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Mker Arbeitslager.
Von S. Kraeauer.
Die entscheidende Form, in der sich der Freiwillig?
Arbeitsdienst vollzieht, ist die jener Arbeitslager,
die vor etwa sieben Jahren aus der deutschen Jugendbewegung
hervorgegangen sind- Das erste bestand nur aus Studenten
und sollte, wie Georg Keil in seinem Buch: „Vormarsch der
Arbeitslagerbewegung" erklärt, die Werte des Werkstüdenten-
tuws, das nach der Stabilisierung der Mark erlosch,
in die Zukunft hinüberretten. Bald danach wurde
dann, unter der aktiven Mitwirkung von Hans Dehmel
und Eugen Rosenstock, der auch die neue Bewegung
in theoretischer Hinsicht richtig Zu fundieren suchte, im
Schlesischen das erste Volkslager geschaffen, das sich aus
Arbeitern, Bauern und Studenten Zusammensetzte. Wichtig
ist, daß diese Lager keineswegs Zu dem Zweck gegründet
wurden, um etwa für ihren Teil der Erwerbslosigkeit abzu--
helfen, sondern ihrer ursprünglichen Konzeption nach außer-
wirtschaftliche Ziele verfolgten. Es darf nicht vergessen werden,
heißt es bei Keil, „daß es Arbeitslager als Lebensform auch
dann geben muß, wenn die Erwerbslosigkeit einmal nicht mehr
der unmittelbare Anlaß für die Lagerarbeit sein sollte". Sie
entstanden aus dem Drang der (bürgerlichen) jungen Genera
tion Zu einer fühlbareren Volksgemeinschaft als der vor
handenen, aus ihrem Bedürfnis nach autonomem bündischen
Zusammenleben. „Daß von jungen Menschen Gemeinschaft
empfunden wurde, das macht die Arbeitslager Zu dem, was
sie heute sind, und läßt für die Zukunft hoffen" (Keila.a.O.).
Ich beabsichtige, in der folgenden Darstellung gerade auf die
ideologische Seite der Bewegung einzugehen.
Die im vorigen Jahre erlassene Verordnung über den
Freiwilligen Arbeitsdienst machte sich die in den bisherigen
Arbeitslagern gesammelten Erfahrungen Zunutze. Es erscheint
mir hier als unnötig, die mit dem Freiwilligen Arbeitsdienst
verbundenen Probleme im allgemeinen zu erörtern (vergl. u. a.
die Aufsätze in unserer Beilage: „Für Hochschule und Jugend"
vom 23. Mai, 6. Juni und 3. Juli 1932).^ Genug, daß ihm
in den gesetzgeberischen Bestimmungen ausdiücklich nicht nur
eine ökonomische, sondern vor allem eine sozialpädagogische
Bedeutung zugesprochen wird, die sich nicht weit von den Ab
sichten der früheren Lagergründungen entfernt.
Zum Tatsächlichen noch: nach den neuesten Verfügungen
können jetzt alle jungen Deutschen unter 25 Jahren Zum Frei
willigen Arbeitsdienst zugelassen werden; wobei es sich von
selbst versteht, daß die Erwerbslosen den Vorzug genießen.
Ein Lager dauert durchschnittlich 80 Tage. Die in ihm ver
richteten Arbeiten, die gemeinnütziger und Zusätzlicher Art sein
müssen, dienen in der Regel der Herstellung von Sportplätzen,
Meliorationen, Siedlungen usw. Neben dem herrschenden
Lagertypus, der Menschen verschiedenster Berufe, Weltanscham
ungen und Parteirichtungen vereint, gibt es noch den Typus
des „Gesinnungslagers", in dem nach der Konfession oder dem
Parteibuch gefragt wird. Ueberhaupt ist das interkonfessionelle
„Volkslager" nicht unumstritten. Die freien Gewerkschaften er
kennen es Zwar heute eingeschränkt an, aber die radikalen
Parteien (und wohl auch das Zentrum) neigen Zu seiner
Verwerfung.
