lud in g beriet sie steuertechnisch, 
obwohl ihm Nebenarbeit verboten war. Und so ging es fort. 
Aber die scharf kontuierten Delikte sind nicht einmal ent 
scheidend. Ungleich wichtiger sind vielmehr jene Eigentüm 
lichkeiten des Ensembles, die, ohne selber strafbar zu sein, 
der Nährboden für die Delikte waren. Gemeint ist hier zu 
nächst die erschütternde Kenntnis- und Verantwortungslos 
keit, mit der zahlreiche hohe Verwaltungsbeamte ihre Berufs 
Pflichten versahen. Sollte man sie einzig und allein darauf 
zurückführen dürfen, daß ein Teil der Funktionäre rein in 
folge der Parteizugehörigkeit, also nach den Gesetzen der Frak 
tionsarithmetik, in die Aufsichtsräte kommandiert wurde? 
Tatsache ist jedenfalls, daß etwa Kohl, Gabel, Degner 
als politische Beamte Machtkompetenzen erhielten, die sie nur 
mißbrauchen verstanden. Einer dieses Schlages bekannte auch 
im Gerichtssaal, daß er keine Ahnung von seinen Obliegen 
heiten gehabt habe. Doch nicht sie allein waren schuldige Un 
schuldsengel, die von nichts wußten, sondern ebenso sehr die 
Berufsbeamten, die vom Baum der Erkenntnis hätten ge 
gessen haben müssen. An ihrer Spitze Herr Bo eß, der auch 
bei seiner Zeugenvernehmung wieder als die Verkörperung 
der Unfähigkeit wirkte. Er habe nichts gehört und nichts ge 
sehen, und der ganze Sklarekskandal war für ihn sozusagen 
eine einzige Ueberraschung gewesen. An ihm nahmen sich die 
anderen das Vorbild, das er nicht war, bis herunter zum 
Revisor Luding, der erklärte, daß die Buchprüfung eine 
Glückssache sei. (Nur ein Gents unter den Revisoren hätte 
eine solche Erklärung mit einigem Recht abgegeben werden 
dürfen.) Besonders charakteristisch in dieser Hinsicht ist der 
Fall der Stadtbankdirektoren Hoffmann und Schmitt, 
die zum Unterschied vom Sozialdemokraten Schneiden 
etwa, Lei dem auch für die Dauer von drei Jahren auf die 
Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter erkannt wurde, 
ein auffallend mildes Urteil erhalten haben. Die grenzenlose 
Leichtgläubigkeit, mit der sie, die gerächten Bankfachleute, trotz 
der ihnen zugegangenen Warnungen den Sklareks Kredit um 
Kredit bewilligten, wird noch durch ihre Motivierung dieses 
unangebrachten Vertrauens verschlimmert. Immer wieder be 
teuert Herr Hoffman vor Gericht, daß man den Sklareks 
darum ohne jedes Bedenken entgegengekommen sei, weil sie 
„Behördencharäkter" gehabt oder, wie er sich auch einmal aus- 
drückt: „weil sie als ein Anhängsel der Stadt" gegolten HU 
ten. Mit anderen Worten: man handelte nicht, wie die Posi 
tion es verlangte, aus eigener Verantwortung, sondern nach 
den Spielregeln der Clique. Da die Sklareks oben gut unge 
schrieben zu sein schienen, drückte man beide Augen zu und 
beachtete statt der Unterlagen, die sie lieferten oder nicht lie 
ferten, nur ihre famosen Beziehungen zur Spitze. Wenn man 
von einem System reden will: dies war das System. Ihm 
huldigten die Stadtbankdiretoren, der Kämmerer, nahezu alle. 