-Ich möchte zunächst einige Eindrücke verzeichnen, die einen
Begriff von einem solchem Sind Ein ¬
drücke an sich auch belanglos, so bewahren sie doch v^^ Fehl
urteilen wie diesen: „Den jungen Leuten wird eine Ideologie
eingeimpft, die antidemokratisch ist und antisolidarW die
das alte Klaffengefühl der Arbeiterschaft durch Subordination
unter den Willen von ,Führern" ersetzt. So werden Betriebs
bullen für die fascistische Fabrik gezüchtet..Behauptungen,
von deren Unverantwortlichkeit schon der flüchtigste Besuch in
einem interkonfessionellen Lager zu überzeugen vermag. Aus
gestellt worden sind sie in einem Artikel der „Weltbühne" vom
20. September, in dem Thomas Murner Peter Martin Lam-
Pels Arbeitslager-Buch: „Packt an! Kameraden!" (Rowohlt
Verlag, Berlin) ablehnt. Das Buch von Lampel ist eine Re
portage, was sage ich, eine Sturzflut von Reportagen, in
denen lauter Gespräche mit Leuten über Arbeitslager und
lauter Gespräche mit Leuten aus Arbeitslagern reproduziert
worden sind. Sie gleichen einer Kollektion ausgezeichneter
Photographien. Aber wie immer bei solchen Moment
aufnahmen: man kann sich auf Grund der zahllosen Bilder
nur schwer ein Bild zusammenreimen. Oder das Bild ist schief;
Was jene oben zitierten Sätze Murners beweisen.
Das von mir besuchte dritte märkische Arbeits
tag e r bei Bad Saar 0 w umfaßt 75 Teilnehmer, von denen
23 Studenten, die übrigen in der Mehrzahl erwerbslose
Arbeiter und Angestellte sind. Sie Hausen in einem alten
Soldatenheim aus dem Krieg, das unter Bäumen steht und
sich nicht Heizen läßt. Am 1. Oktober ist daher Schluß.
Zu dem Anwesen gehört noch ein großes Freigelände und ein
Saalbau, in dem auch gegessen wird. Der Vormittag, der un
heimlich früh anfängt, ist mit Arbeit an einem Sportplatz aus-
gesüllt, die Nachmittage sind dem Sport und der geistigen
Ausbildung in Arbeitsgemeinschaften gewidmet. Man legt
Wert darauf, daß sich in diesen wie in den eigentlichen Arbeits
gruppen stets Vertreter der verschiedenen Schichten und Be
rufe zusammenfinden. Soweit der Gebrauch der übrigen
Stunden nicht dem Belieben des Einzelnen freigegeben ist,
werden sie zum gemeinsamen Musizieren und Singen, Zum
Theaterspiel, zur Gymnastik verwandt. Das nennt man, ein
wenig anspruchsvoll, Freizeitgestaltung. Sogar den einfachsten
Tätigkeiten müssen heute Begriffsorden verliehen werden.
Ich weiß nicht, ob es sich überall so verhält: aber diese
jungen Dienstwilligen, die erst seit zwei Wochen im Lager
sind, haben sich einander überraschend schnell angepaßt. Nie
mand vermag sofort Zu erraten, daß sie allen möglichen
Schichten' und Parteien entstammen, niemand kann auf den
ersten oder auch zweiten Blick hin den Studenten vom Arbeiter
unterscheiden. Es ist wie in Badeanstalten. Die Homogenität
wird durch ähnliche Kleidung und das gemeinsame Tagewerk
verstärkt; auch bilden sich natürlich Sitten heraus, die das
Zusammengehörigkeitsgefühl unterstreichen. Man. singt vor
Beginn und nach Schluß irgendeines Tagesabschnittes Lieder,
legt sich Spitznamen bei, umrahmt das Essen mit einer lauten
indianischen' Zeremonie usw. Unter den vielen jungen
Männern verlieren sich fast die paar Mädchen, die mir nicht
besonders frohsinnig zu sein scheinen. Vielleicht ist ihnen die
Arbeit Zu schwer, und dann wird sich ihre Art in diesem Kreis
nicht recht durchsetzen können. Wie ich in dem gerade er
schienenen Buch von Ernst Schellenberg: „Der freiwillige
Arbeitsdienst auf Grund der bisherigen Erfahrungen" (Son-
derschriften des Kommunalwissenschastlichen Instituts an der
Universität Berlin. Zweites Heft) entnehme, sind die Be
mühungen, eine gemeinsame Arbeit der Geschlechter herbeizu-
führen, teilweise gescheitert.
Wo sich soviele Gegensätze und Weltanschauungen Zu
sammendrängen, ist die Frage, ob und wie sie miteinander
auskommen, mehr als berechtigt. Meine Beobachtungen werden
durch gern gegebene Auskünfte ergänzt. Festzustellen ist zu
nächst: man sucht den Ausgleich nicht einfach dadurch zu
schaffen, daß man politische Gespräche künstlich fernhält und
das Lager zum neutralen Gebiet erklärt. Eine solche Neutrali
tät wäre ja auch ein Vakuum. Die schlechte Enthaltsamkeit ist
im Gegenteil verpönt, und in den Arbeitsgemeinschaften finden
ständig Diskussionen statt, die vor der Politik keineswegs Halt
machen. Der Nationalsozialist muß sich mit dem Kommunisten
auseinandersetzen, und der Reichsbannermann hält wahr
scheinlich auch nicht den Mund. Wenn man an die Straßen-
kämpfe draußen denkt, klingt es wie ein Wunder, daß das
Lager nach acht Tagen Noch die gleiche Zahl von Menschen
faßt wie bet seinem Zusammentritt. Wahrhaftig, die Vertreter
von einander zuwiderlaufenden Standpunkten und Pro
grammen fressen sich nicht auf, sondern weiden gemeinsam wie
die Löwen und Lämmer der uns verheißenen paradiesischen
Zeiten.
Dieser Friedenszustand, der vermutlich mehr durch persön
liche als durch politische Zwistigkeiten gefährdet wird, ist an
gesichts der heutigen Verhältnisse so merkwürdig, daß er eine
genauere Betrachtung verdient. Es wäre zu bequem, seine
Entstehung daraus zu erklären, daß die Lagerteilnehmer auf
einander angewiesen sind und im übrigen durch die gemein
same Arbeit gleichsam von selber domestiziert werdek. Wich
tiger ist schon, daß, dem Lagerbrauch zufolge, niemand die
Sucht kennt, dem andern seine Ueberzeugung zu rauben. Wer
nicht von seiner Meinung ablassen will, darf die Gesinnung,
die ihm wert ist, ruhig behalten. Kein Dogma herrscht hier-
und zweifellos wäre auch kein einziger der jungen Menschen
dazu fähig, die übrigen gerade auf politischem Gebiet unter
Druck zu setzen. Am wesentlichsten aber ist ein Vorgang, der
nicht nur zur an sich leeren Verträglichkeit führt, sondern sie
überdies mit einem positiven Vorzeichen versteht. Ich meine
die Haltungskontrolle. Einige Teilnehmer erzählen
mir, daß viele im Lager mit einem Hausen angelernter politi
scher Phrasen einträfen, deren Hohlheit sich bereits in den
ersten Tagen enthülle. Wodurch enthüllt sie sich? Durch den
beim gemeinsamen Leben jederzeit möglichen Vergleich zwi
schen dem Sinn der Phrase und der Haltung ihres Benutzers,
Wenn zum Beispiel einer von der Solidarität spricht, die man
beweisen müsse, wird das Lager unschwer nachprüfen können-
ab der Betreffende selber sich im Alltag nach seiner Maxime
richtet. Und tut er es nicht, so ist die von ihm erhobene For
derung der Unwirklichkeit überführt. Dank der dauernden
wechselseitigen Kontrolle streben alle danach, ihre Aeußerungen
mit ihrem Verhalten in Uebereinstimmung zu bringen und