Die eine Stelle schob die Schuld auf die andere ab, und die 
Sache selber fiel unversehens unter den Tisch- 
4^ 
Vielleicht hätte das Uebel weniger um sich gegriffen, wenn 
nicht die meisten Beteiligten vom Drang der Emporkömmlinge 
nach Glanz und gesellschaftlicher Stellung besessen gewesen 
wären. Da die Sklareks selber diese Neigung hatten, konnten 
sie schon aus Instinkt die Wünsche ihrer Gönner erraten und 
befriedigen. Auf ein Rätselraten waren sie offenbar in der 
Regel gar nicht angewiesen. Leo meinte einmal, daß sie, die 
Brüder, für ihre Freunde die reinsten „Automaten" gewesen 
seien. Und der Oberstaatsanwalt versicherte in seinem 
Plädoyer, er glaube aufs Wort, daß sich die Beamten höchst 
schamlos betragen hätten. Sie bezogen für sich und ihre nähere 
und weitere Familie von den Sklareks die Garderobe, sie 
nahmen Provisionen, Zehn- und Hunderttausende entgegen, 
sie ließen sich mit silbernen Kaffee-Servicen und Lebensmitteln 
beschenken. Die Sehnsucht nach dem, was sie für die Gesell 
schaft hielten, beherrschte sie ganz. Der Kommunist D e gner 
richtete sich mit den Schmiergeldern eine teure Wohnung ein, 
und sein Fraktionsgenosse Gäbe! besuchte in Gesellschaft Leos 
die Ballokale am Kurfürstendamm. Auf die Notwendigkeit, 
solche Lokale zu politischen Studienzwecken zu ergründen, hätte 
er sich nicht herausreden sollen. Und wie großartig ist nicht 
Stadtbankdirektor Schmitt im Jagdschloß der Sklareks aufge- 
ver- 
die 
sich 
sie dann rasch der Verlockung erlagen, ist gewiß nicht zu ver 
zeihen, aber immerhin zu erklären. Ihr schädliches Handeln 
wurde mitbedingt durch unsere gesellschaftliche Situation. In 
diesem Nachkriegsjahrzehnt, in dem die Unterschiten endlich 
Lust zu bekommen glaubten, und zugleich — ein Widerspiel 
der hin- und herwogenden Machtkämpfe — sämtliche Maß 
stäbe des Verhaltens in Verwirrung gerieten, war der Auf 
trieb leicht verführbarer Naturen weniger als je an Grenzen 
gebunden. Keine Autorität leitete ihn in die richtigen Kanäle 
— im Gegenteil, die aus der Inflation hervorgegangene 
gesellschaftliche Oberschicht, die ein Beispiel hätte geben sollen, 
war selber nicht dazu bereit, sich Schranken aufzuerlegen. 
Man strebte danach, es ihr gleich zu tun, hatte aber nicht 
eigentlich Achtung vor ihr. So konnten freilich betrogene Be 
trüger und ehrgeizige Schwächlinge auf den Glauben geraten, 
daß jedes Mittel recht ei, um in die Höhe zu fallen. Es ging 
ja gut, es kam niemand dahinter und viele andere trieben es 
ebenso. 
* 
Eine maßlose politische Hetze hat sich auf diesen Prozeß 
wie auf eine willkommene Beute gestürzt und ihn entgegen 
seinem wahren Sinn und über jedes zulässige Maß hinaus zu 
Propagandazwecken verwertet. Er sollte von der Verrottung 
des „Systems" zeugen, sollte das untrügliche Zeichen der 
„sozialistischen Mißwirtschaft" sein. In Wirklichkeit aber ver 
hält es sich anders. Die Freunde der Sklareks reichten von den 
Kommunisten bis zu den Antisemiten, und Leute aus allen 
politischen Ltgern hatten den Wert unverdienten Geldes er 
kannt. Wen klärte nicht der „Silberne Pokal der Freund 
schaft" darüber auf, daß die Lust an Geschenken nicht von der 
Parteizugehörigkeit abhängig ist? Ein Pfarrer und deutsch 
nationaler Reichstagsabgeordneter segnete diesen Pokal ein, 
und so gut wie andere Stadtverordnetenfraktionen ließ sich 
die deutschnationale .Wahlgelder von den Sklareks spendieren. 
Auch für das, was man heute unter dem „System" versteht, 
ist der Sklarek-Prozeß nicht symptomatisch. Er beweist höch 
stens, wie sehr das „System" in der Berliner Stadtverwal 
tung mißbraucht worden ist, und sagt etwas über die Art dieser 
Mißbräuche aus. Sie erklären sich eines Teils, wie wir schon 
andeuteten, aus der Nachkriegssituation und sind anderen Teils 
ngch eine Folge des alten, durch den Krieg zusammengebro 
chenen Systems, das den Untertanengeist mehr gepflegt hatte 
als die Tugend der Verantwortung. Durfte es wirklich 
wundernehmen, daß die aus dem Druck der Vorkriegsverhält- 
nisse entlassenen Untertanen ihre Freiheit mitunter nicht zu 
gebrauchen verstanden und daß in dem kurzen Lehrkurs hie 
und da ein Unglück geschah? Die Demokratie zu praktizieren, 
, ist eine Sache der Uebung.
	        
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